Geburtstags-Ausflug im Föhn.

Am 9. Oktober 2014 darf ich – weil’s mein Geburtstag ist – einmal machen, was ich am liebsten mag: Segelfliegen (meine Chefin hat mir frei gegeben!). Weil schon die ganze Woche über mehr oder weniger der Südwest durch die Täler pfeift, passt alles zusammen: ein freier Tag, ein tolles Segelflugzeug und ausreichend Wind, um ein Weilchen in der Luft zu bleiben.

Für das, was ich heute vorhabe, reicht es auch, am späteren Vormittag in die Luft zu kommen, da sind keine Nachtübungen im Scheinwerferlicht meines Opeli und Wasserspiele in der Dunkelheit nötig. In aller Ruhe fahre ich zum Briefing nach Schänis, Flieger montieren ist zusammen mit Peter Zweifel als Gast aus Winterthur bald erledigt. Wasser in die Flächen füllen, dauert schon länger, irgend ein Spassvogel hat den sonst vorhandenen, langen Wasserschlauch bereits weggeräumt, vermutlich aus Angst, er friere ein oder jemand nehme ihn womöglich noch mit.

Heute sportlich.
Auf der Südseite unseres Hausberges wird ‚cinque’ schon in wenigen Kurven über den Gipfel hinaus getragen. Für einmal wähle ich heute die sportliche Start-Variante. Die wende ich an, wenn der Föhn schon tief in die Täler greift und man bei Ziegelbrücke eigentlich vom Boden weg dem Hang entlang klettern kann (extrem-sportliche Variante). Die unsportliche Variante wäre ein hoher Schlepp auf 2’400 Meter hinauf, mit anschliessendem Direktflug an die obersten Kreten der Churfirsten (die Ostseite des Sichelchamm ist eine der ersten Stellen, die im Südwind trägt). Das ist dann die richtige Methode, wenn der Föhn beginnt, von oben Schicht um Schicht ‚abzuhobeln’ und erst an einzelnen Stellen (bei uns im Zigerschlitz ist das Mitlödi, Glarus und Ziegelbrücke) bis in die Täler durchgreift. Noch unsportlicher wird der Schlepp, wenn der Föhn erst aufbaut und nur an den Föhn-Hotspots im Urnerland (Eggberge, Läged Windgällen, Schächental), in den Glarner Alpen (Sernftaler-Nord-Kreten, Engi, Elm) und natürlich im Rheintal (Schesaplana, Vilan) spürbar ist.

Erkundungsflug.
Heute habe ich mir vorgenommen, die verschiedenen Hang- und Wellensystem etwas genauer zu erkunden. In die Region Arlberg und weiter das Inntal hinunter sieht die Windprognose nicht sonderlich gut aus. Zuviel Südwest-Anteil. Und östlich Achensee fast kein Wind mehr und wenn, dann parallel zu den Hängen. Das mag ich nicht besonders. Deshalb fege ich im Geradeausflug den Luvkanten entlang bis in die Silvrettagruppe. Eigentlich wäre es cool, wenn man von hier aus alles nur im Hangflug ins Wallis gelangen könnte. Die Feuchtigkeit im Vorderrheintal ist allerdings etwas hoch für einen Durchflug in Andermatt. Bis nach Flims gelingt das Vorhaben allerdings wunderbar. Ich kann am Flüela, am Weissfluhjoch und in den Fideriser Heubergen problemlos im Hangwind bis nach Chur schleichen. Nicht sehr schnell, aber ohne Kreiserei, ohne Turbulenzen. Am Churer Joch steht sogar noch eine schwache Welle, die ich aber weglasse, weil ich ja im Vorderrheintal sowieso unter die Wolken will. Da hilft es nicht, über der Bündner Hauptstadt auf 4’000 M.ü.M. zu steigen, nur um danach mit Vollgas unter die Wolken tauchen zu müssen. Die Übersicht geht dabei verloren.

Unverhofft in eine unbekannte Welle.
Herrlich ist es dann, am Flimserstein und am Ringelspitz die Hänge hochzuturnen und den Flieger wie einen Drachen steigen zu lassen. Die Region erinnert mich immer etwas an den Pic de Bure. Auch hier ist die Vegetation ähnlich karg, die Optik wird von kahlen, glatten Kalkwänden dominiert, die im flachen Herbstlicht fast weiss scheinen. Dann ‚falle’ ich über dem Segnes-Kessel unverhofft in eine starke Welle. Ich erhalte von ZRH Info gerade rechtzeitig für 30 Minuten eine Freigabe bis 4’600 Meter hinauf, bevor ich in den Luftraum C hinaufgetragen werde. Die Luftwaffe beginnt um 13.30 ihren landesverteidigenden Dienst, aber solange darf ich noch steigen. Das Problem dabei ist, dass ich so nicht ins Vorderrheintal komme, weil ich von oben durch die Wolkendecke der Staubewölkung tauchen müsste. Und aus diesem flachen Winkel knapp über den Wolken sind keine Löcher erkennbar und höher darf ich nicht steigen, um mehr Überblick zu bekommen. Eben wegen der sonst sehr geschätzten Luftwaffe.

Also entscheide ich mich ‚halt’ für die Primärwelle in Elm und fliege den steigenden Ast ab bis an den Spannort bei Engelberg. Das ist ähnlich wie Motorfliegen, nur durchgeschüttelter. Ich verliere allerdings kaum Höhe bei der Übung und finde mich nach kurzer Zeit vor den geschlossenen Toren des Meiringer Luftraumes wieder. Zwei FA-18 pfeifen direkt nach dem Start über mich hinweg an den Titlis, bevor ich mich für eine Durchfluggenehmigung zwischen die Funksprüche der startenden Jets hindurchzwängen kann. Aber es reicht, bei Gadmen habe ich die Genehmigung für den Flug an die Engelhörner.

Freigaben und die davon abweichende Realität in der Luft.
Das Problem ist nun, dass der Controller mir eine Freigabe bis an die Kleine Scheidegg erteilt. Da kann man zwar hin, aber nur, wenn man das will. Ich habe immer grösste Mühe, mir in der blauen Luftmasse hinter den Berner Eisriesen ein Wellensystem vorstellen zu können (und das dann auch noch zu treffen). Zudem ist das eines ohne ernsthaft brauchbare Auffanglinie, sieht man vom Jura einmal ab. Und dass Eiger & Co. eine gewaltige Leewelle produzieren (da geht’s ja nicht nur hinauf, sondern mindestens so schnell auch bergab), braucht man nicht zu erwähnen. Ich überlege, ob ich im Südwest den Hängen entlang an den Grimsel fliegen soll, um dann ins Goms und an die auch hier tief in Staubewölkung steckende Nordkrete des Wallis zu wechseln. Irgendwie verlässt mich dann aber vor lauter Aufwindsuchen, Freigaben verlangen usw. der Mut und ich fahre etwas kleinmütig wieder zurück an die angeströmte Kette zum Titlis und hinaus aus dem kontrollierten Meiringer Luftraum. Für den Rückweg wechsle ich über der Sustlihütte und dem Wichelplangg, einem meiner früheren Kletterberge, ins Meien- und später ins Maderanertal. Dahinter steckt die Idee, einen Durchgang nach Andermatt oder das Vorderrheintal zu finden.

Im Maderanertal in den Wasserfall.
Die Schächentaler Windgällen sind nicht nur für Bergsteiger eindrückliche Kalkspitzen. Auch für Föhnflieger ist es gewaltig, an der Südseite die steilen Wände hochzuturnen. Ein Blick in die aus Süden anstürmenden Wolkenmassen lässt einzelne Lücken zwischen Oberalpstock und dem Chrüzlipass erkennen. Dahinter ist die Luft trocken. Also nichts wie hin. Bis kurz vor den Oberalpstock kann ich sogar noch von steigender Luft profitieren, es scheint, als ob das Wagnis gelingen würde. Dann falle ich aber kurz vor den steilen Wänden mit dem Staldenfirn ‚in den Bach’. Der spült mich rasch 500 Meter hinunter. Der Bristenstock und der Chrüzlipass steigen blitzig neben mir hoch – keine Chance – ich muss zurück an die Windgällen. Immerhin eine wichtige Erkenntnis habe ich bei diesem Versuch aber gewonnen: ich wäre auf der Luvseite das Vorderrheintal bis an den Oberalp und an die Furka durchgekommen. Einfach tief und mit den Gipfeln in Wolken – aber es geht. Jänu – dann fliegen wir halt wieder über den Klausen und Elm zurück ins Prättigau. Dieser Teil des Fluges ist weniger spannend, die Turbulenzen im Schächental, über dem Urnerboden und vor allem südlich des Kärpfs sind bekannt.

Mords-Rotor über Obererbs.
Genau da, wo unser Fluglehrer Ruedi Wissmann viele Jahre während der Sommermonate als Hüttenwart gewirkt hat, knetet es mich noch einmal richtig durch. Ich versuche in wilden Manövern, einen Rotorfetzen über mir auszukreisen. Nach ein paar Versuchen und immerhin ein paar hundert Höhenmetern Gewinn gebe ich das Unterfangen aber auf. Hier sitzt teilweise der Herr Zufall am Steuerknüppel, nicht immer der Herr Pilot. Mehrmals zeigt die Flugzeugnase entweder direkt in den Himmel oder dann direkt auf das Gelände tief unter mir – beides fühlt sich ungewohnt an. Die Ruderwirkung ist teilweise lamentabel. Obwohl ich den Knüppel voll nach rechts ausschlage, dreht der Rotor ‚cinque’ voll auf die linke Seite. Fahrt- zu und Abnahmen von 50 km/h sind auch nicht gerade das, was ich gerne mag. Ein abendlicher Blick auf die Karte erklärt das Phänomen. Bei Südwest liegt diese Stelle in Windrichtung betrachtet exakt ‚hinter’ dem hohen Gipfel des Hausstocks, kein Wunder dreht die Luftmasse da wie ein grosser Tumbler.

Erstaunlicher Unterschied.
Ich mag es eigentlich lieber gemütlicher und verlasse den ‚ugattligä’ Elmer Kessel, wie ich gekommen bin. Über die Tschingelhörner und wieder ins Rheintal. Erstaunlich ist der Unterschied im Flugstil. Ruhig trägt der Hangwind an Ringelspitz, Calanda, Churer Joch, Fideriser (Skitouren)-Heuberge und hinauf nach Davos an den mit Technik vollgepackten Weissfluh-Gipfel.

Einfach berauschend.
Ab jetzt geniesse ich meinen Geburtstagsflug wie ein Senior im Lehnstuhl und steige in St. Antönien in die (schwache) Prättigauer Welle, die mich bei Landquart und mit einer Freigabe bis FL 200 (!) – ja, die Luftwaffe hat nach 16.00 Uhr Feierabend – bis auf 4’500 Meter hinauf trägt. Danach teste ich noch das Sekundär-Wellen-System über dem St. Galler Oberland und dem Glarnerland, das mich erneut fast wie im Motorflug bis ins Riemenstalden-Tal trägt, ohne dass ich enorm viel Höhe für die Strecke gebraucht hätte.

IMG_1184

Trotz der Spiegelungen im Cockpit immer wieder ein unglaubliches Bild: Flug entlang der aus Süden anstürmenden Wolkenmassen.

Die Natur bietet noch einmal alles auf. Die aus Süden anstürmenden Wolkenmassen tauchen ins fahle, flache Herbstlicht, der Blick reicht weit über die ganze Deutschweiz, in den Schwarzwald, deutlich über den Bodensee hinaus nach Norden. Diese wunderschönen Geburtstags-Flug-Bilder werde ich den bevorstehenden Winter über im Kopf behalten – sie sind eine Motivation, dieses unglaublich schöne Hobby so lange es geht, zu pflegen. Wenn es sein muss, künftig sogar mit einem extra in den Instrumentenpilz eingebauten Transponder – daran darf es künftig nicht mehr scheitern, wenn man hoch hinaus und dorthin fliegen, wo der Pilot – und nicht der Controller will.

Für die Experten (also alle): Link auf die Flugdetails.

Kommentar verfassen