Archiv der Kategorie: Segelflug-Blog

Segelflug-Berichte, Erzählungen, Urlaubsreisen und Abenteuer für kleine und grosse Jungs.

Charlie-Sierra: Have Fun! (Teil 2)

-> Hier finden Sie den ersten Teil der Bitterwasser-Expedition.

Autor Ernst Willi

Peters Tausender
Am Montag, 27. November 2023 starten wir zuversichtlich nach Nordosten. Unser Plan ist, mit einem eleganten Dreieck und einer ersten Wende in der Region von Gobabis, einem zweiten in der Region Gamsberg und einer dritten am Rand der Namib bei Lüderitz Peters ersten Tausender zu fliegen. Schon nach 200 km droht sich dieses Vorhaben unter sich schnell ausbreitender Feuchtigkeit am Rand der TMA Windhoek in Staub aufzulösen. Wir erwischen einen schlechten Start und unser Entscheid, ins gute Wetter zurück zu kehren fällt viel zu spät. Trotzdem entwickelt sich über den wenigen verbleibenden Sonnenflecken glücklicherweise genügend Aufwind, um den Anschluss an die strukturierten Verhältnisse in der Region südlich Windhoeks wieder zu finden.

Unsere 1000er-Pläne drohen von breit laufenden Wolken zugedeckt zu werden.

Viel zu langsam

Bei unserem bisherigen Durchschnitts-Tempo brauchen wir aber im besten Fall elf Stunden für Peters Wunsch-Distanz. Die Uhr zeigt halb zwei und wir haben erst rund 250 km hinter uns und nur noch fünfeinhalb Stunden Tageslicht sowie lächerliche 700 km vor uns. Das wird eng, d.h. konkret, wir kommen nur mit einem Schnitt von mindestens 130 km/h rechtzeitig ins Ziel. So schnell sind wir beide noch nie über eine solche Distanz geflogen. Es wird leise im Cockpit, Enttäuschung macht sich breit. Sollen wir jetzt aufgeben? Angesichts der etwas mauen Wetterprognosen für die verbleibenden Flugtage könnte heute auch gleich die letzte Chance für Peters Vorhaben sein.

Unwirtlich, aber mit starker Thermik: die „Voralpen“ zum Küstengebirge im Nordwesten von Rehoboth.

Tiefpunkt und erster Hoffnungsschimmer

Beim Einstieg in die Berge am Rande der Namib sind wir mit 2’500 m ü.M. an einem echten Tiefpunkt angelangt. Da fliesst plötzlich ein Zaubertrank namens «Konfluenz» in unsere halbleeren Trinkbeutel. Ein rabiater Aufwind spült uns mit bis zu 5 m/sec. wieder auf 4’500 m hinauf. Hoffnung keimt auf. Unser Kampfgeist erwacht. Jetzt wird es mucksmäuschenstill im Flieger.

Eine ausgeprägte Konfluenz bringt uns auf Speed, der zweite Flugabschnitt ist deutlich schneller als unser schwieriger Start.

Geradeaus. Geradeaus. Geradeaus.

Ab jetzt nutzen wir die vor uns liegenden Wolkenstrasse für einen beinahe zwei Stunden anhaltenden Geradeausflug (…). Dabei können wir wie ein Motorflugzeug unsere Ausgangs-Höhe von über 3’500 m ü. M. nicht nur halten, sondern auf über 4’000 m ausbauen. Erst südwestlich von Helmeringhausen drehen wir erstmals wieder auf. Wir sind «back in business». Eeendlich! Jetzt fehlen uns «nur noch» ca. 220 km und wir haben fast drei Stunden Tageslicht übrig. Das schaffen wir nach diesem heissen Ritt mit über 180 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit bestimmt, wenn wir uns jetzt nicht noch irgendwo eingraben.

Ausserdirdische Wüstenlandschaft zwischen Helmeringhausen und Lüderitz.

Endanflug über 200 km

Peter zaubert auf dem Endanflug bei Maltahöhe 500 und ca. 80 km später weitere 400 Höhenmeter auf den Höhenmesser und schippert uns damit sicher und mit etwas Tageslicht-Reserve rechtzeitig «nach Hause». Dass 50 km vor dem Zielpunkt eine Gewitterlinie mit Schauern steht, kann uns auch nicht mehr aufhalten, wir haben ausreichend Höhenreserve im Gepäck, um die Zellen zu umfliegen. Die Freude und Genugtuung über seinen ersten Tausender ist gross. Auch wenn die Namibia-Profis am gleichen Tag längere Distanzen fliegen, sind wir stolz auf den Flug. 1’000 km sind immer weit, die Distanz thermisch zu fliegen, verlangt in jedem Fall Sitzleder und konsequentes Vorfliegen mit deutlich höheren Geschwindigkeiten, als wir uns in den Alpen gewohnt sind. Abends feiern wir mit einer Extradosis Schnupftabak und dem gewohnten roten Gold aus der Flasche. Es ist kein Gerücht, dass der Merlot-Vorrat an diesem Abend in Bitterwasser zur Neige geht und aus Windhoek nachgeliefert werden muss.



Zweiter Tausender mit «Hitchcock-Finale»

Drei Tage später passt unverhofft nochmals alles zusammen. Diesmal ist einfach ständig alles knapp. Die Höhe, das Tageslicht und die technischen Ressourcen. Nach 570 km verabschiedet sich im allerdümmsten Moment – erneut an einem fliegerischen Tiefpunkt westlich von Kiripotib auf 2’500 m ü.M. oder 800 m über Grund – unser Bordrechner mitsamt dem Moving-Map-System. Zu allem Übel laufen in der Region Gamsberg jetzt auch noch die Wolken auseinender und Schauer breiten sich grossflächig aus.

Zuverlässige Thermik befreit uns aus dem Kellergeschoss.

Zum Glück habe ich kurz zuvor noch in der Statistik nachgesehen, wie weit wir denn bisher überhaupt gekommen sind. So addieren wir im Kopf fleissig km-Zahlen aufeinander, rechnen die verbleibende Tageszeit, Durchschnitts-Geschwindigkeiten und Dergleichen, damit unser zweites Tausender-Projekt «nicht in den Bach fällt». Etwa zwei Stunden später erholt sich der vordere Bordrechner überraschenderweise wieder und liefert zusehends plausiblere Flugstatistiken. So können wir im Flug einigermassen zuverlässig kalkulieren, wie weit wir noch nach Südwesten fliegen müssen, um doch einen Tausender voll zu bekommen. Ein erneuter Tiefpunkt erwartet uns nach einer Reihe von geflogenen Umwegen um die niedergehenden Schauer bei der Querung eines breiten Taleinschnittes, aus dem ein trockenes Flussbett namens «Tsondab-River» westwärts in die Namib führt.

Wir kalkulieren mangels Moving Map-System den zweiten Wendepunkt „von Hand“.
Wie weit müssen wir denn nun noch nach Südwesten?“ Wieviel Tageszeit bleibt noch?

Einfliessende Wüstenluft

Bis ich nach endlosen wie erfolglosen Versuchen, Aufwinde zu zentrieren, endlich realisiere, dass es wegen der aus der Namib-Wüste einfliessenden Wüstenluft keine schlaue Thermik mehr gibt, sind wir tief unten im Keller. Die Temperatur, der Herzschlag und die Zahl der Schweigeminuten im Cockpit wachsen exponentiell. Den entscheidenden Hinweis, die Situation zu erkennen, liefern Wolken-Girlanden, die unter einer unerreichbar hoch scheinenden Wolkenbasis scheinbar planlos in der Luft hängen. Offenbar drängt hier die schwerere, kalte Atlantikluft unter die heisse Luftmasse über dem Kontinent und hebt sie an. Das muss der untere Rand der Konfluenz sein. Nichts wie hin!

Jetzt bloss keinen Fehler machen, wir müssen hier unbedingt Aufwind finden…

Theorie und Praxis

Ich spüre der Puls beim Eindrehen unter dem ersten Wolkenfetzen bis in die Halsschlagader. Hier kann man nirgendwo vernünftig landen, wenn wir diesen Aufwind nicht erwischen. Der hält aber, was ich mir verspreche. Jetzt bloss nicht rausfallen! Sorgfältig zirkle ich den Arcus so steil ich kann durch den stärker werdenden Aufwind und versuche, keinen unnötigen km auf dem Fahrtmesser zu verschwenden. Nach quälenden zehn Minuten konzentrierten Kreisens zeigt der Höhenmesser wieder 4’500 Höhenmeter an. Wir sind wieder im Rennen. Da wir unseren ersten Wendepunkt am Mittag weit nach Nordosten gelegt haben (Farmland), bleibt uns bei der säuberlich kalkulierten Wende nordwestlich der Maltahöhe nur noch ein überschaubarer Endanflug, den Peter wie schon beim ersten Mal souverän mit zwei Aufwinden sauber zusammenbaut.

Imposanter Schauer beim Durchfliegen einer Gewitterlinie.

Knapp und knapper. Ob es reicht?

Letztlich kalkuliert unser wieder zum Leben erwachter Bordrechner 100 km vor dem Ziel eine Flugdistanz von 998 km bis Bitterwasser. Das darf jetzt aber nicht wahr sein! Wir wollen keine unnötigen JoJos einbauen, sondern ein sauberes Dreieck in die Landschaft fliegen. Bei der letzten Wende bin ich sicherheitshalber noch 10 km zu weit geflogen. Nun verschwinden die mysteriöserweise wieder. Während des ganzen Endanfluges fehlen uns dann die zwei Kilometer. Erst beim Überfliegen der Bitterwasser-Pfanne löst sich das Rätsel auf. In der Bordrechner-Datenbank sind mehrere «Bitterwassers» eingegeben, eines davon zwei km weiter östlich. D.h., auch der zweite Tausender von Peter ist in trockenen Tüchern. Mit 1’002 km geflogener Distanz passt letztlich alles «tout juste» zusammen. Man muss es ja nicht übertreiben. Tausend bleibt tausend.

Wir verlassen die letzten hochreichenden Aufwinde über der Küstenregion.
Jetzt geht’s nur noch 120 km geradeaus.

Den Rest des Abendprogrammes kennen Sie inzwischen: Schnupftabak und Merlot in ausreichenden Dosen.


Ein Wort zum Wetter in Namibia

Eine Übersicht über die meteorologischen Rahmenbedingungen finden Sie in einer ausführlichen Beschreibung von Bernd Goretzki hier. Etwas nachdenklich macht mich vor der Abreise folgende Passage:

«Gemütlich die Wolken anfliegen ist hier nicht. Die starken Bärte sind oft schon verpufft, wenn man dort ankommt. Hier ist alles viel kurzlebiger, es gibt keine Dauerbärte. Die Energie wird schneller umgesetzt und die Zyklen sind auf Grund hoher Vertikalgeschwindigkeiten kürzer. Was genauso geht, wie in Europa, sind die dicken Cumulus-Congestus-Wolken. Bei den kleinen Cumulanten kommt man aber oft zu spät an.»

Nicht immer erwischen wir unter den dicken Cumulus auf Anhieb die besten Aufwindzonen.

Diese Schilderung beschreibt die Verhältnisse treffend. Am zuverlässigsten ziehen die «dickeren Dinger». Auf einem der Flüge verzweifeln Heinz und ich aber beim Finden der Aufwinde darunter beinahe und entwickeln phantastische Theorien. Tests, ob die Congestus auf der Luv- oder Sonnenseite besser ziehen, misslingen völlig. Wir finden überhaupt nichts, obwohl über uns eine grosse Cumulus-Wolke mit mehreren Aufwind Zentren steht. Womöglich waren die einfach schon «beim Feierabendbier», wie von Bernd Goretzki beschrieben.

Aufwindqualität. Zuverlässigkeit.

Darüber hinaus finden wir auf den meisten Streckenflügen verbreitet Aufwinde über 3 m/sec., immer mal wieder welche mit 4 bis 5 m/sec. während ein paar Minuten und selten welche mit 6 m/sec. über mehrere Vollkreise hinaus. Manche fühlen sich «brachial» an, sie werden mir in Erinnerung bleiben. Auf einem der langen Flüge falle ich wie weiter oben erwähnt auf gerade noch 800 m GND in einen länger anhaltenden 5-m/sec.-Aufwind. Nach anderthalb Minuten sind wir bereits 500 m höher, kurz darauf wieder in etwas schwächerem Steigen auf beruhigenden 4’000 m ü. M. Wir versuchen, über dem meistens schwer landbarem Gelände hochzubleiben. So wird man zwar nicht schnell(er), dafür schont man sein Nervenkostüm.

Hochbleiben ist nervenschonend(er).

Der Regen kommt nie zu Boden. Wirklich? Die Meinung, dass die trocken-heisse Luftmasse Namibias Schauer meistens austrocknet, bevor sie den Erdboden erreichen, kann ich nicht vollumfänglich teilen. Sind die Gewitterzellen ausreichend mächtig, treiben sie anfangs wie ein gigantischer Schneepflug mit einer Sand- und Staubwalze alles vor sich her, was nicht fix am Boden verzurrt ist. Windgeschwindigkeit bis ca. 80 km/h am Boden sind dabei keine Seltenheit und kommen Aussagen Einheimischer zufolge in der Thermiksaison auch etwa einmal monatlich vor. Dass man auch damit umgehen kann, beweisen die beiden französischen Piloten Thierry Boilley und Barthelemy Gras in einem der Arcus M. Sie landen kurz nach einer Sandwalze professionell, schnell, steil und sicher mitten in die sich drehenden Winde in die Pfanne Bitterwassers, ohne den kleinsten Kratzer zu verursachen. Trotzdem sind alle erleichtert, die Crew unbeschadet zurück am Boden zu wissen.

Zweimal haben wir nördlich Bitterwassers grosse Gewitter mit einem Durchmesser von ca. 100 km umflogen und haben zum Glück frühzeitig den Abgang und eine Sicherheitslandung gewählt. Die Zellen entwickeln ihre Macht schnell. Besser, man geht ihnen aus dem Weg. Die darin eingebetteten Schauer müssen den Boden auf jeden Fall erreicht haben, denn am Tag unserer Rückreise war die Wüstenlandschaft südlich Windhoeks wie von Zauberhand mit grüner Farbe eingefärbt. Diese Mini-Regenzeit reicht offenbar, um alles Leben in die Trockenheit zurückzubringen.

Die Besten

Auf der Rückreise in die kühlere Nord-Hemisphäre sind wir uns einig. Es war ein Abenteuer, das mit dem Adjektiv «unbeschreiblich» am besten eingefangen wird. Ob’s ein weiteres Bitterwasser in unserem Segelflieger-Leben gibt? Ich weiss es nicht. Schön wär’s schon.

Aber auch wenn die Reise einmalig bleiben sollte, blicke ich dankbar auf eine unvergleichliche Zeit in bestmöglicher Gesellschaft zurück. Ich werde diese Expedition jedenfalls nie vergessen.

Mein persönliches Dankeschön geht an alle, welche sie ermöglicht haben. Vor allem an meine Brigitte, die zuhause trotz gesundheitlicher Probleme die «Fahne hochgehalten hat», an Peter als smarten und schwungvollen Treiber hinter dem Projekt sowie an Heinz und Sigi, die mit ihrem staubtrockenen Humor und einem endlosen Technik-Know How einer Expedition wie dieser bestmögliche Sicherheit verleihen.

Ihr seid die Besten!

Charlie-Sierra: Have Fun!

Autor Ernst Willi

Dieser beflügelnde Abschiedsgruss von «Shooter» Michael Stoltze begleitet alle startenden Besatzungen der Bitterwasser-Gäste auf ihren weiten Flügen quer durch Namibia.

Diesen Winter steigert er für einmal auch die Vorfreude meiner drei Freunde und von mir als Besatzungen zweier Charter-Arcus M auf unseren Erkundungsflügen ab dem bekannten Segelflugparadies zwischen Namib und Kalahari.

Once in a lifetime

Für die meisten Piloten, bei denen das Geld nicht gerade durch die Dachrinne in den Keller regnet, bleibt ein Segelflug-Urlaub in Bitterwasser/Namibia etwas ausser Reichweite. Das Projekt ist schon aufwendig. Man muss eine Anreise um den halben Globus planen, ein eigenstartfähiges Flugzeug moderner Bauart und eine Unterkunft mieten. Die sagenhafte Abgelegenheit Bitterwassers treibt die Kosten hoch, müssen die Flugzeuge doch eine mehrwöchige Reise im Schiffscontainer zurücklegen und der komfortable Aufenthalt in der Segelflieger-Lodge zwischen Kalahari- und Namib-Wüste löst ebenfalls Aufwand aus. Mit der inneren Haltung, mir diese Expedition einmal in meinem Segelflieger-Leben zu leisten, steige ich vor etwas über einem Jahr ins Projekt «Bitterwasser» ein. Nach dem Urlaub bin ich mir beim «once» aber etwas unsicher.

Während der ersten Flugphase scheint nicht nur die Landschaft endlos: die ersten ein bis zwei Stunden krabbeln wir oft tief durch die Gegend – bei entsprechend heissen Temperaturen im Cockpit. Köche bezeichnen diesen Prozess als „Niedergaren“.

Fleissige Hände. Welle der Freundlichkeit.

Der erwähnte Aufwand lohnt sich. Dieser Urlaub gehört zu meinen aussergewöhnlichen und unvergleichlichen Reisen. Die Lodge ist bestens organisiert, der Flugbetrieb ist dank der riesigen «Pfanne» aussergewöhnlich sicher, wir fühlen uns sofort «hoch willkommen» und von einer Welle von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft getragen. Dagmar und Rainer Hog mit seinem Team aus dem Flight Office, der Küchen-Mannschaft, den Line-Boys und den fleissigen Händen hinter den Kulissen, in der Wäscherei, dem Unterhalt der Lodge usw. gelingt es täglich, eine 5-Sterne-Atmosphäre herbeizuzaubern.

Gesellschaftliches Zentrum der Lodge: das Restaurant mit seinem aufwendig von vielen fleissigen Händen gepflegten Stück grünen Rasens.

Urinal-Kondome, steifer Arm und Trinksack

Lange, bevor wir in Zürich-Kloten die riesige Blechzigarre besteigen, die uns via Frankfurt nach Windhoek tragen soll, beginnen verschiedene Vorbereitungs-Arbeiten. Peter organisiert Flugzeuge, Unterkunft und Reise. Unser ursprüngliches Team muss unerwarteterweise wegen eines gesundheitlichen Problems mit Sigi neu ergänzt werden. Unkomplizierte Menschen eignen sich besonders für Wüsten-Expeditionen (Sigi sagte schon begeistert zu, bevor ich meine Frage über eine mögliche Teilnahme richtig zu Ende formuliert habe).

Eurowings hat uns über Nacht einigermassen komfortabel von Frankfurt nach Windhoek transportiert. Manche konnten sogar ein paar Stunden schlafen.

In meinem fortgeschrittenen Alter macht man sich bei besonders langen Flügen, die ja vorgesehen sind, ein paar Gedanken. U.a. über den Flüssigkeits-Haushalt. Was oben rein muss, soll unten zivilisiert und clean wieder raus. Bisher komme ich noch immer ohne die dafür nötigen Einrichtungen aus, aber meine letzten, wirklich langen Flüge liegen aber «ein paar Wochen» zurück. Da will ich nichts anbrennen, bzw. auslaufen lassen und besorge mir frühzeitig Urinbeutel, die man am Bein befestigen kann. Alles klar so weit. Für die Überbrückung von der Quelle zum Beutel bestelle ich bei einem möglicherweise chinesischen Lieferanten Kondome mit Abflussröhrchen. Dazu 50-cm-Schläuche. Mindestbestellzahl: 100 Ex. Dafür preiswert.

Löwenbisse

Die medizinische Abteilung unserer Familie lässt mich nicht ohne Arztbesuch und Starrkrampf-Auffrischung nach Süden ziehen. Vermutlich wegen der Löwenbisse, damit die keine Entzündung verursachen. Jedenfalls lasse ich mir den linken Arm wenige Tage vor der Abreise «stechen». Was dann zu einem tagelang steifen linken Arm führt. Glücklicherweise werden die Symptome von den ersten Klappenhebel-Umstellungs-Bewegungen auf die Stufe «S» nachhaltig verscheucht, womit ich wieder gewohnt flink und fit wie ein Wiesel im Arcus umherwuseln kann.

Bei den Luftfahrtkarten wird keiner von uns fündig. Naja, eigentlich wenig erstaunlich. Ein riesiges Land, platt wie eine Flunder mit nur vereinzelten, wichtigen Luftraum-Beschränkungen braucht wohl auch keine der für uns gewohnten Reliefkarten. So starten wir mit einem Tablet pro Flugzeug mit der Skydemon-Motorflug-Software als alternatives Karten-Backup zu unserer Expedition.

Radwechsel. Fast so schnell wie Verstappen

Die Anreise verläuft bis auf eine Reifenpanne ohne besondere Vorkommnisse. In der Nähe von Uhlenhorst neigt sich unser hübscher Toyota-Reisebus leicht nach rechts. Mit vereinten Kräften wechseln wir bei ungewohnten Temperaturen das Hinterrad. Fast so schnell wie am F1-Auto von Max Verstappen, nachdem wir den Wagenheber sauber justiert haben. Ich glaube aber, Max Verstappen hat jeweils die besseren Ersatzpneus auf den Felgen. Die hier sehen nämlich nur unwesentlich älter als der eben gewechselte Pannenreifen aus. Ich hoffe nur, dass der Toyota den mehrstündigen Schüttel-Rüttel-Test auf den Gitterrost-ähnlichen Sandpisten bis Bitterwasser ohne weiteren Plattfuss überstehen wird. Viel Verkehr ist offensichtlich nicht zu erwarten. Und ein zweites Ersatzrad habe ich nirgendwo entdeckt. Selbst Toyotas haben sowas nicht.

Das fängt ja gut an: In Uhlenhorst neigt sich unser Toyota-Bus leicht auf die rechte Seite. Reifenpanne. Allerdings scheint der Ersatzreifen nicht wesentlich jünger als der platte Reifen zu sein.

Alle gegen die Italiener

Den ersten Tag vollendet ein ausführliches Briefing von Michael Stoltze sowie die Flugzeug-Übernahme. Unsere italienischen Vorgänger beklagen sich wortreich über «a lot of issues with this plane and its instruments» und anderntags bei der morgendlichen rituellen Verabschiedung in astreinem «Trappatonisch» über die aus ihrer Sicht ungenügende, namibische Aufwind-Qualität. Sie hätten diesmal nur 5-m-Aufwinde finden können, die richtigen und von früher gewohnten (8 m)-Aufwinde seien (von den Deutschen) wohl irgendwo in einem Tresor eingeschlossen worden. Genaueres Rückfragen bei den Bitterwasser-Profis fördert allerdings die Tatsache zu Tage, dass auch sie die 8-m-Aufwinde nicht finden. Ob sie überhaupt vorkommen, ist unsicher, vielleicht existieren sie auch nur im fernen «Tal des Jäger- und Fischerlateins».

Sorgt für einen sicheren und speditiven Flugbetrieb: Der stets freundliche „Shooter“ Michael Stoltze schickt alle Besatzungen mit einem motivierenden „have fun“ in die Luft.

Flügeltank in Fetzen

Etwas weniger unterhaltsam sind bei der Flugzeug-Übernahme die nötigen Reparaturen, um einen unserer gemieteten Vögel für unsere Ansprüche voll flugtauglich zu machen. Ein Benzin-Zusatztank im Flügel hat nicht mal mehr Nähte, er besteht nur noch aus Streifen. Kein Wunder, verschwinden die 20 Liter aus dem Benzinkanister unserer italienischen Freunde jeweils spurlos im Flügel. Bei den vorhandenen Aussenlandemöglichkeiten und unseren Flugplänen wäre aber etwas Benzin im Flügel von Vorteil. Der hilfsbereite Sigi macht sich wieder richtig nützlich und ersetzt mit Mechaniker Pirmin zusammen den Tank beim nötig gewordenen Werkstatt-Besuch eines unserer Arcus M virtuos. Derselbe Pirmin braucht den Flieger anderntags noch in der Werkstatt, um die abgebrochene, hintere Kopfstütze neu in den Rumpf einzuharzen. Weiss der Kuckuck, wie man die überhaupt ausbrechen kann, man muss dafür beinahe drauf sitzen! Insgesamt braucht dieses Flugzeug einige Tage Zeit, um unsere Liebe wenigstens auf kleiner Flamme zu entfachen.

Sigi und Pirmin ersetzen den Benzintank im Arcus-Flügel.

Twister zum Start

Am Tag danach erfüllen wir unsere Pflichtflüge, um das Bitterwasser-Anflugsystem, das Start- und Landungsprozedere sicher zu verinnerlichen. Auffällig bleibt dabei nur, dass Peter und Sigi bei ihrem Start plötzlich von einem Twister überrascht werden, den sie allerdings nicht erkennen können, weil er hinter dem Arcus M ausserhalb ihres Blickfeldes seinen Tanz startet. Um die beiden zu warnen, ist es zu spät, das Flugzeug rollt schon an. Während sie die ersten Meter zurücklegen, wirbelt der Staubrüssel alles in seiner Umgebung nach oben. Der Windsack dreht sich einmal um sich selbst. Die direkte Folge davon ist ein «hängender Flügel», der einfach nicht in die Luft zu bekommen ist, das Flügelrädchen frisst sich in der trockenen Oberfläche der Pfanne fest. Kurz, bevor sie den Start abbrechen, lässt sich der Flügel doch noch anheben und einem erfolgreichen Erstflug steht kein Twister mehr im Wege. Zum Glück ist die Bitterwasser-Pfanne gross, das ermöglicht viel Sicherheits-Reserve bei unerwarteten Entwicklungen.

Wahrscheinlich der sicherste Flugplatz der Welt: die Bitterwasser-Pfanne ermöglicht stets Starts in den Wind, bei einem Startabbruch ist mit einer leichten Drehung nach Links immer ausreichend Landefläche verfügbar.

Persönlich hat mir imponiert, dass auch ein Routinier wie Bruno Gantenbrink sich an seinem ersten Flugtag die Mühe macht, sein Flugzeug und sich selbst auf einem System-Checkflug an die Umgebung zu gewöhnen, um Routine und Sicherheit zu gewinnen. Wie oft, zeigt das System tatsächlich Mängel, diesmal beim (zu) heiss laufenden Antrieb.

Knoblauch-Überdosis

Fliegerisch bekomme ich als «Beckenrandschwimmer-mit-gewohnten-Blick-auf-grüne-Landschaften» auf dem ersten längeren Flug in die Namib buchstäblich Magenkrämpfe. Ob die von der vorabendlichen Knoblauch-Überdosis, von Peter Schmids ersten Schnupftabak-Attacken oder einfach von der Ernährungs-Umstellung meines alternden, mitteleuropäischen Verdauungssystems ausgelöst werden, weiss ich nicht. Möglicherweise ist die Summe aller Faktoren die Ursache für meine Krämpfe beim ersten Anblick der lebensfeindlichen Namib-Wüste aus dem Cockpit unseres Charter-Arcus M.

Befreiend für Nase und gelegentlich das Hirn: eine Prise Schnupftabak. Nicht ohne den dazugehörigen, manchmal sogar jugendfreien Spruch zu geniessen! Man beachte die unterschiedlich grossen „Ladungen“.

Auf der Rückseite des Mars

Ständig überlege ich mir, was wir wohl im Notfall anstellen, sollten wir hier «absaufen», nicht mehr über das Bergmassiv an der Westkante des Landes zurück auf das Hochplateau im Landesinneren zurückkommen und aussenlanden müssen. Bloss wo genau? Oft sieht die Landschaft unter uns aus wie die berühmten Bilder des Mars-Rovers. Und wo man noch eine Landung überleben würde, käme vermutlich wochenlang keine Menschenseele vorbei. Wir würden unter der heissen namibischen Wüstensonne elend verdursten und unsere Knochen würden ausbleichen, bis die erste Karawane uns zufällig fände. Peter’s und Sigi’s Geschichten über hungrige Löwen tragen nicht gerade zur Beruhigung meiner Magen-Nerven bei. «Beckenrand-Schwimmer» eben.

Wuuaaahhh – für „Grün-gewohne“ Alpenbewohner ein schwieriger Anblick: wo genau soll man hier bei einem Absaufer aussenlanden?

Guys’ Geheimnisse

Mit der Zeit gewinne ich allerdings Vertrauen in die Fähigkeit, die in den ersten Tagen für meine Begriffe etwas zaghafte namibische Thermik (3 m/sec.) oder «wie zuhause» nutzen zu können. Die Thermik ist übrigens ausreichend zaghaft, um Guy Bechtold Distanzen weit über 1’000 km zurücklegen zu lassen. Uns ist nicht klar, wie genau er das macht. Teuflisch. Rätselhaft. Unglaublich. Rackern wir uns über 400 km oder 500 km, kommt Guy abends strahlend mit mindestens 1’000 km auf dem Tacho und einem breiten Grinsen bis an beide Ohrläppchen zurück. Und das mit demselben Flugzeug im überwiegend gleichen Fluggebiet und irritierenderweise meistens auch noch im gleichen Wetter.

Michael Stoltze stellt jeden Morgen ein detailliertes Wetterbriefing zusammen.

Also beginnen wir, ihn beim Morgenessen, seinen Flugvorbereitungen systematisch zu beobachten. Abends haben wir keine Chance dazu, landet das Supertalent doch regelmässig mit den letzten Kerzenlicht, wo ordinäre Piloten wie wir bereits frisch geduscht am Vorspeisen-Buffet die zu erwartenden Köstlichkeiten studieren.

Bei der Werkspionage fällt uns auf, dass Guy jeweils viele Brote auf den Teller legt, dazu oft eine grosse Portion Gurken. Omeletts werden gelegentlich geordert, sonst scheint seine Ernährung keinen Schlüssel zu seinen für uns rätselhaften, täglichen «Weitschüssen» zu liefern. Geheime Zaubertränke sind ebenfalls keine zu erkennen, er trinkt denselben Kaffee und Saft. Wir machen vorsichtshalber genau dasselbe wie er. Weiter sind wir deswegen zwar nicht geflogen, aber immerhin von Tag zu Tag schneller! Heute vermuten wir, dass ausser seinem Talent auch 20 Jahre lokale Erfahrung und seine präzise Wetter-Interpretation Lösungsansätze des Rätsels liefern. Auch die geometrische Form seiner Flüge beginnen wir allmählich zu verstehen. Mehr Optimieren geht vermutlich nicht.

Zeigt allen den Meister: Guy Bechtold steigt selten unter 1’000 km Flugdistanz aus dem Flugzeug.

Laaange Endanflüge

Schon auf den ersten, zaghaften Flügen fallen mir die Endanflüge auf. Einmal sind es 170 spannende Kilometer von nordwestlich der Region Rehoboth nach Bitterwasser. Der Rechner meldet sich anfangs mit fehlenden 1’200 Höhenmetern, ein, zwei abendliche Aufwinde später sollen wir gemäss dem angejahrten Moving-Map-System im «8F»-Arcus geradeso heimkommen.

Die in Richtung Nord-Süd laufenden Sanddünen sorgen für wunderschöne Eindrücke auf den letzten Kilometern der Endanflüge auf Bitterwasser.

«Mann, das ist aber eine flache Geschichte!» Heinz hisst auf dem hinteren Sitz schon mal die «Fahne des Zweifels». Sein Rechner zeigt ganz andere Werte. Hmmh. Da hilft normalerweise nur Kopfrechnen. Bei 100 km Distanz, sorgfältiger Atmung, A…backen zusammenklemmen, Füsse anheben und dem In-der-Mitte-Halten des seltsamen Wollfadens vorn auf der Haube müssten doch 2’000 Höhenmeter, also mindestens 3’500 m ü.M. für einen theoretischen Anflug ohne Höhenreserve passen, nicht? Und wir sind ja gerade auf 3’900 m ü.M. Das sollte doch eigentlich zum Feierabendbier in Bitterwasser reichen!

Fröhliche Runde: Ernst, Horst, Elmar und Heinz (von links).

Rest-Intelligenz bei geschlossener Haube plus Sauerstoff-Mangel

Nun kennen ja manche von uns den Effekt der «geschlossenen Haube». Sobald sich der Flugzeug-Deckel schliesst, gehen rund 80% der vorhandenen Intelligenz verloren. Was natürlich im Einsitzer je nach Pilot etwas knapp werden kann. Die gute Nachricht ist aber, dass die ganze Intelligenz wieder schlagartig da ist, wenn man die Haube wieder öffnet. Etwa nach einer Aussenlandung. Da ist allen sofort alles wieder völlig klar. Verstärkt wird dieser Effekt häufig und unglücklicherweise durch Sauerstoffmangel. Das kann’s bei uns aber in dem Fall nicht gewesen sein, da wir permanent mit Sauerstoff versorgt werden, bis unsere Nasenlöcher selbst im Traum noch «pffupffen».

Manchmal erreichen Schauer doch den Boden. Wir haben auf allen Flügen keine Probleme mit Gewittern und können die gelegentlichen Schauerlinien immer gut umfliegen.

Mit vereinten Kopfrechnungs-Übungen alle zehn Kilometer (das ist unter den gerade beschriebenen, erschwerten Bedingungen einfacher zum Kalkulieren) plausibilieren sich die Moving-Map-Resultate zusehends und wir kommen letztlich ohne Ausrutscher ausreichend hoch in der einsetzenden Abenddämmerung zurück zur Homebase in Bitterwasser. Wo Heinz die «Fahne des Zweifels» umgehend wieder einholt.


Die Mannschaft:

Peter Schmid, Fluglehrer
„eMobilitäter“
4’000 Flugstunden
Heinz Brem, Fluglehrer
„Engineer“
4’000 Flugstunden
Sigi Föhn, Pilot
„Mister Hairdryer“
2’000 Flugstunden
Ernst Willi, ex-Fluglehrer
„Springbok“
5’000 Flugstunden
Der „richtige“ Willi – der auf der Bitterwasser-Lodge aufgezogene Springbok auf seiner täglichen Inspektionsrunde.

Den nächsten Teil des Namibia-Abenteuers finden Sie hier an gleicher Stelle – morgen.

Schlomo, ein Weltmeister und eine Soufflerie

Nach einer heissen Nacht machen wir uns auf den Rückweg aus dem südfranzösischen Segelflug-Leistungszentrum in St.-Auban nach Schänis. Natürlich gelingt bei erschwerenden Rahmenbedingungen wie etwa 43° Celsius Bodentemperatur nicht alles beim ersten Mal. Wie Peter sich aus dem tiefsten Queyras mit einer beinahe archäologischen Bodenübung selber wieder ausgräbt, wer Schlomo, der Malberries-Geniesser ist und wie man sicher einen Weltmeister erkennt, erfahren Sie hier und heute.

Heiss, heisser, St.-Auban. Beim Start messen wir 43° C (am Schatten).

Schlafen im ‘Sägewerk zur Sauna’

Bei unserem Kurz-Aufenthalt in St.-Auban erwischen wir aussergewöhnlich heisse Temperaturen von über 40° C. Die letzte Nacht war entsprechend ungemütlich. Nicht, dass Peter sägende Geräusche von sich gegeben hätte – an sowas habe ich mich längst gewöhnt. Auch, dass er wegen seiner eigenen Geräusche erwacht, gehört inzwischen zu den festen Bestandteilen unserer temporären WG *). Nein, diesmal war’s definitiv die Aussentemperatur.

Erkältungen ausgeschlossen

Ende Juni wird Zentral- und Südeuropa von Temperaturen jenseits der 40° erreicht. Die Zimmer im ‘Bâtiment Nord’ des Flugplatzes in Château Arnoux sind für sowas nicht ideal. Das Gebäude ist zwar französisch-chic, aber es fängt tagsüber dank seiner V-Form die wärmenden Sonnenstrahlen voll ein. Damit die gesammelte Wärme auch drin bleibt, kann das Treppenhaus nicht gelüftet werden. Die Zimmer, die von da aus erreichbar sind, hat der Architekt, der mit seinem Projekt bestimmt einen begehrten Designer-Preis gewann, mit einem (…) Fenster versehen. Das verstärkt den Effekt des Treppenhauses. Man holt sich so bestimmt keine Erkältung. Das Resultat sind Temperaturen, die ich sonst nur während des Winters in der Sauna mit viel Elektrizität und Wasser einigermassen hinbekomme. Hier ist das ohne Zusatzkosten inkludiert.

Kondensations-Energie im Schlafzimmer

Um mit derartigen Bedingungen als ein auf ‚Winter‚ optimierter Schweizer zurechtzukommen, nutze ich ausgebuffter Physik-Kenner zu jeder vollen Stunde die Kraft der Verdampfungs-Wärme. Dazu tappe ich jeweils in der Dunkelheit in einem völlig fremden Zimmer ins Bad, um mich dort ‘nass zu machen’. Natürlich mit Wasser, das ich auf der Haut sorgfältig verteile. Dann tappe ich wie eine Kuh im Nebel meist unfallfrei zurück ins Bett – bis auf einen Vorfall, wo ich den grossen Zeh in einem Bettpfosten ramme, aus Rücksicht auf Peter dann aber nicht laut schreie, sondern nur verzweifelt vor mich hin huste. Anschliessend lege ich mich mit der kleinstmöglichen Auflagefläche zuoberst auf alle Decken. Natürlich, damit die Verdampfungs-Wärme möglichst effizient ihre Wirkung entfalten kann… he, wer sind wir denn! Dass bei solchen Bedingungen trotzdem nicht an vernünftigen Schlaf zu denken ist, versteht sich von selbst.

Le ‘Petit déjeuner’

Entsprechend ‘ausgeruht’ stürzen wir uns am Morgen freudig auf das Frühstücks-Buffet. Es ist typisch französisch, nicht so richtig ‘kontinental’ – und es trägt zu Recht das Adjektiv ‘petit’ im Namen. Ein Müsli basteln wir uns aus Honig und Nature-Joghurts, eine reichhaltige Fleisch-Theke stellen wir uns neben den Baguettes heute ebenso wie irgendwelche Eier einfach mal vor und das lebensnotwendige Koffein entnehmen wir sorgfältig einer durchsichtigen, bräunlichen Flüssigkeit, die auch von einer Autowaschanlage stammen könnte, welche zuvor eine Reihe ockerfarbig-staubige Renaults oder Peugeots (nicht Peters Lieblings-Fahrzeuge) reinigte. Wir haben beide glücklicherweise einige fest verbaute Reserven und verbrauchen heute einen Teil davon.

Schlomo, der schlanke Feinschmecker

Dann kommt Schlomo. Er gehört zur israelischen Segelflieger-Delegation, die uns am Tisch unter den kühlenden Bäumen nette Gesellschaft leistet und uns interessante Einblicke in den Storchen- und Segelflug in Israel ermöglicht. Schlank und rank schreitet Schlomo heran und greift sich von einem Ast zielsicher ein paar schwarze Beeren. Auf die Idee muss man erst mal kommen. Er ist allerdings schon länger hier und erweitert mit diesen seltsamen schwarzen Kügelchen, die überall herumliegen, offenbar seine geschmackliche Frühstücks-Palette. Wir versuchen’s auch und sind überrascht vom tollen Geschmack. So bleibt man also schlank!

Darf ich vorstellen? – Olivier, der Bienenzüchter!

Ein paar Dinge liebe ich an Peter besonders. Sie machen ihn einzigartig. Dazu gehört seine fröhliche Unbefangenheit, die immer und verblüffend schnell eine Brücke zum Gegenüber baut und häufig sehr unterhaltsam wird. Ausser Schlomo gesellt sich jetzt nämlich auch noch der jugendliche (also unter 50) Besitzer einer riesigen Baguette, verlockend gefüllt mit Thunfisch, Salat, Tomaten, Wurst undso zu unserer Tischgesellschaft. Nach kurzer Zeit offeriert Olivier, wie der junge Mann heisst, grosszügig einen Teil seines Frühstücks (hat er wenig überraschend unterwegs gekauft) uns übrigen, etwas hungrigen Tisch-Genossen. Jetzt sticht Peter der Hafer. Er will mehr über den edlen Spender erfahren. Sprachkenntnisse sind natürlich bei ihm kein Hindernis. Ich glaube sogar, gelegentlich einen netten provençalischen ‘Accent’ herauszuhören. Er ist ja auch häufig hier. Peter findet mit gezielten Fragen nach beruflicher Tätigkeit und privaten Leidenschaften nach kurzer Zeit heraus, dass Olivier gelegentlich hier als Fluglehrer arbeite. Im Nebenjob züchte er noch Bienen. Und er könne dank seiner fleissigen HelferInnen immerhin 2’000 kg Honig pro Jahr herstellen, sei aber damit einer der kleineren Fische im regionalen Honigteich. Ich sehe hinter dem Horizont schon eine erneute Lektion in Betriebswirtschaft wie beim kongolesischen Taxifahrer in Bourg-en-Bresse daherkommen, da wird einem von Schlomos Freunden die Geschichte doch langsam peinlich. Er stellt Peter und dem Rest der grinsenden Kameraden den Bienenzüchter Olivier etwas detaillierter vor. Wie erwähnt – so verwickelt man auch einen zweifachen Segelflug-Weltmeister sofort in ein entspanntes und lockeres Gespräch und erfährt obendrauf Dinge, die man ohne Peter nie im Leben herausgefunden hätte! Herrlich und unvergesslich.

Externe Starthilfe

Unsere neuen israelischen Freunde helfen uns danach mit der Zug-Ausrüstung ihres Arcus, unseren Vogel trotz grosser Hitze komfortabel bergauf an den Startplatz zu ziehen. Und Alfred Hörler hilft uns mit einem Kanister Mogas 98 aus. Erst hinterher wird mit bewusst, dass ich ihm dafür viel zu wenig Geld gegeben habe, verspreche hier aber hoch und heilig, das beim nächsten Treffen nachzuholen. Irgendwie hatte ich für den Rückflug sicherheitshalber nötige zehn Liter Benzin im Kopf. Am Ende des Tages werden wir nach dem Flug denn auch die gesamten 20 Liter des viel zu günstig gekauften Benzins wieder aus den Flächen laufen lassen (um die Gummi-Säcke-Benzintanks nicht zu beschädigen). Fred erzählt uns während des Tankens, wie vorsichtig sie jeweils beim Start- und Steigflug mit der Motor-Temperatur umgehen. Die heissen Temperaturen würden sich direkt in der Kühlwasser-Temperatur niederschlagen – nur schnelleres Fliegen oder die Reduktion der Leistung sowie ein sorgfältiger Kühllauf helfen da weiter.

Gemütlicher Start

Genau so machen wir es auch und lassen den Arcus M bei 43° Aussentemperatur gemütlich über die Vaumuse in die Voralpen der Region Digne-les-Bains steigen. Die Motor-Temperatur haben wir mit 10 bis 15 zusätzlichen Stundenkilometern im Griff. Nach einem ausgiebigen Kühllauf bis auf 60° C hinunter verdreht sich dann aber beim Einfahren der Propeller. Wenig erstaunlich, sorgt doch die beginnende, starke Thermik für deutliche Fahrt-Zunahmen (bei zu hoher Fahrt ist das Propeller-Einfahren schwieriger als bei korrektem Speed). Wir haben auch gelernt, dass es in dieser Situation am einfachsten ist, den Motor nochmals kurz zu starten und den Propellerturm wenn möglich automatisch einzufahren. Der zweite Versuch gelingt, vielleicht auch, weil ich nach Erreichen der Einfahr-Position die Propeller-Bremse ziehe und nicht mehr loslasse, bis der Schwirbel in den Rumpf einfährt. Dafür ist jetzt der Motor richtig ausgekühlt. Wir kommen in der wegen der aus Osten einfliessenden Feuchtigkeit unter den schnell hochschiessenden Cumulus-Wolken aus St.-Auban weg wie ‘im Traum’. Schon die ersten Aufwinde katapultieren uns in komfortable Höhen. Nach kurzer Zeit fährt Peter am Grand Bérard in einen starken Aufwind mit sagenhaften 5.7 m/Sek. ein. Das ist ja ganz anders als bei unserer letztjährigen Zitterpartie-Rückreise von Barcelonnette nach Schänis.

Archäologie-Übung im Queyras

Weniger gut geht es und später während unseres Anflugs auf Briançon, das eben noch spielend erreichbar schien. Peter wählt einen direkten Kurs zum Col d’Izoard. An der Ostkrete des Arvieux-Tales werden wir jedoch zügig heruntergespült und dürfen uns kurz darauf nördlich des Château Queyras eine bewaldete Skistation aus ungewollter Nähe ansehen. Peter rackert darauf zwanzig Minuten, um uns wieder auszugraben. Mir ist bis heute unklar, woher der starke und anhaltende Abwind entlang der Ostkrete des malerischen Arvieux-Tales hergekommen ist.

Unsere Kameraden aus Mollis sind inzwischen über alle Berge. Im Gegensatz zu uns machen sie sich Gedanken, wie sie, ohne von den aufschiessenden Gewitterwolken etwas abzubekommen, wieder nach ‘Hause’, zurück nach St.-Auban gelangen können. Wir haben indessen andere Sorgen.

Ab der Skistation von Serre Chevalier nordwärts trocknet die Luft ab. Sieht nicht so schön aus. Die praktischen Thermik-Markierungen sind von hochdruckbestimmter Warmluft fast komplett eingesammelt worden. Zum Glück nur fast.

Der wegen seiner unglaublich gestalteten Lufträume kaum überfliegbare Nationalpark der Vanoise steht wie ein grosser Stein in unserem direkten Weg nach Hause.

Füsse und Meter

Vor uns liegt im Nordosten die Querung des Nationalparks der Vanoise mit ihrer kaum passierbaren 1’000-Meter-Höhenbegrenzung, die wie eine grosse Käseglocke über unseren Wegen nach Norden liegt und in die wir mit der heutigen Thermikbasis-Höhe bis auf wenige, kaum praktikable Korridore mitten durch die Täler nicht einfliegen dürfen, ohne eine Busse der scharfgestellten Parkwächter auf den Pässen mit ihren Ferngläsern und einer OGN-Bodenstation im geländegängigen Renault zu riskieren. Böse Zungen behaupten ja unverändert hartnäckig, dass ein unbedarfter Beamter in der Schule nicht mitbekommen habe, dass vor 1793 (Einführung des dezimalen Metermasses) die vorhandene Menschheit in ‚Füssen‚ zu rechnen pflegte. Er habe dann praktischerweise das Metermass angewendet, immerhin wird das massgebende Muster davon ja in Paris aufbewahrt. Jedenfalls liegt dieser Park wegen seiner Beschränkungen wie ein grosser Stein vor dem Tor, durch das wir gerne wollen. Eine Passage via Aosta müssen wir der Wetteroptik wegen ausschliessen.

Unverhofftes Glück

Also entwickeln wir gezwungenermassen eine neue Taktik. Ich darf ab Nevache den Arcus steuern und entscheide mich für die ungemütliche Querung des Modane-Tales direkt nach Norden. Dieser Plan scheint von allen Optionen noch die beste zu sein. Unter uns zieht die gigantische ‘Soufflerie de Modane’ durch, in der schon Nuklearraketen wie auch der A30 auf ihre Aerodynamik untersucht wurden, während ich mit laserscharfem Blick die Pte. de l’Echelle ins Visier nehme.

Ich kann es kaum glauben, aber kurz, bevor wir da eintreffen, bildet sich ein kleiner ‘Fumulus’ – ein Wolken-Fetzchen. Und darunter klebt wie im Lehrbuch ein starker, wenn auch enger Aufwind. Da muss der Arcus durch, ich klemme ihn mit viel Querlage einfach da hinein und lasse ihn nicht mehr heraus, bis wir den Aufwind bis nach ganz oben ausgepresst haben. Unter uns drehen weitere Segler ein, während wir die kommenden Abschnitte zum Petit St.-Bernard zuversichtlicher als auch schon unter die Flächen nehmen. Vor lauter grossen Skigebieten verliere ich etwas den Überblick, aber es müssen Val Thorens, Pralognan, Courchevel (den markanten Altiport kann ich erkennen) gewesen sein, die wir auf dem Weg zum Gipfel der Bellecôte östlich der Skistation La Plagne passieren.

Am Grand Combin im Wallis spüren wir den Warmluft-Einfluss überdeutlich. Die Thermik blubbert nun nur noch.

Von Skistation zu Skistation

Es muss phantastisch sein, auf Skiern durch dieses riesige Gebiet zu gleiten. Die Skistationen sind offensichtlich miteinander verbunden. Bei mir sinkt inzwischen der Puls nicht nur, weil wir auf dieser für mich neuen Route den Nationalpark der Vanoise elegant umfliegen können, sondern auch, weil ein erneuter, unerwarteter Aufwind aus dem ‘Nichts’ unter die Flügel greift. Der Gipfel mit der obersten Skilift-Endstation von La Plagne (Bellecôte) trägt uns zuverlässig aufwärts und ich bin mir nach wenigen Kreisen sicher, dass wir heute mindestens das Wallis erreichen werden, auch wenn noch zwei Pässe dazwischen liegen, der Kleine und Grosse St.-Bernhard. So ziele ich zuversichtlich direkt in unsere Aufwindquelle über La Thuile, die uns gestern aus dem markanten Nordwestwind-Lee des Mont Blanc gerettet hat. Sie ist auch heute wieder im Dienst, wenn auch etwas widerwillig.

Tolle Aussicht auf die Südseite des Mont Blanc mit dem Peuterey-Grat.

Am Ende zuckeln wir gemütlich das Val Ferret entlang nordostwärts. Ich nehme vorsichtshalber mit, was ich an Höhe sammeln kann, auch wenn das nicht eben die schnellste Art ist, sich fortzubewegen. Aber wir müssen ja nicht unbedingt jedes Mal tief über die Pässe rauschen, etwas höher lässt sich das Segelfliegen entspannter geniessen.

Peter an der Deichsel

Etwas südlich der Skistation Orsières übernimmt dann Peter wieder den Knüppel und steuert uns souverän durch die Trockenthermik des Unterwallis. Die Aufwinde fühlen sich zunehmend wie an wie blubbernde Blasen. Erwischt man sie, steigt der Segler einen Augenblick sehr gut, fällt man (unvermeidlich) heraus, findet man sich sofort in Abwinden wieder. Eine nervenaufreibende Sache, vor allem, wenn Gleitschirme und andere Segler ebenfalls krampfhaft versuchen, die Blasen zu erwischen. Es riecht nach Warmluft. Je mehr wir uns der Quelle der Rhône nähern, umso ausgeprägter wird dieser Effekt. Schliesslich geben wir uns im Binntal geschlagen und beginnen etwas tiefer als gewünscht den Endanflug. Wenn wir irgendwo noch was mitnehmen können, sollte es trotzdem nach Hause reichen.

Das Matterhorn und seine eisigen Kameraden.

Absolut tote Luft

Ab der Furka gleiten wir jedoch gefühlt ‘durch Wasser’. Kein Lüftchen bewegt sich mehr. Peter klopft sicherheitshalber alle bekannten Thermik-Stellen des Reusstales ab. Bald einmal zeichnet sich ab, dass wir den Klausenpass, den letzten Übergang an unser heutiges Ziel, nicht mehr werden überfliegen können. Frühzeitig entscheiden wir, mit der Streckenwahl über Schwyz unser Glück zu suchen. Da endet dann wenig überraschend der motorlose Teil unserer Rückreise. Wir müssen kurz vor dem Ziel nochmals für ein paar Minuten den Motor in Betrieb nehmen. Der startet gewohnt zuverlässig und ohne den geringsten Mucks und bringt uns sicher auf Endanflughöhe.

So stabil hat sich die Luft über der Schweiz tatsächlich auch angefühlt.

Perfekter Eigenstarter-Einsatz

Trotz dieses kleinen Schönheitsfehlers sind wir uns einig: wir werden diese Art des Segelfliegens wenn immer möglich wiederholen. Das Konzept, mit diesem schnittigen Eigenstarter gemeinsam zu neuen fliegerischen Horizonten aufzubrechen, funktioniert perfekt. Weder gestern noch heute hätten wir ohne den Motor im Rücken den Flug in der letztlich vollendeten Form gewagt. Setzt man den Motor so ein, dass man beim Ein- und Ausfahren ein landbares Feld oder einen Flugplatz unter sich hat, erlebt man keine unliebsamen Überraschungen und profitiert von den Vorteilen sowie dem Komfort eines planbaren Fluges. Die Aufteilung der Tätigkeiten im Cockpit auf einen fliegenden und einen navigierenden Piloten, der sich auch um Freigaben kümmert, sorgt für eine genussvolle und entspannte Atmosphäre.

Has to be repeated!

Details des Fluges.

*) WG = Wohngemeinschaft, temporäre Schicksalsgemeinschaft

Nach Südfrankreich ‘auf einer Backe’? – nicht immer!

Die Wandersegelflug-Daten für dieses Jahr und die Wetterbedingungen sind diesen Sommer gut aufeinander abgestimmt: nach einem ersten Rundflug nach Südfrankreich, das Zentralmassiv, den Jura und die Schweizer Voralpen dürfen wir erneut im Arcus-M-Cockpit für einen Kurztrip durch die französischen Alpen Platz nehmen. Diesmal erwischen wir auf einigen Strecken-Abschnitten auf dem Weg von Schänis in die Haute Provence hervorragende Segelflug-Bedingungen mit einer Wolkenbasis von 5’500 m.ü.M. Das führt zu neuen Herausforderungen.

Psychologischer Vorteil: der Motor

Anfangs will unser Vorhaben, von Schänis aus in eines der südfranzösischen Segelflug-Zentren zu reisen, nicht recht vorwärts kommen. In unserem Abfluggebiet, den Glarner Alpen, hängt den ganzen Vormittag über die Feuchtigkeit an allen Bergflanken. An ein Wegkommen aus diesem Dampf ist ‘aus eigener Kraft’ nicht zu denken. Dank unseres modernen Eigenstarters können wir aber den Ort und die Höhe, auf der wir den Motor ‘verpacken’ sorgfältig selber wählen. Soweit unser Plan. Ich steure den Arcus M also mitten in die Glarner Hochalpen. Auf Augenhöhe mit dem Piz Segnes stoppe ich die Maschine und gleite im schwachen Hangwind den nach Norden ausgerichteten Bergflanken entlang über den Vorab-Gletscher – und von dort direkt zu den tief gelegenen Thermik-Einstiegspunkten am Piz Mundaun auf der anderen Seite des Vorder-Rheintales. Mir fällt während des Gleitfluges auf, dass der Nordwind für die heutige, flache Druckverteilung erstaunliche Kräfte entwickelt. Das Abwindfeld am Grap Sogn Gion ist beeindruckend – nichts wie weg auf die andere Talseite! Diesen Schritt würde ich offen gestanden ohne den eingebauten Motor kaum wagen. Denn man muss daran glauben, dass die feuchten Wattefetzen knapp über den Kreten des Lugnez brauchbare Aufwinde markieren.

Streckenweise treffen wir auf diesem Flug von Schänis in die Haute-Provence auf die besten thermischen Verhältnisse, an die ich mich in über 30 Jahren erinnern kann – aber wir müssen uns dieses Segelflieger-Paradies mit einem zählen Beginn verdienen.

Wir kommen nicht vom Fleck

Die ersten Lupfer über dem Val Lumnezia sind wie erwartet zaghaft – aber es hat wenigstens welche! Ich zirkle zwischen dem deutlich spürbaren Versatz durch den Nordwind und den Aufwindfeldern die nach Westen ansteigende Krete zum Piz Nadéls hinauf. Richtig gut geht das nicht, auf Kretenhöhe ‘rinnen’ mir die Aufwinde jeweils wieder ‘zwischen den Fingern’ hindurch. Hätte ich doch nur mal richtig fliegen gelernt! Die Lage wird auch am deutlich zerklüfteteren Piz Medel nicht besser. Am Ende muss Peter die Sache retten und zaubert auf der Westseite des Val Medel erstmals eine ‘3’ auf die erste Stelle der Höhenmesser-Anzeige. Nichts ist geschenkt heute. Auch er mogelt sich den Kreten entlang am Andermatter Gemsstock vorbei an die Furka. Dort kriechen wir mehr über den hohen Pass als wir fliegen.

Das Oberwallis aus der Nähe betrachtet

Dann wird unsere Reise etwas zur Nervensache. Keines der vermuteten Aufwindfelder im Oberwallis will uns richtig tragen bzw. durch mindestens eines rausche ich im Übermut auch noch hindurch. Aber der ‘Hätte’, der ‘Könnte’ und der ‘Würde’ sind die am meisten erwähnten Weltmeister! Ich fliege tief, aber wenigstens gezielt weiter über den Flugplatz Münster. Wenn wir sonst schon nichts (Höhe) haben, wir kennen zumindest einen Plan,! Langsam werde ich nervös. Wenn ich hier nichts finde, müssen wir den Motor zu Hilfe nehmen (was mit der Hartbelagpiste unter uns jedoch zu verantworten wäre). Der Segelflieger, der nun auf der Nordseite des Tales (in der Lee-Thermik) aus einer Runse im Wald nach oben steigt, hilft psychologisch auch nicht weiter. Erneut muss ich ehrlicherweise zugeben, dass ich ohne die 65 PS im Rücken schon gar nicht auf die Idee käme, ins Oberwallis einzufliegen.

Aus der ‘Runse zur letzten Hoffnung’…

In der ‘Runse zur letzten Hoffnung’ zwischen Blitzingen und Reckingen bewegt sich aber die Luft um uns herum endlich und in die gewünschte Richtung. Das Variometer klettert endlich auf brauchbare Werte und ich kann nahe am Gelände mit voller Konzentration und ständigem Schielen auf den Fahrtmesser einen wirbligen Aufwind packen. «So, jetzt kommen wir endlich wieder ins Geschäft!» Das war jetzt richtig knapp, nur wenige Höhenmeter haben noch gefehlt, bis ich den Motor gestartet hätte.

…direkt zum Zischen der Sauerstoff-Anlage

Mehr als 1’000 Meter kann ich unsere temporäre, fliegende Wohngemeinschaft in die Höhe ziehen. Über dem Binntal sehen wir erstmals am heutigen Flugtag die Welt aus einer normalen Segelflug-Optik. Nun ist auch das stetige, beruhigende Zischen von Peter’s Sauerstoffanlage erstmals im Cockpit zu hören – ein sicheres Zeichen, dass wir uns in einem komfortableren Höhenband als bisher bewegen.

Nicht wie sonst

Nun kommt etwas Bewegung in unser Projekt. Denn Peter kann mit ausreichend Geduld über den schotterigen Skipisten von Grächen erneut entscheidende Höhenmeter aus einem verwirbelten Aufwind zaubern. Dieser entsteht erstaunlicherweise nicht wie häufig über dem zackigen Granitgrat des Seetal- und Gabelhorns, sondern versetzt aus den sonnenbeschienenen Talflanken heraus. Da dürfte der Talwind sowie der unvermindert spürbare Nordwind, die zusammen durch das Vispertal hinauf streichen, eine Rolle spielen.

Der Entscheid, weiter nach Südwesten weiter zu fliegen, fällt uns angesichts dieser pröchtigen Aussicht leicht.

Vorwärts-, nicht zurück-schauen!

Wie auch immer – wir spielen ab sofort in einer anderen Liga und stehen vor dem Entscheid, was wir mit unserer bisher höchsten, erreichen Flughöhe unternehmen wollen. Die Schweizer Luftwaffe ist heute im Dienst, damit ist auf 3’900 m.ü.M. die Maximalhöhe erreicht, auch wenn ich sicherheitshalber bei Geneva Information noch um eine Höhen-Freigabe nachfrage. Im Südwesten sieht die Wetteroptik über dem Gran Paradiso verlockend aus. Zurück will keiner von uns – also los!

Gegenverkehr

Als erstes fädeln wir mit ausreichend Abstand zum bestimmt vorhandenen Abwindgebiet südöstlich der Dent Hérens ins Valpelline ein. Da ist allerhand Plastik in der Luft, aus Südwesten schiesst uns auf verschiedenen Höhen mindestens ein Dutzend Segelflugzeug mit Kurs ‘Matterhorn’ entgegen. Wir diskutieren einen Moment unsere weitere Flugroute. Die auf den ersten Blick naheliegendere Variante ohne lange Talquerung zur Grivola, die uns via Petit St.-Bernard nach Süden führt, gewinnt am Ende. Wir sind danach beide überrascht, wie stark und grossflächig die Abwindgebiete sind, die südöstlich des Grand Combin sowie der hohen Gipfel-Kette zwischen Mont Dolent und Mont Blanc entstehen.

Die Nordseite des Aostatales hält heute eine unerwartete Überraschung in Form saftiger Abwindfelder für uns bereit. Nach dem Höhenflug im Wallis bewegen wir wieder deutlich tiefer durch die Landschaft.

Starke Abwindfelder

Entsprechend schnell bewegen wir uns wieder in einem wesentlich tieferen Höhenband. Abhilfe schafft am Ende nur die schnelle Flucht nach La Thuile am Petit St.-Bernard. Dort schlägt der Nordwind erstens kanalisiert auf einen Berghang, zweitens hoffen wir, da auf Thermik und Talwind aus dem engen Talg der ‘Dora Baltea’ zu stossen, die hinunter nach Aosta fliesst.

Wir können es kaum glauben, aber der Aufwind über Val d’Isère dreht hinauf bis 5’5’00 m.ü.M.

Und der Aufwind des Tages – alles am Anschlag

Peter dreht die HB-2480 dort in engen Kreisen geduldig wieder in komfortablere Höhen. Sie ermöglichen uns den direkten Anflug zur Grande Sassière bei Val d’Isère. Dort erwartet uns der Aufwind des Tages. Wir können es kaum glauben. Die Wolken-Untergrenzen liegen hier weit über 5’000 m.ü.M. Der Aufwind ist stark und regelmässig. Genau betrachtet ist zeitweise alles am Anschlag und der Höhenmesser dreht sich wie der Sekundenzeiger einer Armbanduhr.

Das Zischen der Sauerstoff-Anlage ist jetzt dauernd zu hören. Blöd nur, dass ich meinen Anschluss im Cockpit der ASW-20-B zuhause gelassen habe. Dort nützt er gerade nicht so viel. Und wir müssen unseren Steigflug deswegen früher als gewollt unterbrechen.

Der Rest des Fluges ist damit schnell erzählt. Denn mit unserer komfortablen Höhe ist es sicher, dass wir nahezu jedes südfranzösische Segelflug-Zentrum locker erreichen werden. Es geht nun dementsprechend lange geradeaus. Nur über Briançon kann ich einem starken Aufwind nicht widerstehen und klettere nochmals zum Spass ein paar Hundert Meter höher – auch wenn wir damit nichts mehr anfangen können. Hier liegt die Wolken-Untergrenze auf 5’600 m.ü.M. Sowas habe ich in 30 Jahren Südfrankreich-Fliegen noch nie erlebt!

Wir treffen über den französischen Alpen auf perfekte thermische Bedingungen. Die Aufwinde sind verbreitet stärker als 5 m/sec. Die Wolken-Untergrenze liegt weit über 5’000 m.ü.M. Sowas habe ich in dreissig Jahren noch nicht erlebt.

Lufträume! Lufträume!

Die heutige fliegerische Herausforderung besteht nun plötzlich nicht mehr im Finden von Aufwinden, sondern im korrekten Umgang mit den Luftraum-Beschränkungen Südfrankreichs. Denn unsere ungewohnte Flughöhe ist selbst mit Maximal-Speed kaum reduzierbar, weil ‚gefühlt‘ DIE Luftmasse über den französischen Alpen kräftig aufwärts strömt. Ich versuche noch, Freigaben zu bekommen, kann aber auf keiner der dafür zuständigen Frequenzen eine Antwort bekommen. So hilft nur ‘Slalom’-Fliegen’ um ungewolltes Einfliegen in die ‘metallhaltigen’ Durchflugstrecken der Linienflieger zwischen Lyon und Nizza zu vermeiden. Eine nächste Herausforderung ist ausserdem, aus der Fülle möglicher Zielorte einen für uns geeigneten Flugplatz herauszufiltern.

Gesucht: altersgerechte Unterkunft

Es ist unverändert unser Ziel, nicht in einer staubfreien Hangarecke auf irgendeiner dünnen Unterlage zu ‚übernachten‘ und womöglich einen Hexenschuss einzufangen. Wir mögen es inzwischen lieber komfortabler. So ein Bett z.B. wäre eine praktische Sache. Oder etwa eine Dusche. Und dann wenn möglich noch etwas Feines für die Glättung der heute beim Fliegen während der unvermeidlichen Fastenzeit entstandenen Falten am Bauch zwischen die Beisserchen zu bekommen.

‘Call-Center’ wird neu definiert

Über die bekannten Flugplatz-Frequenzen können wir lange keine vernünftige Auskunft erhalten, ob eine Übernachtung möglich sei. Ausser in St.-Auban. Da meldet sich subito eine kompetente Auskunftsperson am Funk. Wäre es organisatorisch möglich, hätte er uns vermutlich gleich den Zimmerschlüssel hochgereicht! Das hört sich ja an wie ein Musterbeispiel für professionelles Gäste-Management! Das war es dann am Ende auch. Wir sind hoch willkommen.

Im Wandersegelflieger-Paradies

Wir treffen in St.-Auban auf eine Art voll ausgestattetes ‘Wander-Segelflieger-Paradies’. Erstens ist da ein Hangar-Platz frei (gegen eine geringe Miete von EUR 15.-/Tag). Zweitens ist die Unterkunft direkt am Platz. Drittens besteht die Möglichkeit, den Benzinvorrat zu ergänzen. Viertens findet abends eine ‘Grill-Party’ für die anwesenden, internationalen Gäste, statt. Und fünftens betreibt der Flugplatz einen Pool! Es geht nicht lange, und wir hüpfen genau da vergnügt hinein. Das ist angesichts der hier gemessenen Temperaturen ein wahres Vergnügen. Das Thermometer kletterte in St.-Auban nämlich auf 43° Celsius. Das ist eine brutale Hitze, auch wenn man sich in dieser Gegend hohe Temperaturen durchaus gewohnt ist.

Der Arcus M findet im Hangar von St.-Auban auch eine passende Bleibe für die Nacht.

Unsere Nachbarn sind schon da.

Interessant ist auch das Publikum in St.-Auban. Die japanische Segelflug-Nationalmannschaft trainiert für die nächsten Meisterschaften. Eine Anzahl israelischer Piloten geniesst hier die Vorteile weltmeisterlicher Fluglehrer und den relativ freien Luftraum (verglichen mit jenem über Israel bestimmt paradiesisch frei) – sowie Fritz Tresch, Daniel Künzler und Alfred Hörler vom Flugplatz Mollis. Der ist keine 20 Kilometer von unserem Schweizer Heimatflugplatz entfernt. Was für ein Zufall! Wir geniessen einen gemütlichen Abend zusammen und lassen uns das Nachtessen vom Grill mit ausreichend flüssiger Nahrung schmecken.

Peter kämpft entschlossen an diesem Tag mit Temperaturen über 40° C gegen die drohende Dehydrierung .

Horizont-Erweiterung

Was für ein toller Tag! Der Arcus M hat heute wieder gezeigt, wie man mit einem Eigenstarter-System seinen fliegerischen Horizont erweitert. Ohne Motor hätte ich heute zweimal abgebrochen. Aber mit ihm sitzen wir nun gemütlich unter den schattigen Bäumen des Flugplatzes St.-Auban und unsere einzige Sorge ist, wie man die Nacht in einem ziemlich aufgeheizten Gebäude schlau übersteht. Aber davon dann mehr im nächsten Bericht über unsere Rückreise in die Schweiz.

Das französische Segelflug-Ausbildungs-Zentrum in St.-Auban zeigt sich bei unserem Besuch von seiner freundlichsten Seite. Nach dem Pool-Besuch dürfen wir uns gleich bei der Grillparty anmelden.

Die Details des Fluges finden Sie hier.

«Ja, und wir sind eine CTR»!

Am dritten Tag unseres Wandersegelfluges wollen wir mit dem Arcus M vom westlichen Ende des Jurabogens nach Nordosten in den Schwarzwald – oder wenn es sehr gut laufen würde, für einen Flug bis nördlich der Vogesen reisen. Aber es kommt ganz anders heraus.

Zahlenhaufen zum Frühstück

Vom hinteren Taxi-Sitz aus verfolge ich auf der Fahrt zum Flugplatz eine interessante Lektion in Betriebswirtschaft. Ausgelöst hat sie der fröhliche Chauffeur, der uns mit allerhand Verspätung im Hotel abholt (nachdem wir erneut ein Dutzend Anrufe benötigten, um an diesem heissen Samstagmorgen überhaupt ein Taxi zu finden). Neugierig, wie Peter nun mal ist, erkundigt er sich nach dem Gang der Taxigeschäfte. Diese seien ganz gut, vor allem seine Fahrten mit Handicapierten in die Schweiz seien eine gute Geschäftsgrundlage… Jetzt will es Peter aber genau wissen. Was man denn für einen solchen Transport von hier nach Bern und zurück aufwenden müsste? Naja, etwa EUR 350.- seien es für diesen Tagesausflug nun mal. Ich kann beinahe greifen, wie in Peters Kopf die virtuelle Tabellenkalkulation die Benzinkosten, Autobahngebühren, Fahrzeug-Amortisation, Fahrer-Lohn und Arbeitsstunden gegen den erwähnten Fahrpreis aufrechnet. Dann rattert er dem verdutzten Fahrer einen vollständigen Betriebsabrechnungsbogen herunter (in Französisch, wohlgemerkt…). An dessen unterster Zeile steht eine glasklar begründete, 50%ige Fahrpreis-Erhöhung. Am Ende verlassen nach einer angeregten Diskussion zwei fröhliche Fahrgäste einen etwas nachdenklicheren Taxifahrer vor dem Flugplatz-Tower von Bourg-en-Bresse. Ich bin mir sicher, dass die früheren Discount-Angebote dieses kongolesischen Einwanderers noch in der Folgewoche die Rhône hinunter gespült wurden!

Auch Bourg-en-Bresse kennt Landegebühren

Auch wir werden kurz durchgespült. Bei unserem unschuldigen Versuch, ins gesicherte Flugplatz-Gelände zu gelangen, begrüssen wir freundlich den heute Morgen schon früh werktätigen Mitarbeiter des Towers. Einer der Segelflieger hat gestern eine ebenso selbstsichere wie abfällige Bemerkung gemacht, dass wir bestimmt keine Landetaxen bezahlen müssten… Glücklicherweise hören wir solche Bemerkungen inzwischen mit einer gewissen Sensibilität und fragen nach – die wenigen Euro, die wir danach abliefern, sind auf jeden Fall der geringere Aufwand, als z.B. von der ‘Run-up-Postion’ mit unserem am Boden etwas unhandlichen Vogel wieder zurück zum Tower zu rollen, um die Flughafengebühren zu begleichen.

Die einheimischen Segelflugpiloten starten nie vor 14:00 Uhr. Jetzt wissen auch wir, warum man um 10:30 noch viel zu früh dran ist.

Verschlafene Segelflieger

Sobald sich erste Thermikzeichen am Himmel südwestlich von Genf zeigen, starten wir auf der grossen Hartbelagpiste in Bourg und fliegen nach Nordosten. Der Plan ist, die Thermik am Jura zu nutzen und zügig in die Region Basel zu kommen. Die einheimischen Segelflieger haben uns gestern noch freimütig erklärt, dass sie keineswegs vor 14:00 Uhr an einen Start denken würden. Vorher sei hier in der Region nichts zu machen… Nicht, dass wir Ratschläge Einheimischer grundsätzlich missachten würden. Aber selbstbewusst, wie wir sind, können wir kaum glauben, dass man an so einem Ort dann überhaupt Segelflieger ist… Die verschlafen ja die meiste thermische Zeit zuhause beim Frühstück!

Im Steigflug von Bourg-en-Bresse über die ersten Juraketten in Richtung Genf. Sogar der Propeller verbiegt sich heute.

Kopfvoran in die kontrollierten Lufträume

In den ersten Aufwinden dämmert mir dann, dass heute keine ‘brüllende’ Thermik zugange ist. Müde schaukle ich den Arcus unter den ersten Wolkenfetzen nahe an der Genfer CTR-Grenze umher. Für 30-cm-Aufwinde ist dieser grosse, schwere Vogel nicht ideal. Und die besten Aufwinde stehen natürlich im kontrollierten Luftraum gleich nebenan. Der Genfer Lotse lässt sich aber angesichts der eintreffenden RyanAirs und EasyJets keinesfalls zu einer Freigabe überreden, auch wenn unser Transponder einwandfrei sendet und ich mich an die Höhenfreigaben halten würde.

Ich kriege ja auch sonst meine Thermikkreise nicht immer ins Zentrum des Geschehens. Heute ist alles noch schwieriger, weil ich die wenige Thermik, die aus dem kontrollierten Luftraum heraus-schwappt, jeweils bis 50 m vor der unsichtbaren doppelten Sicherheitslinie der CTR Genf in einem Viertelkreis mitnehmen muss, wenn wir überhaupt irgendwie steigen wollen. Nicht einfach, sage ich Ihnen!

Zum Glück fliegt dieser Vogel so gut

Es geht mehr schlecht als recht aufwärts. Wir bewegen uns maximal auf 5’500 Fuss. Und die ewig langen Sprung-Distanzen zum nächsten ‚Fumulus‚ (Cumulus im Embrio-Stadium) machen die Aufgabe nicht einfacher. Dank der ausgezeichneten Gleit-Leistungen des Arcus M kommen wir dennoch langsam in die Region Lausanne. In den Schweizer Voralpen liegen die Cumulus im Gelände auf. Aber da hat es wenigstens welche. Auf unserem geplanten Kurs ist alles trocken und blau, kaum Anzeichen möglicher Aufwinde. Erste Zweifel machen sich breit, wo wir hinfliegen sollen. Am liebsten würde ich schon hier den Blinker nach rechts setzen und in die Waadtländer Alpen queren. Das ist bei unserer tiefen Ausgangshöhe aber auch keine vernünftige Idee. Als wursteln wir uns unter erster Zuhilfenahme des Motors weiter Richtung Neuenburg. Die schwachen Aufwinde stehen trotz kaum vorhandenem Wind weit neben ihren ‘Markierungen’, die durchsichtigen Wolken zerfallen meistens, wenn man unter ihnen eindrehen will.

Genug vom Jura

Kurz vor La-Chaux-de-Fonds verlieren wir beide die Geduld. Wir entschliessen uns entgegen der ursprünglichen Pläne, hier die vorhandene Höhe für eine Querung des Schweizer Mittellandes zu nutzen und planen, den Militärflugplatz Payerne zu queren und exakt da drüber den Motor zu starten, um die Fribourger Alpen zu erreichen.

Wie mitten im Meer

Ich kümmere mich um die Freigabe, welche der Lotse unkompliziert erteilt. Mit der Bewilligung in der Tasche, mich über Payerne zu melden, quere ich tief den Neuenburgersee. Der ist ziemlich gross, wenn man ihn in einem Segelflugzeug aus 1’300 m.ü.M. betrachtet, wird er noch etwas grösser. Bis Mitte See ist die Welt bestens in Ordnung.

Divert to Yverdon!’

Doch dann traue ich meinen Ohren nicht. Der Fluglotse schickt mich wegen eines Anfluges nach Südwesten, nach Yverdon. Das ist so ziemlich entlang der Längsachse des Sees und an eine Notlandung ist da nirgendwo zu denken, die Ufer sind zu steil.

Denkwürdiger Funkverkehr mit der Militärbasis Payerne

Aufgrund unserer gestrigen Erfahrung mit einer Lotsin aus Lyon, der wir am Funkgerät das Prinzip des Segelfluges erklärten und die Unmöglichkeit begründeten, damit eine bestimmte Flughöhe zu halten, wage ich vorsichtig, den Lotsen in Payerne darauf hinzuweisen, dass wir ein Segelflugzeug seien: ‘Payerne Tower – HB-2480 – roger, will divert to Yverdon due to trafic – but for your information, we’re a glider and continuously descending…’. Die Antwort kommt postwendend. ‘… and for your information, and we’re a CTR’! Ich kann mir einen lauten Lacher nicht verkneifen. Der Mann hat natürlich nicht nur Recht, sondern zeigt noch Humor bei der Arbeit!

Brav fliege ich – damit ausreichend ausgestattet – weiter in den grossen See hinaus und harre der Dinge, die da hoffentlich bald kommen werden.

Irgendwann auf etwa 400 Meter über Wasser zeigt der Lotse dann doch Erbarmen mit uns und wiederholt seine frühere Freigabe. Bevor er es sich erneut anders überlegt, ändere ich den Kurs – und wir starten wie geplant, tief, aber über der grossen, sicheren Piste problemlos den Motor.

Eine sichere Bank beim Starten des Motors: die endlos lange Piste der Militärbasis von Payerne.

Pampige Voralpen

In den Fribourger Voralpen treffen wir wieder auf schön zeichnende Cumulus-Wolken. Darunter sind die bisher besten Aufwinde – aber auch sie ‘ziehen’ nicht durchgängig schön aufwärts. Es ist aber ein Gerücht, dass sich die Simmentaler Rinder wegen der heute wieder mal tief fliegenden Arcusse beim obersten Rindvieh-Rat beschwert hätten. Aber wir sind schon nahe dran gewesen.

Die Schönheiten des Simmentals haben wir heute mal wieder aus unerwarteter Nähe betrachtet.

Die Temperatursonde wird das und auch die Fliegerei entlang der Voralpen-Kämme nach Osten abends erklären. Wir fliegen in ziemlich stabilen Verhältnissen! Das aufbauende Hoch dämpft mit seiner einfliessenden Warmluft jede vernünftige Thermik-Entwicklung. Aus der Distanz betrachtet, versinkt fast die ganze Jurakette im blauen Dunst, allein über dem Schwarzwald entwickeln sich schöne Wolken. Aber da wären wir wohl nie hingekommen.

Erstaunlich, dass man mit dieser Temperatur-Verteilung überhaupt segelfliegen kann.

Gefangen im Kessel von Schwyz

Anfangs komme ich über dem Simmental nur nach langem K(r)ampf mühsam auf Kretenhöhe, später kämpft sich Peter zwischen Thunersee und Vierwaldstättersee mühsam der Schrattenfluh und dem Glaubenbergpass entlang ostwärts. Teilweise schlagen wir beim Kreisen im vermeintlichen ‘Aufwind’ die Köpfe an die Haube. Am Ende sind wir – weil wir einfach keine anständige Operationshöhe erfliegen können, im Schwyzer Talkessel gefangen und geben uns nach langem Kampf geschlagen. Da muss eben der Motor nochmals ran. Das ist der grosse Vorteil dieses Eigenstarter-Systems, man kann sich damit und wenn man sie richtig verwendet, auch mal in Regionen wagen, in die man üblicherweise bei den herrschenden Bedingungen gar nicht einfliegen würde.

Zum Glück habe ich gestern Abend ausreichend Benzin dazugekauft – einen Teil davon verwenden wir nun für einen letzten Motor-Einsatz über dem Aussenlandefeld am Lauerzersee, der uns dann in wenigen Minuten auf Endanflughöhe von Schänis bringt.

Wir wechseln unser Flugziel ‚Elsass‘ zurück auf ‚Schänis und fliegen in pampiger Warmluft den Voralpen entlang nach Osten – hier über dem Thunersee.

Das Toggenburg ist das schönere Elsass

Da erklären wir dann unseren neugierigen Fliegerkameraden, dass wir mal wieder das Toggenburg mit dem Elsass verwechselt hätten und nun eben bereits etwas früher als geplant wieder zuhause seien. Aber der folgende Tag, den wir für einen schönen, wenn auch mit einigen Tiefpunkten versehenen Rundflug ins Engadin, Veltlin, Tessin und zurück nach Schänis via Lukmanier-Pass nutzen können, zeigt, dass wir mit unserer Flugplanung am Ende doch nicht so verkehrt lagen und mit dem vorhandenen Wetter tolle Flugtage geniessen konnten.

Immer wieder erstaunlich ist dabei, dass selbst bei flacher Druckverteilung – etwa an unserem ersten Flugtag nach Südfrankreich – grossflächig starke Winde entstehen können. Und ebenso erstaunlich ist die Wirkung absinkender Warmluft. Die fühlt sich an, als würde die Thermik im Leim kleben bleiben. Aber von derlei Ungemach lassen wir uns nicht aufhalten.

Besuch unserer Molliser Segelflieger-Nachbarn – in Frankreich

Unsere nächste Reise wird uns erneut nach Südfrankreich führen. Das Wetter war eben gerade da wieder am idealsten. Diesmal besuchen wir unsere Nachbarn vom Flugplatz Mollis – im französischen Segelflug-Ausbildungs-Zentrum Château Arnoux St.-Auban… Wie das beim Wander-Segelflug so sein kann, eher zufällig und auch der Weg dahin führte nicht nur abwärts… Demnächst geht’s hier weiter. Bleiben Sie vorsichtig.

Von Fallschirmen, Foie Gras und berühmten Hühnern

Die heutige Reise führt uns nach unserer gestrigen, tiefen Alpenbogen-Umrundung über ein endlos breites Rhônetal, hinauf durch das französische Zentralmassiv, weil es beim ersten Mal nicht so gut klappte, übungshalber wieder zurück durch ein noch endloseres Rhônetal an den Fuss des Juras. Und das bei Cockpit-Temperaturen, bei dem man sonst Gemüse gart.

Die Eiersuppe

Entspannt geniessen wir bei einem für französische Verhältnisse ‘ausgiebigen’ Frühstück im Flugplatzhotel hinter der Fallschirmspringer-Soufflerie den Start in unseren heutigen Flugtag. Das Morgenessen ist inzwischen ein sensibles Thema. Denn von scharf abgezählten Croissants, unfreiwillig vegetarischen Buffets oder Nature-Joghurts, die nur durch Beimischen von Honig oder Konfitüre etwas Geschmack gewinnen, haben wir schon alles durchprobiert. Peter amüsiert sich diesmal über meine etwas umständliche Eier-Köpfungs-Methode und demonstriert eindrücklich, wie das richtige Männer heute so machen. Schwungvoll setzt er mit dem Messer seitwärts an. Und dann spritzt es nur so durch die Landschaft. Denn die Eiersiede-Maschine ist seit heute Mitglied der ‘Gilets Jaunes’ und arbeitet nur in Teilzeit. Entsprechend flüssig ist das Innere von Peters Ei. Das Resultat: eine erstaunliche Eiersuppe im Teller und seiner Nachbarschaft.

Die FallschirmspringerInnen

Auf dem Weg ins Flugplatzbüro fallen uns die überraschend zahlreichen KundInnen des Fallschirmspringer-Zentrums auf. Die füllen hier jeden Tag eine ganze Turnhalle mit Gästen, die offensichtlich bereit sind, sich aus einem völlig intakten Flugzeug zu stürzen (was ich gar nie machen würde). Ein grosser Teil sind junge Frauen. Die wiederum werden (wahrscheinlich) von sehr attraktiven jungen Fallschirm-Instruktoren in hautengen Sprunganzügen magisch angezogen. «Aha, darum haben wir im Segelflug zuwenig und nicht diese Art von Nachwuchs». Denn wenn ich mir vor meinem geistigen Auge einen Moment vorstelle, wie zwei gestandene Mitfünfziger und Beinahe-Sechziger mit etwas ‘Fleisch am Knochen’ in diesem Gewande auf 20jährige Ladies wirken, ist schlagartig alles klar. Wer will schon an eine riesige ‘Blutwurst’ gefesselt auf 5’000 m.ü.M. im freien Fall gen Boden stürzen? Allein die Aerodynamik dieses Freifall-Gespannes wäre ein genaueres Studium wert.

Der Taschenmesser-Trick

Wir überwinden unsere kurzzeitige Alters-Depression und geniessen den Komfort eines sehr freundlichen, hilfsbereiten Empfanges durch den Tower-Mitarbeiter, der sich sogar bereit erklärt, uns in seinem Dienstfahrzeug zum Arcus M zu fahren. Der stünde zwar keine 200 Meter von uns entfernt, aber dummerweise auf der anderen Seite der Piste. Zu Fuss gehen geht gar nicht – gestern sind wir über die Massen sportlich zweimal rund um den grossen Flugplatz gewandert. Das zu vermeiden, ist eines unserer heutigen Ziele. Unterstützt werden wir dabei von unserer ‘Geheimwaffe’. Schweizer Offiziers-Taschenmessern. Davon haben wir auf unseren Wandersegelflügen immer eine Anzahl dabei. Die verteilen wir grosszügig an potenzielle Helfer, ohne die wir häufig nur mit deutlich mehr Aufwand weiterkämen.

Startbereit auf dem Flugplatz in Gap.

Wir machen unseren Arcus M startklar. Dabei benötigen wir erneut etwas Hilfe, damit der Arcus mit uns um die Wette strahlt: Putzzeug. Ein weiteres Taschenmesser wechselt den Besitzer. Diesmal zu einem Urlauber aus Pforzheim, der uns netterweise Eimer, Schwamm und Hirschleder zur Verfügung stellt.

Nach dem üblichen ‘Rennkamel-Einsatz’ am Flügel-Ende starten wir (ich etwas ausser Atem auf dem hinteren Sitz) südlich der Ceüse unser Thermik-Abenteuer.

Da ist unsere Welt noch in Ordnung – kurz vor der Querung des Rhônetals südlich des Pic de Bure und im Anflug auf die Glandasse, die uns auf Überflughöhe bringen soll.

Der Rand der flachen Scheibe

Schnell bewegen wir uns durch die kräftige Thermik der Haute Provence und der Drôme nordwestwärts und erreichen via Lus-la Croix-Haute die Glandasse mit dem unverkennbaren Mont Aiguille, den Col Rousset und dann sowas wie das ‘Ende des Alpenbogens’. Vor uns breitet sich eine unglaublich weite Ebene aus: das Rhônetal. So müssen sich Christoph Kolumbus und seine Matrosen auf der Reise nach Westindien gefühlt haben. Als würde man jeden Moment über den Rand der flachen Scheibe hinunterfallen. Leider reicht die Thermik hier nur bis auf 2’100 m.ü.M. hinauf. Und damit ist gleich klar, dass wir es auf keine Art und Weise ohne Motorhilfe auf die andere Seite dieser Ebene schaffen werden, selbst für einen Arcus ist es zu weit, mit dieser Ausgangshöhe 50 km weiter Anschluss an die unsichtbare Thermik zu finden.

Das Rhônetal will und will nicht enden – dafür kommt der Boden immer näher.

Das akustische Fragezeichen

Unbeirrt von solcherlei Unkommoditäten gleiten wir westwärts. Nur unterbrochen von einer kleinen Aufregung, welche unser Transponder, bzw. die Controllerin von Lyon verursacht. Sie kann uns anfangs nicht auf dem Radar sehen und verlangt entsprechend, dass wir Höhe und Kurs halten. Letzteres bringe ich ohne Schweissperlen auf der Stirn zustande. Peter versucht inzwischen, ihr das Prinzip des Segelfluges am Funk zu erklären. Einigermassen erfolglos, ernten wir doch auf den Hinweis, dass wir leider aus physikalischen Gründen immer etwas absinken würden, nur ein akustisches Fragezeichen in Form diverser ‘Äähhmms’ – ‘Oohhs’ und ‘Hhmms’. Schliesslich erlöst uns der Transponder. Sie sieht uns auf dem Radar – und damit sind sofort alle Sorgen weg. Bis auf den Boden, der uns immer näher kommt. Der Umweg, den ich wegen der Controllerin fliegen musste, hilft natürlich auch nicht zu einer effizienten Talquerung. Valence zieht an uns vorbei. Die andere Talseite kommt in Blickweite.

Der rote Bereich

Ich finde tatsächlich an einem der Ausläufer einen schwachen Aufwind, der uns etwas Luft verschafft. Leider zuwenig, denn dieses Zentralmassiv – aus Sicht eines Schweizer Bergbewohners eigentlich ein etwas höherer Sandhaufen – zieht sich ebenfalls endlos dahin. Kurz: wir haben eine weitere Durststrecke von ca. 20 km ansteigenden Geländes vor uns. Dafür schwache Aufwinde von max. einem halben Meter pro Sekunde. Und das erst noch nur in einer Hälfte der Kreise. So wird das nie was! Und eine Hitze ist das hier unten!

Les Châteaux

Mein Kreislauf gerät allmählich ausser Fassung. Zum Glück habe ich morgens nicht noch die Faserpelz-Jacke übergezogen, sondern sitze drauf. Unser Flug wird zum Sauna-Aufenthalt. Ich kann mit aller vorhandenen Geduld den Arcus auf 1’300 m.ü.M. hinauf drehen. Das hilft aber nur bis zum nächsten Hügelzug, wo gleich das nächste Bodenturnen beginnt. Dafür ist die Aussicht grandios. Auf mehrere, wunderschöne Schlösser. Die haben häufig schwache Aufwinde drüber. Aber für mehr reicht das Geld offenbar doch nicht. Das fliesst alles in den Gebäude-Unterhalt – für eine anständige Thermik bleibt zuwenig übrig.

Letztlich rettet uns – über einem sauberen Aussenlandefeld – unser eingebauter Motor. Während ich den Vogel in der Luft halte, startet Peter vorne den Zweitakter. Der bringt uns zuverlässig in wenigen Minuten auf Durchflughöhe ins Zentralmassiv.

Die ausgefransten Cumuli

Der Flug wird damit allerdings nicht viel leichter. Über den langen Hügelzügen stehen zwar flache Cumulus-Wölklein, doch laufen die etwas konturlos auseinander. Der Blick zurück nach Osten macht auch keine Hoffnung – man kann die Inversion(en) von blossem Auge sehen. Hoch darüber steht – unverrückbar über lange Zeit – die weisse Schneekuppe des Mont Blanc.

Wir schlängeln uns mit wenig Spielraum zwischen Thermik-Tops und Aussenlandung das Massif Central hinauf.

Das Heilige Land

Wir kommen nur langsam vorwärts, ich habe Mühe, unter dem Feuchtebrei nutzbare Aufwinde zu lokalisieren. Und wenn, sind sie schwach – viel schwächer als in den Prognosen vorhergesagt. Trotzdem kommen uns im unkontrollierten Luftraum-Korridor zwischen Lyon und Saint-Etienne immer wieder andere Segelflugzeuge entgegen. Es ist tröstlich, dass auch sie im gleichen Höhenband unterwegs sind. Unter uns ziehen alle möglichen Heiligen durch: von Saint Basile, Saint Agrève, Saint-Jeures und Saint Front bis zur Sainte Sigolène – auf keinen Fall zu verwechseln mit der königlichen Segolène an ‘Franz von Hollands Seite.

Die Arbeitsteilung

In den letzten Jahren haben wir die fliegerischen Aufgaben sinnvoll auf die beiden Cockpit-Plätze verteilt. Während der (meist) vorne sitzende Pilot steuert, navigiert der hinten Platzierte durch kontrollierte Lufträume, holt Freigaben ein und studiert Aussenlandemöglichkeiten, Flugplätze und alternative Kurse. Der ist also sowas wie der ‘Stratege’ im America’s Cup. Das bewährt sich auch heute. Trotz mauer Aufwinde passieren wir einigermassen entspannt die Kontrollzone von Saint-Etienne und können uns langsam mit einem Zielflugplatz auseinandersetzen, auf dem wir und das Flugzeug sicher übernachten können.

Die zweite Passage

Angesichts der überraschend stabilen Wetterlage überlegen wir uns eine Übernachtung in Juranähe, um den Weiterflug anderntags zu erleichtern. Das heisst aber, dass wir erneut das Rhônetal queren müssen. Peter lässt den Arcus M gekonnt und mit endloser Geduld in einem (maximal) 50-cm-Aufwind auf die astronomische Höhe von 1’300 m.ü.M. klettern. Man sieht von da oben beinahe die Erdkrümmung. Gemäss Bordcomputer müsste die Höhe just reichen, um den östlich der gleichnamigen Stadt gelegenen Flugplatz Bourg-en-Bresse zu erreichen. Kurzzeitig sorgen meine Flugplatz-Höhenangaben in Fuss aus dem Motorflug-Navigations-System und jene in Metern aus dem Segelflug-Bordcomputer für leichte Konfusion. Grob geschätzt kann unsere Höhe natürlich niemals für eine 40-km-Talquerung reichen, wenn man drüben noch auf 800 Metern (es sind natürlich Fuss) ankommen muss. Selbst, wenn man dieselben Mass-Einheiten verwendet, wird das noch eine rattenscharfe Sache werden.

Das Gefängnis

Die Spannung im Cockpit steigt, Peter kann den (unterirdisch tiefen) Gleitpfad halten. Kurz vor der Stadt treffen wir sogar noch einen Aufwind – ausgerechnet über einem Gefängnis. Die erzeugen offenbar mehr Aufwind als die Schlösser. Einmal hochziehen und weiter geht’s. Nach kurzer Funkmeldung und dafür endlos langem Tiefflug tauchen endlich hinter einem Waldrücken die langen Beton- und Graspisten auf. Wir tauchen direkt in die Base ein und Peter zaubert eine gekonnte Landung in den Flugplatz-Rasen. Dass er danach bis kurz vor einen Hangar rollt, rundet den professionellen Anflug ab.

Nur der Rasen von Wimbledon ist schöner. Butterweiche Landung auf dem Flugplatz Bourg-en-Bresse.

Das Benzin

Freundlich werden wir von einigen Segelfliegern empfangen. Sie helfen uns, den Arcus zu verzurren. Einer lässt sich unter Zuhilfenahme des Taschenmesser-Tricks dazu überreden, uns nach dem Einräumen in die Stadt zu einem Hotel zu fahren. Da wir anderntags vor den einheimischen Piloten den Weg in den Jura unter die Flügel nehmen wollen, versuche ich, unseren Benzinvorrat zu ergänzen. Man weiss ja nie! Das wird dann zu einem richtigen Abenteuer. Denn die Tankstelle auf dem Flugplatz scheint nur mit einer bestimmten Karte bedienbar. Sowas hat hier aber niemand (…). Also organisiere ich einen Kanister, mit dem wir an einer Strassen-Tankstelle 20 L Benzin kaufen können. Das klappt dann ausgezeichnet. Natürlich haben wir die passende Menge Motorenöl bei uns, um ein 2%-Zweitakt-Gemisch zu erzeugen.

Die Terroristen

Die Schwierigkeit ist nun bloss, dass man mit einem roten 20-Liter-Benzinkanister an einer Hotel-Reception mindestens als ‘verhaltensauffällig’ wahrgenommen wird. Anfangs versuche ich das handliche Kanisterchen hinter meinem breiten Poloshirt zu verstecken. Danach vor ihm, bzw. vor meinem Bauch. Der deckt zwar einiges ab, aber das Kanisterchen blinzelt doch an der einen oder anderen Stelle noch leicht hervor. Peter deckt auf dem Weg zum Lift zusätzlich den Sichtwinkel zwischen Receptionistin und Kanister ab – es gelingt, wir erreichen knapp den Aufzug. Unsere in letzter Sekunde hereindrängenden Mitfahrer beschwichtigen wir dann auf dem Weg in den zweiten Stock mit einer Kurzgeschichte von ‘Notvorrat für das Motorrad oderso’.

Kulinarisches Highlight im Restaurant ‚Le Verre Gourmand‚ im Zentrum von Bourg-en-Bresse.

Die berühmten Hühner

Peter organisiert effizient und zielsicher ein passendes Restaurant, um nach unserem gestrigen gastronomischen Tiefseetaucher unsere sichtbar eingefallenen Bäuche wieder etwas auszubeulen. Diesmal erwischt er mit dem Restaurant-Familienbetrieb ‘Le Verre Gourmand’ vis-à-vis der Kirche einen richtigen Glücksfall. Wir werden erstens ausgezeichnet beraten. Und zweitens noch besser bekocht. Und so kommt es, dass wir auch das letzte Fältchen unserer Bäuche mit etwas Foie Gras, je einem halben ‘Bresse-Gauloise’, einem ausgezeichneten Glas Weisswein zur Vorspeise, einem ebenfalls ausgezeichneten Glas Burgunder und einem noch feineren Dessertwein wieder ausstopfen und glätten können. Was für ein Glück!

Das Rauchopfer

Wir beschliessen den ereignisreichen Tag mit einem gehörigen Rauchopfer für die wenigen guten Aufwinde des heutigen Tages und verwandeln zwei wunderbar milde ‘Appenzellos’, die ich in einer Lederschutzhülle hinten im Gepäckfach unbeschadet bis hierher gebracht habe, in Schall und Rauch.

Die mutmasslich sicherste Benzindeponie ist die Dusche. Solange niemand den Lichtschalter umlegt.

Der Funke

Jetzt bleibt nur noch eines: eine geruhsame Nacht mit dem Benzinkanister. Den verfrachte ich wegen seiner eigentümlichen Ausdünstung erstmal in die Duschkabine. Irgendwann, in der letzten Sekunde vor dem Einschlafen, schiesst mir der Gedanke an einen unfreiwilligen nächtlichen Gang auf die Toilette mit unvorsichtiger Benutzung des Lichtschalters durch den Kopf. Ich stelle mir vor, wie wir samt dem ganzen Zimmer-Inhalt in einer massiven Explosion mitten in der Nacht aus dem zweiten Stock auf den Parkplatz fliegen – weil der Lichtschalter natürlich bei seiner Bedienung gerne einen kleinen Funken erzeugt. Der wiederum würde das Benzin-Luftgemisch in der Dusche zur Explosion bringen und der Rest wäre anderntags in der Zeitung…

Bevor ich wegdämmere, informiere ich noch Peter über meine Befürchtungen. Der nimmt das unbeeindruckt zur Kenntnis und dreht sich nur auf die andere Seite.

Wie unsere Reise weitergeht, ob wir tatsächlich nächtens aus dem zweiten Stock fliegen oder am Morgen hinausgehen – das lesen Sie in der nächsten Ausgabe unseres Wandersegelflug-Reiseberichtes.

Die Flugdetails aus dem OLC.

Nach Südfrankreich – maximal auf ‚Augenhöhe‘ mit den Alpengipfeln

Man kann mit einer Maximalhöhe von 3’000 m.ü.M. um den Alpenbogen herum nach Südfrankreich fliegen – soviel wissen wir heute – einfach alles den Voralpen entlang. Hier ist der Reisebericht unseres Wander-Segelfluges 2019, der uns nach Gap, dann ins Zentralmassiv, gleich zweimal am Tag durch das Rhônetal, über den Jura zurück in die Schweiz und ins Veltlin auf der Alpensüdseite führt.

Wir haben einen Plan

Just auf unseren ersten von geplanten vier Flugtagen beginnt in Zentraleuropa der Sommer. Mit erwarteten Temperaturen von mehr als 30° C. Und für den Auffahrtstag, unseren ersten Flugtag, mit einer aufbauenden Hochdrucklage. Dazu gehören etwas Restfeuchte über unserer Start-Region sowie einfliessende Warmluft, die Segelfliegen über 3’000 m.ü.M. eigentlich ausschliesst. Aber wer braucht sowas denn? Über dieser Höhe kann schliesslich jeder nach Südfrankreich fliegen!

Jedes ‚Gepäckstück‘ findet sein Plätzchen irgendwo im Rumpf. Inzwischen beschränken wir uns aber auf Kreditkarte, Zahnbürste, 3 Sätze Unterwäsche und die Smartphones. Mit grossem Gepäck kann schliesslich jeder reisen…

Das Gepäck

Wir haben deshalb einen Plan, der auch darunter funktioniert. Nämlich im knappen Höhenband zwischen Gelände und tiefer Bewölkung entlang den Rändern der Schweizer Voralpen vorsichtig in die Waadtländer Alpen und von dort irgendwie weiter via Savoyen oder die Walliser Alpen an die Ränder des Rhônetals in die Region Carpentras zu fliegen. Klingt einleuchtend. Also starten wir. Dank unserer Wander-Segelflug-Erfahrungen mit immer weniger Gepäck, das irgendwie im Rumpf des Arcus M vom Flugplatz-Schänis Platz findet und dafür immer mehr Zuversicht im Kopf. Was den Benzinvorrat betrifft, füllen wir den Flieger mit etwas mehr als 30 Litern und einem Ölfläschchen für zusätzliche Betankungs-Gemische mit 2% Ölanteil. Das müsste nach unserer Berechnung mit 20’ Startlaufzeit pro Tag ein gutes Stück reichen. Damit wollen wir die manchmal aufwendige Jagd nach Autobenzin – das dem Vernehmen nach in Zentraleuropa kaum zu kriegen sein soll – vermeiden. Aber davon später mehr.

Restfeuchtigkeit der gestrigen Niederschläge über dem Schweizer Mittelland. Tiefe Basis, geringe Arbeitshöhen.

Wenig Spielraum

Heute darf ich mal vorne sitzen. Und damit starten und landen, während sich Peter hinten um Lufträume und Freigaben kümmert. Diese Arbeitsteilung bewährt sich bei uns seit Längerem und sorgt bei allen Beteiligten für entspanntes Fliegen auch in und um kontrollierte Lufträume. Bis ins Gürbetal ist das aber sowieso kein Thema, die Schweizer Luftwaffe macht an Auffahrt die Brücke und überlässt ihre Arbeitsräume den übrig bleibenden Luftraumbenutzern. So kommen wir in Regionen, die wir sonst weniger befliegen. Wir reisen – immer knapp über Grund und knapp unter den langsam abtrocknenden Cumulus-Wölklein munter quer durch den militärischen Luftraum von Emmen nach Luzern und das ansteigende Gelände des Napfgebietes mit einem Ausflugsrestaurant samt angegliederter Landepiste südlich des Luftraumes von Bern vorbei ins Aaretal. Genauer: ins Gürbetal. Da steht nämlich seit dem 13. Jahrhundert das Schloss Burgistein – es hat also manchen Segelflieger kommen und gehen sehen.

Schloss Burgistein.

Keine Fehler erlaubt

Peter hat seit dem Überfliegen der Aare das Kommando und kämpft sich für uns nach längerer, erfolgloser Aufwindsuche unter den verlockendsten Wolken mit viel Geduld ab Aussenlande- bzw. Motorstart-Höhe wieder Schritt um Schritt ins aktive Segelflieger-Leben zurück. Das beginnt auf etwa 1’800 m.ü.M. wieder. Dabei bleibt mir viel Zeit für eingehende Betrachtungen. Burgistein war für mich über ein Jahrzehnt lang der Standort eines wichtigen Geschäftspartners. In jenen fernen Zeiten wurden die Häuser im Winter noch mit Heizöl gewärmt. Heute gibt es ja beinahe keine Winter und kaum mehr Heizöl. Ernst Hänni von der Fa. Hadorn jedenfalls kämpft ebenso zäh wie wir auf dem Weg nach oben um das wirtschaftliche Überleben seiner Firma in einem garstigen Umfeld.

Peter kämpft sich für uns aus der tiefsten Lage des ganzen Tages über dem Berner Gürbetal wieder auf eine anständige Reisehöhe hinauf.

Die Berner machen bessere Aufwinde

Sobald wir über dem Gantrisch-Gebiet über die Kreten kommen, zeigt sich das Berner Oberland von seiner thermisch prächtigen Seite. Tolle, isolierte Cumulusse präsentieren sich in klarer Luft bei bester Sicht vor einem tiefblauen Himmel. Mir schwant schon, was nun kommen könnte. Peter müht sich von hier bis ins Wallis mit Pseudo-Aufwinden ab, die häufig nur einen Halbkreis lang tragen, um sich im zweiten Halbkreis in kleine Wasserfälle zu verwandeln. Das ist natürlich eine schwierige Fliegerei. Es fühlt sich an, als würden die Aufwinde im Leim kleben bleiben. Dafür ist die Sicht atemberaubend, die Berner Alpen sind optisch einfach ‘eine Wucht’.

Die flachen Wolken werden im südlichen Berner Oberland immer durchsichtiger, die Aufwinde immer schwieriger zu zentrieren.

Das muss die einfliessende Warmluft des aufbauenden Hochdruckgebietes sein, in das wir auf unserem Kurs nach Westen einfliegen. Schaut man sich die Temperatur-Sonde von Payerne an, kann man die warme, trockene Luft fast greifen. Sie führt zu einer Inversion ab einer Flughöhe von 3’000 m.ü.M.

Damit ist unser weiterer Kurs gegeben. Wenn auch inneralpin im Wallis dieselbe Luftmasse überwiegt, müssen wir irgendwie durch Savoyen hindurchkommen. Blöderweise ist daran nicht mal zu denken, die Feuchtigkeit klebt auf allen Höhen. Thermik wird dort keine zu finden sein.

Letzte Hoffnung Wallis & Chamonix

So fliegen wir vorsichtshalber mal ins Wallis – eine andere Wahl haben wir gar nicht, wenn wir an unserem Flugplan festhalten und nicht bereits im Wallis den Tag beschliessen wollen. Weil wir hier der CTR Sion näher kommen, nehme ich den Transponder in Betrieb und wechsle auf die Frequenz von Sion – da herrscht nämlich ziemlich viel Betrieb. Die Wolken kleben auch im Unterwallis tief an den Hängen. Wir parkieren erstmal und sortieren unsere Optionen.

Die Bernhardiner lassen uns nicht durch

Der Weg ins Aostatal scheint verstellt. Zu hohe Pässe, zu tiefe Basis. Da kleben die Wolken ebenfalls tief an den Bergflanken. Und mein Bedarf an tiefen Überflügen des Grossen St. Bernhard ist noch vom letzten Jahr von unserem Rückflug aus Barcelonnette gedeckt. Denn von Norden her ist dieser Pass – im Gegensatz zum Anflug aus Süden – unendlich lang. Da will ich lieber nicht steckenbleiben und alles zurückfliegen müssen.

Lieber nach Chamonix und zum Mont Blanc

Savoyen ist chancenlos zugeklebt. Damit bleibt nur der Col de la Forclaz mit dem langen Tal von Chamonix übrig. Wenn wir das lange Tal vorsichtig der Länge nach queren, wäre der Anschluss an die Voralpen bei Megève und später zur Chaîne de Belledonne im Kessel von Grenoble möglich. Dass die Berge da beinahe doppelt so hoch sind wie unsere Operationshöhe, muss uns ja nicht beeindrucken, oder?

Der bei Bergsteigern bekannte Eiskessel von Argentière mit Aguille Verte, Droites, Courtes, Aiguille de Triolet und dem Mont Dolent am linken Bildrand.

Wie in den Anden

Über dem Col de la Forclaz kann ich nochmals ein paar Meter mitnehmen – aber das wird garantiert nicht reichen, um vernünftig zum Tal hinaus zu kommen. Ausserdem ist der Flugplatz Sallanches gerade von seinem Bürgermeister geschlossen worden. Das sind keine gemütlichen Aussichten. Was tun? Zurück ins Wallis fliegen und dort bessere Zeiten abwarten?

Da fällt mir mitten in dieser wunderbaren Gipfelwelt auf, dass am Nordende des Eiskessels von Argentière ein kleiner ‘Fumulus’ entsteht und wieder verschwindet, wieder kommt. Mit einer ca. 500 Meter höheren Basis. «Könnte ja sein, dass die Luft in diesem Tal noch nicht von einfliessender Wärme kontaminiert ist», schiesst mir sofort durch den Kopf. Also nix wie hin. Tatsächlich steht da in prächtigster 4’000er Kulisse ein satter, enger und starker Aufwind, der uns auf eine Höhe trägt, mit der wir das Tal sicher durchfliegen können.

Der Altiport von Megève – Durchstarten verboten.

Persönlich finde ich die Gipfel, die bei der engen Kreiserei um uns herum wandern, die schönsten der Welt. Mal abgesehen von den chilenischen Torres del Paine. Aber die Aiguille Verte mit dem Grand Dru, die Courtes, Droites, der Mont Dolent, die Aiguille de Triolet sind für mich voller bergsteigerischer Erinnerungen und einfach überwältigend schön. Ich bin schlicht begeistert. Entsprechend euphorisiert umfliege ich den Bonatti-Pfeiler, geniesse den phantastischen Ausblick auf die Grandes Jorasses und letztlich den Mont Blanc bis in die Region Megève, wo sich die segelfliegerische Optik wieder deutlich besser präsentiert. Da sinkt die Basis zwar deutlich ab – das hilft uns aber, schneller unter der fast geschlossenen Hang-Bewölkung voranzukommen.

Chaîne de Belledonne. Sieht verlockend aus, die Aufwinde unter diesen sich ausbreitenden Cumulus halten aber nicht, was die Optik verspricht.

Die Talinversion von Grenoble packt uns

Bis zum olympischen Skiort Chamrousse, in dessen Schnee 1968 der französische Nationalheld Jean-Claude Killy einst seine Goldfurchen zog, sieht alles gut aus. Ein paar vereinzelte Segelflieger sind auf unserer Höhe unterwegs. Interessant ist nur, dass die Wolkenbasis teilweise deutlich höher liegt. Seltsam, dass die ihre Operations-Höhe hier nicht ausschöpfen?

Peter klappert die möglichen Aufwindquellen unter prächtigen Cumulaten ab. Nichts zu finden, ausser Abwinden. Auch der Versuch auf der anderen Talseite bringt uns nicht weiter. Mühsam kämpft er sich am letzten Hügelzug (la grande Serre) ins Trièves auf Kretenhöhe. Wir verstehen beide gerade die Segelflug-Welt nicht richtig. Alles stimmt. Talwind. Sonne. Allgemeine Windrichtung. Trotzdem wird der Arcus M in der Luft herumgeworfen wie ein Blatt im Wind. Nachträglich kann ich mir die ungemütliche Lage nur mit der stabilen Luft im Kessel von Grenoble erklären. Offensichtlich fliesst bei NW-Wind bzw. mit dem Talwind-System stabile Luft aus dem Rhônetal (das sind ja tolle Aussichten für den Folgetag) ins breite Tal von Grenoble herein und erschlägt die Thermik.

Unkonventionelle Situationen erfordern unkonventionelle Massnahmen

Am Nordende des Lavaldens ist ein Bergkamm nicht nur voll von der Sonne eingestrahlt, sondern auch gegenüber dem NO- und Talwind exponiert. Darüber steht eine Reihe von Prachts-Wolken. Tief und zuversichtlich wie wir sind, nehmen wir vorhandene Höhe und Mut zusammen und Peter stürzt sich auf die nördliche Krete. Das funktioniert nach ein paar Anfangs-Schwierigkeiten bestens. Interessant ist, dass der Berghang nicht auf der Sonnen- sondern auf der Schattenseite gut trägt. Verkehrte Welt. Selber hätte ich es auf der Sonnenseite versucht – aber man soll den Erfolg nicht mit ungefragten Gratis-Tips aufhalten. Also halte ich lieber still und lasse mich nach oben schaukeln.

Gap-Tallard rückt näher, die letzten Kilometer sind geschenkt.

Es ist gelaufen

Damit ist die Sache für heute gegessen. Wir entscheiden uns aufgrund der Infrastruktur und einer nahen Ortschaft für den Flugplatz Gap als Übernachtungsort und verzichten darauf, wie ursprünglich geplant, an den Rand des Rhônetales nach Carpentras hinaus zu fliegen. Damit lassen wir uns alle Optionen offen, sollte sich das Wetter morgen in Norditalien unerwartet besser entwickeln. Aber auch der Weg nach Westen ist mit dieser Entscheidung bestens möglich.

Zahllose Menschen fallen vom Himmel

Gap hat eine massive CTR um sein Gelände herum. Beim Anflug über die offiziellen Einflugpunkte wird mir klar, warum das so ist. Das Fallschirm-Zentrum läuft auf Hochtouren. Mit zwei Maschinen werden ohne Pause Fallschirmspringer nach oben transportiert. Damit die Flugzeuge ausreichend Platz für Auf- und Abstieg haben, ist ein entsprechend grosser Zylinder nötig, in dem auch die Springer geschützt vor fliegenden Eindringlingen wieder zurück zur Erde gelangen. Segelfliegerisch tanzt der Bär allerdings nicht in Gap. Ich lasse den Arcus M auf dem grossen Flugplatzgelände bis zwei (!) Meter vor die Fixations-Kabel ausrollen. Wir sind – bis auf einen Gast aus Pforzheim – offenbar die einzigen hier. Glücklicherweise finde ich zwei vergessene Fixations-Seile, mit denen wir den Arcus M für die Nacht verzurren können.

Wir machen es uns in einem direkt am Flugplatz gelegenen Hotel gemütlich und putzen uns hungrig für das bevorstehende Nachtessen heraus. Mit dem Rest-Parfum von Peter riechen wir beide dann auch verwechselbar ähnlich.

Vom Charme attraktiver älterer Herren

Macht doch immer noch was her – Peter in seinem neuen Segelflieger-Outfit. Elegant wie immer.

So ausgerüstet machen wir uns zu Fuss ins dem Vernehmen nach nahe Tallard auf – um dort in einer ebenfalls dem Vernehmen nach feinen Pizzeria eine typisch französische Mahlzeit zu geniessen. Als wir uns aus dem Gebüsch auf die Strasse schlagen, entwickelt Peter spontan einen Plan. Er stürzt sich vor das erste heranbrausende Auto und mimt einen älteren, gutaussehenden Herrn, der vorübergehend ohne fahrbaren Untersatz unterwegs ist.

Elegant ins nächste Dorf

Das erste Auto rauscht nicht ganz unerwartet ohne geringste Anzeichen eines Bremsversuches an uns vorbei. Der Fahrtwind wirbelt unsere Frisuren schön durcheinander, vor allem jene von Peter. Naja, das kennen wir ja schon aus Barcelonnette. Da hat uns nach 45 min. Autostopp auch nur ein Senior (unseren Alters also) aus Mitleid und dank späterer Bestechung mit einem Schweizer Armee-Taschenmesser auf den Flugplatz mitgenommen.

Doch da kommt schon ein nächstes Auto. Peter ist erneut voller Zuversicht und wiederholt seinen Versuch, den Wagen anzuhalten. Und dann passiert das Unerwartete, nahezu ein Wunder: der winzige Peugeot stoppt aus voller Fahrt! Und aus dem Wagen entsteigen zwei 20jährige französische Schönheiten. Ein junger Herr im Fond ist da auch noch, aber der muss sich nach freundlicher Begrüssung mit den nun wesentlich engeren Platzverhältnissen auf dem Rücksitz abfinden. Denn nun haben wir uns auf der Rückbank eingefädelt. Nicht ganz einfach. Bis nach Südafrika möchte ich so schon nicht reisen.

Burger statt Foie Gras

Nach wenigen Minuten verabschieden wir uns in Tallard von unseren FahrerInnen und machen uns auf die Suche nach der Pizzeria. Den nachfolgenden, kulinarischen Teil des Abends kann man mit einem Satz zusammenfassen: die offenen Restaurants waren überfüllt und überbucht, die geschlossenen eben geschlossen. Was zum ungewollten Besuch eines Kebap-Standes und etwas ungewohnten Essen am Strassenrand führte. Es war aber alles frisch – wir haben danach kein seltsames Bauchgrimmen verspürt.

Den Nachhauseweg haben uns unsere beiden Chauffeusen dann bei einem zufälligen Wiedersehen in der Dorfbar nochmals ausführlich erklärt. Ich mag mich schon nach wenigen Sekunden nur an ‘Gauche, Droit, tout droit’ erinnern. Peter ist bis heute der Meinung, sie hätten sie fast darum gebalgt, wer uns den schwierigen Heimweg durch dunkle Wälder und Wiesen genauer erklären oder uns sogar dabei begleiten dürfe.

Am Ende tappen wir alleine in der Dunkelheit durch Dorf, Wiese und Wald zurück ins Hotel. Wundersamerweise haben wir uns nicht verlaufen und sind dank ‘gauche, droit und am Ende sehr viel ‚tout droit’ direkt vor dem Hotel gelandet. Da musste uns niemand mehr in den Schlaf singen, wir sind beide hundemüde in die Betten gesunken.

Fortsetzung folgt

Wie es weitergeht, erfahren Sie in Teil 2. Darauf gehe ich neben der Ergründung des Fallschirmspringer-Erfolges in Gap auch auf eine neue Variante der ‘Geschichte mit den Eiern’ ein, die wir auf einem unserer ersten Wandersegelflüge in Grenchen erlebt haben.

Ein paar Zusatz-Informationen zu unserem ersten Wandersegelflug-Tag:

Die Temperatursonde von Payerne zeigt die über 3’000 m.ü.M. einfliessende, trockene Warmluft. Sie ist zeitweise ein gehöriger Partykiller.
Thermikprognose von TopMeteo für unseren ersten Wandersegelflug-Tag an Auffahrt 2019.
Und die Isobarenkarten von Meteo Schweiz darf natürlich auch nicht fehlen.

OLC-Flug-Details.

Nachlese zu Vinon 2018

Ein Gastbeitrag von Dr. Hans Reis.

Hans Reis, der Frankreich aus seiner mehrere Jahre dauernden Berufstätigkeit als Pariser Wirtschaftskorrespondent der NZZ, Neuen Zürcher Zeitung, kennt – und in Vinon fast während der ganzen Saison als Übersetzer beim täglichen Briefing amtet – beschreibt diesmal als Gastautor im Fliegerblog die Saison 2018 (die zur Illustration in den Text eingefügten Links und Fotos wurden von mir nachträglich eingebaut).

Die berühmten Lavendelfelder des Plateau Valensole nahe Vinon sur Verdon.

Vinon 2018 war anders als die Jahre zuvor. Der Juli war nach den nassen Monaten Mai und Juni segelfliegerisch ein sehr guter Monat. Ab Puimoisson, wo ich die ersten beiden Wochen war, unternahmen einige Kollegen ausgedehnte Flüge bis an die Furka, Brig oder Zermatt. Der Monat August war demgegenüber ein feuchter und gewittriger Monat. Gerade die letzte meiner sechs Wochen legte davon Zeugnis ab. Der letzte Flug fand am Montag, 18. August, statt – wegen Gewittern nur bis 16:08 Uhr –, und die folgenden Tage bis und mit Donnerstag erlebte die Region jeden Tag Gewitter oder Niederschläge, ab 15:00 Uhr oder etwas später. In Vinon selber blieb es am Donnerstag dann trocken. Die Tage vorher hielten sich die Niederschläge allerdings im Rahmen (keine Sintflut). Das Zeitfenster zum Fliegen wäre an diesen Tagen vielleicht drei Stunden gewesen – mit dem Risiko, von Gewittern überrascht zu werden. Grössere Strecken waren nicht empfehlenswert.

A propos Gewitter: Am Montag, 20. August waren für die zweite Nachmittagshälfte heftige Gewitter angesagt. Schon früh bildete sich im Norden eine entsprechende Front, die sich von St. André des Alpes bis Forcalquier erstreckte und allmählich gegen Süden zog. Es wurde im Norden immer immer dunkler. Kommt sie bis zum Flugplatz Vinon? Im Zweifel landen, hiess die Devise. Luberon, 2’000 m.ü.M., Bremsen betätigt, Direktanflug auf den Flugplatz, Landung um 16:08 Uhr auf der Hilfspiste 28, Punktlandung, konnte Flugzeug alleine parkieren und einpacken, Vordach am Wohnwagen herunterlassen und Autoscheiben schliessen – und schon setzte das Gewitter ein.

Unmittelbar nach der Landung ein richtiges Landefest, zum Glück war Piste 28 die beste. Sonst wäre wohl ein Chaos ausgebrochen. Schon wir waren zu dritt im Downwind, einer allerdings für die reguläre Piste 28. Ein Kollege landete bei uns auf dem Bauch, trotz Feuchtigkeit eine Staubwolke nach sich ziehend und ein Pilot der AAVA landete in der Nähe von Cereste in einem Sonnenblumenfeld, ein deutscher Kollege in Cereste selber – mit anschliessendem Strassentransport nach Vinon. Die Landung im Sonnenblumenfeld war am Dienstag am Briefing das «Bild des Tages». Die Landestrecke hat maximal 15 m betragen, der Chefpilot sprach von 10 m. Der Pilot blieb unverletzt, das Flugzeug wurde in den Tagen darauf genau überprüft, der Landschaden war erheblich. Entsprechend werde der Bauer entschädigt, meinte der Chefpilot. Einmal mehr hatte ich den Eindruck, dass einigen Piloten der Umgang mit nahenden Gewittern etwas fremd ist.

Der Flugplatz Vinon sur Verdon.

Anders als in der Schweiz erlebte die Provence diesen Sommer sehr feuchte Monate, und die Franzosen sprechen zu Recht von der «Provence verte». Jacques Tavernier, ein alt eingesessener Segelflieger, der mindestens 75 ist, sagte, er hätte das zeitlebens noch nie so erlebt. Das Gegenteil schon, extreme Dürre, z. B. in den 1970er-Jahren, als viele Kulturen kaputt gingen und die Bauern vom Staat spezielle Unterstützung erhielten. Wer also bereits Mitte August oder kurz danach abgereist ist, hat segelfliegerisch nicht viel verpasst. Für mich war die letzte Woche «une semaine de repos», ich habe auch die anderen sportlichen Aktivitäten reduziert betrieben. Nach über 100 Flugstunden hier in dieser Region zieht es mich wieder nach Hause, an sich ein gutes Zeichen. Man geht gerne weg und freut sich auf die «Homebase».

«Le Planeur» als positive Überraschung

Das Restaurant ‚Le Planeur‘ bei seinem Umzug zum Kreisel vor dem Flugplatz Vinon.

Die letzte Woche, nachdem das exklusive «Chez Heidy» geschlossen war, wurde ich Stammgast im «Le Planeur», obwohl ich beabsichtigte, verschiedene Restaurants zu besuchen. Der wichtigste Grund: Christine kocht gut und hatte jeden Tag ein leckeres Menü bereit. Dazu einige Beispiele: Quiche au Thon (war ausgezeichnet) mit Gemüse; Kalbsvoressen mit Nudeln an feiner Sauce; Piccata milanese mit Auberginengratin und Tomates provencales (im Ofen, mit Knoblauch gemacht). Der zweite Grund ist die freundliche Bedienung – fühlte mich sehr zu Hause – und als drittes die Erreichbarkeit mit dem Velo oder zu Fuss. Und zuletzt die Preise: Wie man das zu diesen tiefen Preisen anbieten kann und dabei noch etwas verdient, ist mir allerdings ein Rätsel. Die Menüs kosteten 11 Euros.

Dazu ein vollständiges Preisbeispiel: Das Piccata-Menü mit einem Pichet (2,5 dl) Rotwein und (ausnahmsweise) einer Kugel Mocca-Glace mit Rahm: 16 Euro und erst noch ein Limoncello als Geste geschenkt! Für mich aus dem Raum Zürich und als Ökonom einfach nicht nachvollziehbar. Stimmig sind auch die Sonnenuntergänge von dort aus betrachtet, sofern es solche gibt.

Christine hat mir auch erzählt, dass Sie das Restaurant Ende Juni eröffnet hat. Es ist also noch sehr jung und ist sicher noch verbesserungsfähig. Es wird das ganze Jahr geöffnet sein, ausser in der Weihnachtswoche und die ersten zwei Wochen im Januar. Im Winter wird ausschliesslich im geheizten Chalet serviert, das im Unterschied zu früher am alten Standort jetzt auch einen gepflegten Parkettboden hat. Es könne hier durchaus minus 10° C werden. Sie hat die Investition in das Restaurant getätigt. Der Flugplatz oder die AAVA ist in keiner Weise beteiligt. Am Samstag öffnet sie erst am Abend und am Sonntag erst nach dem Briefing um 10:30 Uhr. Ihre Arbeitstage sind lange, meist bis gegen Mitternacht. Serge und Jean-Luc helfen ihr beim Service. Jean-Luc jeweils von Mitte Vormittag bis 14:00 Uhr. Am Wochenende engagiert sich normalerweise auch Lorena dort.

Ich bin überzeugt, dass sie Erfolg haben wird und mag es ihr von Herzen gönnen. Das braucht Mut. Sie ist ja nicht mehr die jüngste Person. Abends assen immer mindestens 15 Leute dort, unter ihnen auch Gilles Navas oder gelegentlich der «Herbaud-Clan», am Mittag eher mehr. Es kämen etliche Angestellte und Handwerker aus der Region zum Mittagessen, sicher auch dank der guten Parkmöglichkeiten, sagte mir Serge. Diese Woche war der Parkplatz über Mittag immer gut besetzt. Einmal war das Restaurant am Abend punkto Salat jeglicher Art «ausgeschossen». Am Mittag hätte es einen richtigen Run gegeben.

Die Gardiane de taureau», eine Spezialität aus der Camargue.

Am letzten Abend, am Samstag, 25. August, offerierte sie das Menü: «Gardiane de taureau», eine Spezialität aus der Camargue, für 12 Euro. Es ist Fleisch vom Stier, das vermutlich sehr lange eingelegt war und entsprechend zart und ausgezeichnet gewürzt ist. Serge meinte am Vorabend, es sei zarter als Kalbsvoressen, und er hatte recht. Zusammen mit den hausgemachten Nudeln war es ausgezeichnet. Die beiden Französinnen (aus Vinon) neben mir nannten es dem Servierpersonal gegenüber «excellent», und sie hatten recht. Man hätte das auch in einem Viersternhotel servieren können. Die beiden Damen sagten, die Zubereitung sei nicht ganz einfach und «Gardiane» müsse gut sein, sonst sei es ein «Ablöscher». Eine Alternative an diesem Abend wäre ein mariniertes Pouletfilet gewesen.

Als wir (Heidy, René, Rosmarie und Karl) einmal dort waren, ging es relativ lange, bis das Essen kam. Bei mir war es diese Woche gerade umgekehrt. Es ging immer sehr zügig und ich war überrascht. Darauf angesprochen, meinte Serge: Wenn man früh, d.h. zwischen 19:00 und 20:00 Uhr komme, gehe es immer speditiv. Später, vor allem bei vielen Besuchern, brauche es dann mehr Zeit, weil ihre Kapazitäten im Moment noch limitiert seien.

Bis auf vier Stühle war das Chalet mit 21 Gästen voll besetzt. Der „HerbaudClan“ war mit acht Personen anwesend. Sie warteten nach der Bestellung knapp 20 Minuten, bis alle bedient waren. Erstmals half auch eine sehr sympathische Dame aus, die in Vinon wohnt. Sie stellte sich mit dem Kurznamen «FAT» vor.

Pont de Manosque

Le nouveau ‚Pont de Manosque‘

Die Zeitung «La Provence» überrascht immer wieder mit sehr professionellen und lesenswerten Recherchen und Hintergrundberichten, so z.B. über das «Brot und die Franzosen» oder den Zustand der Brücken nach dem Einsturz einer solchen in Genua. Bei der Brückenreportage erhielt auch die «Pont de Manosque» spezielle Aufmerksamkeit. Auch sie sei sanierungsbedürftig, weshalb daneben eine neue Brücke gebaut werde (mit grossem Bild in der Zeitung). Wie wir richtig gesehen haben, ist das eine definitive Brücke und kein Provisorium. Die Eröffnung der 215 m langen, neuen Brücke ist für Juli 2019 geplant, wie wir ebenfalls richtig eingeschätzt haben (noch ein Jahr Bauzeit). Das Departement des Alpes-de Haute-Provence hat 1’238 Brücken, 21 Tunnels und 500’000 m2 Stützmauern o.ä., um Strassen zu schützen. Die am meisten benützte Brücke ist die uns allen bekannte «Pont de Manosque», die von rund 17’000 Fahrzeugen täglich befahren wird. Nicht nur wegen der Verkehrssicherheit, sondern auch um die Brücke zu schonen, sei die Geschwindigkeit auf 50 km/h limitiert worden – un „Radar double sens est installé – und das Maximalgewicht eines Fahrzeugs darf 40 Tonnen nicht übersteigen. Schwer- und Spezialtransporte sind verboten.

Die Brücke wurde 1939 gebaut, während des 2. Weltkriegs aber kurz darauf bombardiert und beschädigt, was aufwendige Reparaturen nach sich zog. Seit 2012 wird sie besonders überwacht und es stellte sich heraus, dass ein Neubau die ökonomisch und verkehrstechnisch beste Lösung ist.

Die Franzosen, das Baguette und das Brot

Eine doppelseitige Reportage in «La Provence» war dem Thema «Die Franzosen und ihr Brot» gewidmet. Auch in Frankreich ist der Brotkonsum rückläufig, Brot ist aber immer noch sehr beliebt. 55 % der Franzosen essen täglich Brot und das Baguette schwingt punkto Beliebtheit obenaus. Pro Sekunde werden in Frankreich durchschnittlich 320 Baguettes verzehrt. Die Zeitung rechnete aus, dass seit dem 1. Januar in Frankreich 6 Milliarden (kein Verschrieb) Baguettes gegessen wurden! Das Cliché: Baguette unter dem Arm, Béret auf dem Kopf u.a. täuscht allerdings. Frankreich punkto Brot nur auf das Baguette als Brotsorte zu reduzieren, ist falsch. Das Land kennt heute eine grosse Vielfalt an Brotsorten, vor allem auch dunkle Brote. Im Artikel wird die Zahl von 80 hiesigen Brotsorten genannt.

Gerade die Region Paca, in der sich auch Vinon befindet, hat eine spezielle Brotgeschichte. Mit 1’200 Bäckereien steht die Region sehr gut da und kennt diverse «spécialités panaires» (Brotspezialitäten). Es werden dann verschiedene Brotsorten erwähnt, auf die ich hier nicht näher eintreten will. Übrigens war es die Provence und Marseille, wo die Windmühlen erstmals eingeführt wurden.

In diesem Dossier wird auch die Geschichte des Brotes beleuchtet. Dänische und britische Forscher hätten eben eine Untersuchung publiziert, wonach sie zeigen konnten, dass in Syrien vor 14’400 Jahren Brot gegessen wurde, 4’000 Jahre vor dem Beginn der eigentlichen Agrikultur. Das sei eine sensationelle Entdeckung. Nach Frankreich kam es dann viel später: Julius Cäsar (100 bis 44 v. Chr, ermordet) erlaubte es den Galliern, Brot zu backen.

Interessant ist auch, was Steven Kaplan – ein Historiker mit Spezialgebiet Brot und etlichen Publikationen dazu – zu berichten weiss: Früher war das weisse Brot, «le pain du seigneur», das «Brot Gottes», das Symbol der Reinheit. Das dunkle Brot war jenes der Bauern, das «aus der Erde kam». Heute sei es gerade umgekehrt. Besser gestellte soziale Schichten essen heute vermehrt dunkles Brot mit mehr Nährwerten, «les classes sociales en difficultés» hingegen mehr weisses Brot, weil es vor allem auch billiger ist. Für Frankreich sei das erwiesen.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Brotkonsum in Frankreich rückläufig, das ist nach Kaplan «une realité». Heute isst der Franzose pro Tag durchschnittlich 110g Brot. Das ist dreimal (!) weniger als in den 1950er-Jahren, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, von dem Frankreich natürlich stark betroffen war. Brot liefert nicht mehr 90% des täglichen Kalorienbedarfs, was es einmal machte, aber Brot ist immer noch ein «marqueur collectif» und stiftet eine gewisse französische Identität. Viele Franzosen glauben, dass vor allem Ausländer das Baguette direkt mit Frankreich verbinden. Trotz rückläufigem Konsum ist Brot auch hierzulande immer noch sehr beliebt.

Ein Interview mit einem langjährigen Bäcker in Marseille und Marie-Claude Mandonato, der Inhaberin einer dortigen Bäckerei, die mangels Nachfolge jetzt geschlossen werden muss, wird gezeigt, dass es ein «très beau metier» ist, «mais c’est difficile». Um 3 Uhr in der Früh Aufstehen sei nicht jedermanns Sache, auch das Familienleben könne darunter leiden. Sie hatte seit mehr als 10 Jahren keine Ferien mehr gemacht ist über die Schliessung ihres Geschäfts und die fehlende Nachfolge sehr traurig.

Vinon/Adliswil, 1. September 2018 / H.R.


Lange Flucht vor dem Regen am ‚Quattorze Juillet‘

Ernüchterndes vor dem Zimmerfenster

Beim ersten Blick aus dem Hotelfenster traue ich meinen Augen nicht. Anstelle des klaren, blauen Himmels von gestern Abend ist da ein grauer Deckel über dem Tal. Und ein beeindruckend zügiger Westwind. Unglaublich, das kann gar nicht sein! Aber auch der zweite und die folgenden Versuche zeigen ein durchzogenes Bild, ab und zu ‚gestört durch rasch vorüberziehende, blaue Löcher‘. Na, das kann ja heiter werden mit unserer Rückreise, dieses Wetter haben wir nicht erwartet.

 

Foto-Eindrücke vom Rückflug am französischen Nationalfeiertag aus der Haute-Provence

Im Geiste beginne ich schon zu rechnen, wieviel Benzin wir für Steigflüge im Tank haben – sicher bin ich mir danach nur, dass wir ohne Thermik auf keinen Fall Schänis erreichen werden. Und eigentlich kann ich mir kaum vorstellen, dass beim Wetter ausreichend Thermik entstehen kann. Ob uns vielleicht der Wind mit Wellenbildung nach Hause tragen wird?

Per Anhalter zum Flugplatz

Der Tag beginnt tatsächlich nicht besonders gut. Im ganzen Bergstädtchen ist kein Taxi auffindbar. Wir machen uns deshalb zu Fuss auf den Weg und versuchen und als alternde Autostopper. Lange Zeit völlig erfolglos, leider, das hilft dem Selbstvertrauen auch nicht weiter. Erst nach zehnminütiger Wanderung solidarisiert sich ein Autofahrer unserer Jahrgänge und fährt uns im Nu die drei Kilometer auf den Flugplatz.

Nichts wie weg

Nach einem mehr als ausführlichen Briefing sind wir uns vor allem in einem Punkt sicher: wir müssen die Region schnell verlassen, bevor eine feuchte Luftmasse aus dem Südwesten den Himmel über dem Ubayetal überzieht, die Thermik erstickt und womöglich ausregnet. Die Perspektiven für die kommenden Tage sind ebenfalls wenig erbaulich. Da ist kaum eine vernünftige Chance, nach Nordwesten wegzukommen. Mit uns sind gestern Abend Markus und Oliver, zwei deutsche Wandersegelflieger angekommen. Sie sind in zwei Etappen aus der Region Königsdorf hergeflogen, Markus in einer Glasflügel 304, Oliver mit einer eigenstartfähigen ASH 26E. Vor allem Markus wird sein ganzes Können brauchen, um bei diesen Verhältnissen ohne Zwischenlandungen nach Hause zu kommen.

Peters Zweifel an der Startstrecke

Die Dichtehöhe und die spezielle Topographie der Startpiste verursachen auf Peters Stirne einige Falten. Die Piste geht im ersten Drittel bergauf und erst danach flach den Hügel hinunter. Ein Push-pull-Schlepp-Startversuch irrlichtert kurz durch unsere Diskussion. Am Ende gewinnen Zuversicht und Vertrauen in den Motor. Noch nie lief er so zuverlässig und gut wie in dieser Saison. Wie gewohnt melde ich vom hinteren Sitz während der Startphase die Drehzahlen, damit sich Peter, der heute als PIC vorne Platz genommen hat, voll auf den Start konzentrieren kann. Wir heben problemlos nach ca. 350 Metern ab. Mit dem Wissen, dass das Tal vor uns keine Landemöglichkeit offeriert, drehen wir über der Flugplatzpiste mehrere Runden, um ausreichend Höhe zu gewinnen und den Steigflug an die Kreten des Grand Bérard anzugehen.

Starker Wind, erster Regen

Dieser Berg hatte bisher keinen besonders guten Ruf bei mir. Zu oft hat er mich bei starkem Westwind über die Krete hinunter gespült, zu oft unzuverlässige, wenn auch meistens sehr starke Aufwinde gespendet. Mehr als einmal bin ich im Cockpit fast gestanden, weil die Turbulenzen den Flieger beim Eindrehen in die Thermik von hinten erfasst haben. Insgesamt ist der Grand Bérard also ein wilder Geselle. Bevor wir den Motor im Rumpf verstauen, klettert Peter deshalb ausreichend hoch über die Gipfelkrete, lässt ihn im unrunden Aufwind unter ein paar Kondensfetzen schön auskühlen und dreht dann in engen Kreisen ein paar Hundert Meter hoch. Dann fallen wir aus der Thermik, der Wind hat sie verweht. Es sollte heute nicht das letzte Mal gewesen sein. Ein paar Kilometer weiter fliegen wir bereits im Schatten. Die Wolke, die vorhin über besonnten Feldern noch Aufwind versprach, hat sich aufgelöst – dafür fallen auch gleich die ersten Tropfen auf die Haube. Das ist ja ein schöner Anfang!

Anrückende Regenfront

Der Blick nach Süden macht die Anspannung im Cockpit fast greifbar. Dunkle Wolkenschichten decken da, wo wir herkommen, das Sonnenlicht ab, eine graue Luftmasse darunter lässt keine Zweifel offen – wenn man da hineingerät, kommt man nur noch mit dem Flieger im Anhänger wieder heraus. Oder fliegenderweise irgendwann in den kommenden Tagen, wenn sich das Wetter grundlegend verbessert haben würde. Das ist aber keine Option, wir wollen schliesslich heute elegant nach Hause. Peter flüchtet vor den ungemütlichen Aussichten ins Queyras und gräbt an der Crête des Peyrourets tief unten im Gelände und über einem wunderbar türkis glitzernden Bergsee einen schwachen, aber konstanten Aufwind aus. Der trägt uns – noch immer mehr in als über der Geographie, an die Crête de la Pinée über dem Aussenlandefeld von Le Rosier. Unter uns sieht die Gegend aus wie ein riesiger, ausgebrochener Backenzahn. Die Backenzahn-Löcher auf der Ostseite sammeln den ganzen Morgen über die Sonnenstrahlen ein und produzieren entsprechend wilde Aufwinde.

Jetzt hat Peter vor dem heranrückenden Schatten ein paar Minuten Vorsprung herausgeflogen und er kann endlich in einen kräftigen Aufwind eindrehen und damit den Anschluss ins Modanetal sichern. Diese Situation wird uns für die kommenden Stunden begleiten. Es läuft darauf hinaus, dass wir diesen kleinen Vorsprung immer aufrecht halten müssen, um ‘im Geschäft’ zu bleiben. Andernfalls geraten wir in den Schatten und in den inzwischen in der in der grauen, bis an den Boden reichenden Luftmasse erkennbaren Regen.

Gas geben

Die nächsten Aufwinde sind für den Erfolg unseres Unterfangens entscheidend. An der Aiguille de Scolette, am Grand Roc Noir und zuhinterst im Val d’Isère erreichen wir in starken, aber zerrissenen und unzuverlässigen Aufwinden mit etwas Geduld immer wieder die Sprunghöhe in die nächste Geländekammer. Am Ende geht es nach der aufwindfreien Querung des Kessels von Aosta um ein paar Dutzend Meter, die darüber entscheiden, ob wir ins Wallis, wo im Haupttal noch helles Sonnenlicht erkennbar ist, gelangen oder über Aosta den Motor zünden müssen. Im Val Ferret hängen schon dunkle Regenbärte herunter, als ich auf dem letzten Drücker diesen wichtigen Passübergang ins Wallis überfliege.

Walliser Talwind.

Der endlos lang scheinende Gleitflug seit dem letzten Aufwind über Val d’Isère findet erst im Unterwallis, gerade noch auf 1’400 m.ü.M. sein Ende. Ich habe bis dahin erfolglos versucht, an der Crevasse, über Isérables und Nendaz Aufwinde zu treffen. Erst der Hang bei Veysonnaz funktioniert so, wie ich das vor rund 30 Jahren im Fluglehrer-Kurs in Sitten zum Glück einmal gelernt habe. Nur, es ist psychologisch nicht dasselbe, ob man über dem sicheren ‘heimatlichen’ Landefeld tief unten den Wäldern entlang fliegt oder ob man noch 200 km fliegen muss, vor einer im Sauseschritt anrückenden Regenfront flieht und so schnell wie möglich Höhe gewinnen sollte, will man noch nach Hause kommen. Auf die Walliser Talwindsysteme ist aber auch heute Verlass. Ein anfänglich schwacher Aufwind über den Bergflanken, die am weitesten ins Rhônetal hinausreichen und vom starken Talwind angeströmt werden, entwickelt sich in rund einer Viertelstunde zu unserem heutigen Retter. In engen Achten kann ich den Arcus M dem Hang hinauf und bis über den Gipfel mit der Skilift-Bergstation treiben. Der Westwind versetzt uns beim Kreisen sehr stark, passt man auch nur kurze Zeit nicht auf, fliegt man im Lee der Kreten sofort in der Gefahrenzone. Wir sind wieder im Geschäft, auch wenn uns wegen der zeitraubenden Boden-Turnübung die Regenfront wieder bedrohlich nahe gerückt ist. Und haben noch immer den Motor nicht gebraucht. Das war nicht zu erwarten gewesen.

Seitenwechsel

Dem Controller von Sion wird es zu langweilig mit uns. Wir fliegen zwar leicht ausserhalb seiner kontrollierten Zone und entfernen uns auch immer weiter davon, trotzdem verscheucht er uns schon direkt südlich seines Towers aus seiner Frequenz. Wie Tarzan schwingen wir uns jetzt von Krete zu Krete. Endlich kann ich über Chandolin die Sprunghöhe für den Flug an die andere Talseite aufbauen. Da ist die Wetteroptik perfekt, ebenso wie die weiteren Aussichten in Richtung Oberwallis. Auf der Südseite des Wallis hingegen rücken die Vorposten der Regenfront heran, lange Schattenstrecken räumen die Cumuli vom Himmel. Es gibt keine andere Wahl, wir müssen die Aufwinde der Nordseite erreichen. Besser gestern als heute.

Schafe kühlen ihren Bauch im Schnee

Über dem Baltschiedertal und der Krete hinauf zum Alpjuhorn kann ich endlich einen starken Aufwind zentrieren und uns zurück ins Geschäft für den Flug nach Hause bringen. Auf einem der steilen Granitgipfel weiden schwarz-weisse Geissen. Wie die bloss da hinauf gekommen sind? Noch kurioser ist die Szene etwas weiter unten im Gelände. Da kühlt sich eine kleine Herde von Schafen in einem Schneefeld die Bäuche. Sie haben in ihren fest montierten Pullovern wohl einfach zu warm.

Peter zaubert den Arcus dann hoch über die Gipfel auf Endanflughöhe. Mit der so erreichten Höhe von 3’700 m.ü.M. ist der Flug nach Schänis nun in trockenen Tüchern. Der Flug über die Furka und den Klausenpass ist dann ein hoch verdienter, würdiger Abschluss dieser endlos scheinenden Flucht vor der Regenfront. Je näher wir unserem Heimatflugplatz kommen, umso schöner und trockener wird das Wetter. Am Ende können wir in aller Ruhe den Arcus M an seinen Stammplatz an der Decke des Hangars in Schänis hängen und bei einem kühlen Bier zufrieden auf zwei aussergewöhnliche Flugtage mit vielen neuen Erfahrungen zurückblicken.

Hier finden Sie die Flugdetails aus dem online contest.

Mit dem Segler zum ‚Diner en Provence‘

In der Flugsaison 2018 werden wir mit Gelegenheiten für schöne Flüge schon fast verwöhnt. Nach einer zweitätigen Rundreise bis Nürnberg, ins Allgäu und über den Hauptalpenkamm in die hohen Tessiner Berge noch Ende Juni wollen wir zwei Wochen später ein kurzes Wetterfenster nutzen und die Provence besuchen. Ohne definitives Ziel starten wir mit dem vollgepackten Arcus M von SchänisSoaring am Freitag, 13. Juli, in der Thermik des St. Galler Oberlandes langsam nach Südwesten.

Foto-Eindrücke von unserer Reise nach Barcelonnette im Segelflugzeug.

Den direkten Weg durch die Glarner Alpen wollen wir der tiefen Wolkenuntergrenzen wegen vermeiden und wählen stattdessen den durch erste Cumulus-Wolken sicherer scheinenden Weg über das Taminatal. Da zeigt uns erstmals auf dieser Reise eine muntere Gruppe von drei Bartgeiern, wo das Zentrum der Thermik über den steilen Chrächen westlich von Vättis liegt. Die sind offenbar mit der heimischen Thermik zufrieden, sie reisen noch nicht zu ihren südfranzösischen Kollegen in den Parc National de Mercantour in den Urlaub. Erstmals klettert die Variometer-Nadel parallel zu unserer Zuversicht auf vernünftige Werte und wir nehmen den Weg an den Oberalp-Pass unter die Flügel.

Echter Klassiker

Bei diesen Wetterverhältnissen ist der Weg nach Südfrankreich klar. Über dem Bedretto-Tal baut Peter ein Höhenpolster auf, damit wir problemlos Anschluss an die Thermik-Autobahn der Walliser Nordkrete finden. Nur die Querung der TMA von Sion mitsamt Transponder-Code beschäftigt uns zeitweise etwas. Bei unserer Arbeitsteilung im Cockpit ist das allerdings keine Belastung. Einer fliegt, der andere parliert mit dem Controller. Wir kommen zügig durch die mit Cumulus-Wolken markierten Aufwinde voran und erreichen über den steilen, kahlen Felsflanken des Grand Muveran an der Nordwestecke des kontrollierten Luftraumes von Sion ausreichend Höhe, um das breite Walliser Haupttal hinüber zu den Ausläufern des Grand Combin zu queren.

Kräftiger Wind.

Über dem Gebirgslandeplatz von ‚Croix de Coeur‚ kämpft Peter erstmals mit dem kräftigen Westwind, der die Aufwinde ‚umkippt‘ und unseren Flieger weit über die Leeseiten der Kreten hinausträgt. Den Effekt des zunehmenden Windes nutzen wir an den riesigen Eisflanken des Grand Combin im Hangflug aus, um für die entscheidende Querung des Kessels von Aosta genügend Übersicht zu gewinnen. ‚OI‘, der auf der anderen Talseite unterwegs ist, berichtet von starken Abwindfeldern über dem Val de Rhêmes. Langsam kann ich mir in dieser Situation einen Plan zusammenbauen. Bei West-/Nordwestwind produziert der höchste Europäer (keiner aus Brüssel) über Courmayeur, Aosta und den eindrücklichen V-Tälern des Val Savarenche, Val de Rhêmes und Val Grisenche zwar wunderbare Leewellen-Aufwinde, dazwischen aber auch eindrückliche Abwinde. Die sind vor allem über den steilen Granitwänden dieser Täler ein Erlebnis, an das man sich länger erinnert, wenn man unter den Kreten fliegen muss, weil man vorher keinen schlauen Aufwind gewinnen konnte.

Dem wollen wir mit einem kleinen Umweg über den Col du Petit St.-Bernard ausweichen. Dort bläst der Westwind an die hohen Ostkreten des Isère-Tales und erzeugt üblicherweise Hangwind, er fegt aber auch durch die Thermik und reisst sie auseinander. Am Osthang der Skistation von La Thuile nehme ich mir deshalb Zeit, um in einem unrunden Aufwind ausreichend hoch zu klettern, um später direkt den hohen Berggipfeln entlang an den Col d’Iséran zu kommen. Das klappt ausgezeichnet, an den Kalkwänden östlich der berühmten französischen Skistation kann ich nochmals in einen starken Aufwind eindrehen, der uns in die Regionen der Gipfel – hier beachtliche 3’750 m.ü.M. an der Aiguille de la Grand Sassière – hinaufträgt.

Reines Vergnügen

Über dem östlichsten Zipfel des Vallée Modane stehen breit auseinanderlaufende Cumuli, die Segelflug-Optik ist trotz Wind perfekt. Einzige Schwierigkeit ist, unter den Wolken mit ihren verlockend dunklen Böden den Auslöser der Thermik zu identifizieren. Über Bonneval kommt dafür ein Felsabbruch auf der Nordseite des Tales in Frage, während sich die Thermik-Wolke bis weit südöstlich an die Grenzgipfel an der italienischen Grenze hinaus auffächert. An ihrer Luv-Kante steigen wir mitten über dem Tal ausgezeichnet und erstmals beginnt die digitale Höhenmesser-Anzeige heute mit einer ‚4‘.

‚Thermik-Opfer‘ am Charbonnel

Das können wir an meinem Lieblingsberg in dieser Region wiederholen. Wie oft bei Nordwestwind produziert der ‚Köhlerne‚ wilde Aufwinde, die über den Gipfelgraten vom Wind zerrissen werden. Da wir hoch über den Gipfelgraten daherkommen, haben wir keine Schwierigkeiten, einige Meter auf das Höhenkonto zu buchen. Nun trage ich ja beinahe seit Jahrzehnten auf unseren Skitouren eine ‚einmalig schöne‚ Ohrenkappe. Die wollten wir (Peter mehr als ich) immer schon am Charbonnel ‚dem Thermik-Gott‘ opfern. Damit er uns an eben dieser wichtigen Stelle immer gut gesinnt bleibe. Logischerweise habe ich die Kappe heute wieder mal nicht bei mir. Bei fast 30° C wäre das – abgesehen von ihrer optischen Wirkung – schon etwas viel verlangt gewesen. Nun werfen wir meine vielfarbige Kappe einfach virtuell über dem Gipfel ab – gekoppelt an ein Versprechen, sie künftig im Kleiderkasten zu lassen und nicht mehr zu verwenden. Naja, ihr Gestalter gehörte nie zu den Anwärtern auf den Designer-Nobelpreis.

Wellen am Mont Cenis

Beim Weiterflug zum Col d’Etache fällt mir auf, wie stark der Wind über den Lac Mont-Cenis pfeift. Ein Segelflugzeug fädelt unter uns auf einer armseligen Höhe über der Passstrasse ein und kann in kurzer Zeit im Hangwind der Pointe de Ronce wieder Höhe gewinnen. An dieser Stelle bin ich bei diesen Windverhältnissen schon öfters in eine ‚Welle gefallen‘. Mit etwas Geduld kann ich an der Luv-Kante eines zarten Cumulus die feuchten Fetzen übersteigen und plötzlich finden wir uns in ruhigem, starken, aber flächenmässig kleinen Steigen wieder. Auf 5’000 m.ü.M. breche ich wegen des Ballastwassers in der Seitenflosse den Steigflug bei grandioser Sicht über die aus Nordwesten anbrausenden Wolken ab. Wir drehen die Nase des Arcus M in Richtung der Ecrins, die wir erneut des starken Windes wegen im Westen der hohen Granitzacken umfliegen wollen.

Nous deux aux Deux Alpes

Nachdem die Steigwerte am Lautaret-Pass trotz einer schönen Wolke nicht zufriedenstellend ausfallen, versucht es Peter an der Hangkante über den Schluchten südlich der quirligen Skistation ‚Les deux Alpes‚ und findet südlich der mit Transport-Technik vollgestopften Gletscherebene einen starken Aufwind. Damit können wir nun zu einer schönen Sightseeing-Tour ansetzen, bevor wir unser Nachtquartier für den Arcus M und uns auswählen. Während wir die Vor- und Nachteile von Puimoisson, Gap, Serres, Sisteron, Vinon, Barcelonnette & Co. diskutieren, steuert Peter in einen richtig starken, runden Aufwind östlich von Super-Dévoluy, der Skistation am Pic de Bure. Mit satten 4.5 m/Sek. treibt er uns wieder weit über 3’000 m.ü.M. hinauf. Damit ist die Sache gegessen, wir können uns den Übernachtungsort in Ruhe überlegen – wir erreichen sowieso jedes der in Frage kommenden Segelflug-Zentren Südfrankreichs.

Letztlich entscheiden wir uns für den Flugplatz im Ubaye-Tal, Barcelonnette. Da ist in der Nähe ein kleines Städtchen mit mehreren Hotels. Da ist die Lage, die uns anderntags erlauben wird, rasch in die Alpen zu kommen (ein Faktor, der noch entscheidend werden sollte). Und da ist die 800 m lange, asphaltierte Landebahn, auf der wir mit dem Arcus M wieder problemlos in die Luft kommen sollten – selbst wenn der Platz auf beachtlichen 1’100 m.ü.M. liegt.

Wir werden freundlich empfangen, man ist sich hier offensichtlich Gäste gewohnt. Nach kurzer Zeit ist unser Flugzeug auf dem Vorfeld verzurrt, eine erste ‚Pression‚ befeuchtet unsere trockenen Kehlen und das Organisieren einer Übernachtungs-Gelegenheit sowie die Fahrt dahin ist innert Minuten über einen Flugschüler organisiert. Seine Mutter führt das Grand Hotel. Da werden wir nächtigen.

Alternativ, aussergewöhnlich, ausgezeichnet.

Die Hotelière empfiehlt uns nach unauffälliger Musterung unserer Feinschmecker-Bäuche für unser Nachtessen ‚La Rose Noire‚. Nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass die Speisekarte und die verwendeten Zutaten ein wenig ausgefallen, ursprünglich und regional seien. Also genau richtig für uns. Mit etwas Suchen können wir das winzige Restaurant in einer engen, unscheinbaren Seitengasse entdecken. Dass man hier vorteilhafterweise seinen Platz reservieren soll, verstehen wir nun auch. Bei nur drei Tischen draussen und drinnen ist natürlich schnell ausgebucht. Wir sind skeptisch, wo wir da wieder hin geraten sind. Die Köchin hat mich aber schon beim ‚Amuse-Bouche‚ im Sack. Köstlich. Eine geschmackliche Überraschung nach der andern explodiert an diesem Abend im Mund – auch wenn wir nicht wirklich im Detail verstehen, was im ‚Menu standard‘ alles enthalten war. Es muss an unserer Müdigkeit oder am speziellen Dialekt gelegen haben – ich weiss nur noch, dass die Köchin einen hervorragenden Abend hatte – es war ausgezeichnet.

Wir fallen nach diesem kulinarischen Top-Erlebnis müde in die Betten – heute muss uns niemand mehr ein Schlaflied vorsingen – traumlos versinken wir nach kurzer Zeit in tiefen Schlaf – nur das leichte Schaukeln des Arcus M, wenn man ihn in die Thermik zieht, begleitet uns noch. Und mich die am Charbonnel in den Abgrund taumelnde Skitouren-Mütze… Was tut man nicht alles für gute Aufwinde am Charbonnel – dieser unverzichtbaren ‚landmark of navigation‚.

Hier finden Sie die Flugdetails aus dem OLC.
Fortsetzung zum weit anspruchsvolleren Rückflug zurück nach Hause folgt am 28. Juli.

Stürzen wir schon oder fliegen wir noch?

Mitarbeiter-Flugtage der IMT AG in Schänis Ende April 2018.

In Franz Egles näherer Heimat, am Gipfel des Säntis.

An der Kaffeebar erkundigen sich meine Arbeitskollegen bei der IMT AG in Buchs immer mal wieder nach meiner seltsamen Freizeit-Beschäftigung. Mit dem Arcus M besitzen wir bei SchänisSoaring seit drei Jahren ein tolles Fluggerät, um diese Neugier stillen zu können. Dabei kann ich pro Flugtag mindestens zwei Fluggästen die Vorzüge und Eindrücke des Segelfliegens fahrplanmässig genau demonstrieren.

Auch Schneeschauer können aufwindig sein. Hier auf der Südseite des Tödi, über dem Val Punteglias.

Der erste Fluggast kommt mit dem Eigenstarter um 11.00 Uhr in die Luft – gerade rechtzeitig beim Einsetzen der ersten Thermik – während sich ein zweiter Fluggast dann Mitte Nachmittag im Doppelsitzer bequem für einen mehrstündigen, luftigen Aufenthalt einrichten kann und sich der erste bei einem ‚Survival-Beer‘ bereits wieder erholen kann.

Gerüchteweise die schönsten Toggenburger (?) – die Churfirsten – und dahinter (direkt nach dem Neid) mit dem Tödi der ‚älteste Glarner‘ – gesehen aus dem schwachen Hangaufwind vom Säntis aus.

Ende April können so während zweier Flugtage

  • Christian Remus
  • Karl Wickli (pensionierter, passionierter Ex-Segelflieger)
  • Christian Büchel
  • Franz Egle

Franz Egle macht es sich im Arcus M bequem.

persönliche Eindrücke über den Segelflug-Sport gewinnen.

Situations-Komik.

Am ersten Flugtag erwischen wir gleich einen thermischen Lotto-Sechser und beide Fluggäste können motorlos 210 und 350 km weit durch die Ostschweiz, Vorarlberg, Graubünden und Schwyz reisen.

Den Spruch des Tages liefert dabei Christian Remus, der sich als ehemaliger Intensivpfleger ja allerhand gewohnt ist. Beim Eindrehen in die erste schöne Thermik des Tages über dem liechtensteinischen Malbun vergesse ich einen Augenblick, dass hinter mir ja noch ein Fluggast sitzt. Gepackt vom Rennfieber, reisse ich den schweren Doppelsitzer in die Höhe, lasse ihn sauber steigen und die Geschwindigkeit langsam zusammenfallen. Die verbleibenden Reste der potenziellen und kinetischen Energie unseres 850-kg-Seglers wandle ich dann elegant in eine 40°-Steilkurve um. Beeindruckt von soviel Physik fragt er nach der ersten vollen Kurve höflich wie immer in aller Ruhe nach, ob ‚wir denn nun schon stürzen oder noch fliegen‘ ?  Ich bin dann aus lauter Überraschung selber beinahe aus dem Cockpit gefallen…

Sagenhaft starke Thermik über dem Itonskopf und dem Silbertal im Vorarlberg.

Föhnstürmchen.

Am zweiten Flugtag fliesst die Luft in einer sanften Südwestströmung über die Alpen. Aufbauender Föhn, erster Tag. Das sind ideale Bedingungen für einen frühen Start und zwei lange, erlebnisreiche Gästeflüge. Sofern die Gäste turbulenztauglich oder in der Umgangssprache ‚luftlochfest‚ genug sind. Sind sie. Christian erlebt nach dem Start, wie lange man nahe der Primärwelle manchmal kämpfen muss, um eine Föhnwelle zu erwischen und die Eindrücke des Wellenfliegens erleben zu können.

Die Eleganz des Föhnwellen-Fliegens: Blick auf das Rheintal aus 4’000 m.ü.M. am Pizol.

Kämpfen lohnt sich aber – danach ist die Reise durch das die Glarner Alpen und das Prättigau ein reines Vergnügen. Franz hat sich danach als ebenso robuster Fluggast wie Christian erwiesen und lässt sich weder von der starken Schächtentaler Welle noch von aufwindigen Schneeschauern am Oberalp noch vom Wasserfall nördlich des Oberalpstocks auch nur ansatzweise beeindrucken. Im Gegenteil: er geniesst auf dem Rücksitz die Show, die uns heute bis an die Grenze des Sauerstoffgebrauches auf 4’500 m.ü.M. und durch die Glarner Alpen, das Prättigau, Vorderrheintal, die Urner Alpen und wieder zurück in die ruhigeren Luftmassen über dem Säntis – dem Heimatberg von Franz – und dem Zürichsee, führt.

Graubündens Hauptstadt Chur vom Gipfel des Calanda aus gesehen.

Fazit: viel Begeisterung bei den Fluggästen – und die Flüge waren auch für mich ein tolles Erlebnis!

Das Skigebiet am Davoser Weissfluhjoch ist bereits ausser Betrieb. Soviel Schnee, wie jetzt im Frühling da noch liegt, wünscht sich das Tourismusbüro wohl heute schon für den kommenden Winter.

Hier ein Kurzvideo von Christian Remus, über der Ostflanke des Toggenburgs aufgenommen kurz nach dem Start in Schänis:

Aufzeichnung der Flüge vom 22. April, mit Christian Remus und Karl Wickli.
Aufzeichnung der Flüge vom 28. April 2018, mit Christian Büchel und Franz Egle.

Luftige Österreich-Rundfahrt (3)

Mal südlich, mal nördlich, aber
immer den hohen Gletschern des Hauptalpenkamms entlang.

Die Aufwinde über dem Zillertal müssen wir uns mit einer ganzen ‚Blaatere‘ von Gleitschirm-Piloten teilen.

Als wir am Sonntag, den 28. Mai in St. Johann im Tirol ins Cockpit des Arcus M kraxeln, wollen wir zum Abschluss unseres dreitägigen Wandersegelfluges einerseits gemütlich an unseren Ausgangsort Schänis zurückreisen, anderseits auch noch etwas von den Hochalpen sehen. Wie gestern bei unserer Ankunft, schlängeln wir uns auch heute bei der Wegreise zwischen den herabfallenden Fallschirmspringern hindurch und weg nach Kitzbühel.

Bis der Motor ausgekühlt im Rumpf liegt, haben wir ausreichend Zeit, im ersten Aufwind eine Auslegeordnung über die Streckenführung des Hahnenkamm-Rennens zu diskutieren. Bis zur Mausefalle sind wir uns einigermassen einig, danach verliert sich die winterliche Spur dieser Highspeed-Strecke in den Lichtungen und Waldschneisen westlich Kitzbühels. Derweil habe ich andere Sorgen. Die Luft köchelt zwar überall ein wenig, aber noch nicht richtig. Zumindest nicht dort, wo ich mit der aktuellen Höhe gerade hinkomme.

Obendrauf beunruhigt mich auch noch eine Luftraum-Warnung. In 7‘500 ft beginnt hier (schon) eine TMZ von Innsbruck. Bis ich die identifiziert habe, bin ich allerdings auch schon den Graten entlang zum Pass Thurn gekrabbelt. Immer schön heiss und tief. Und der offensichtliche Versatz durch den Nordwind macht es mir nicht einfacher, ein Bild der aufströmenden Luft in den Kopf zu bekommen. Kaum habe ich nach endlos scheinender Kreiserei um Seilbahnen und Bergrestaurants genügend Höhe zusammengespart, um endlich die Nordkrete des Pinzgaus anzufliegen, sind Luftraumwarnung und schwaches Steigen gleichzeitig Vergangenheit.

Auch Sonnenschutzfaktor 50 und ein breiter Hut reichen nicht. Im Segelfliegen bekommt man immer eine Sonderladung UV-Strahlen verabreicht. Besonders, wenn man ein ausgeprägtes Riechorgan im Gesicht hat.

Die Erdkrümmung kommt in Sicht

Wir klettern in aller Ruhe auf die maximal mögliche Höhe. Jetzt braucht der Peter aber wirklich Sauerstoff. So hoch waren wir seit unserem Abflug aus dem Ortlergebiet in die Dolomiten tatsächliche nie mehr. Nun geniessen wir die Annehmlichkeiten der Hochalpen und reisen zwischen 3‘000 und 3‘700 m.ü.M. um etliche Gleitschirme und durch die hohen Gletscher und Gipfel westwärts. Peter will unbedingt ins Stubaital, um da einmal auf vernünftiger Höhe hindurchfliegen zu können. Einmal umfliegen wir die Hindernisse südwärts, dann wieder auf der nördlichen Seite der Hauptkrete.

Den Entscheid, ganz auf der Südseite zu bleiben, sparen wir uns auf. Zu tief ist da aus unserer Stratosphären-Optik die Wolkenuntergrenze. Spannend ist dann der Übergang zwischen dem Pitz- und Kaunertal in die Region am Reschenpass. Die tiefsten Lücken sind ziemlich hoch, über 3‘000 m.ü.M. Aber mit etwas Geduld über dem Kaunertal schlüfemer sicher in den nächsten, richtig guten Aufwind im Langtaufers-Tal. Der katapultiert uns gleich in eine andere Liga und öffnet uns auf mehr als komfortablen Höhen den Weg ins Engadin.

Die stärksten Aufwinde der letzten drei Tage.

Auf der Strecke zwischen dem Vinschgau und dem Oberalp-Pass treffen wir an den Engadiner Hotspots auf die stärksten Aufwinde der vergangenen drei Tage. Der Arcus M steigt in engen Kreisen auf Höhen, die hier nur am Wochenende ausserhalb der Bürozeiten der Schweizer Luftwaffe erreichbar sind. Ein buchstäblich atemberaubendes Erlebnis mit einer Aussicht auf die höchsten Engadiner Gipfel, die einfach einmalig schön ist.

Der Rasierer hatte im prall gefüllten Arcus M einfach nicht auch noch Platz. Peter geniesst die atemberaubende Aussicht auf die Hochalpen trotzdem.

 

Erst ab dem Vorderrheintal schwächen sie sich etwas ab, da scheint eine etwas weniger labile Luftmasse vorzuherrschen. Wir fliegen noch eine Ehrenrunde durch das Obergoms, um am Nufenenpass frühzeitig den Endanflug nach Schänis unter die Flügel zu nehmen. Mit so einem Vogel wie dem Arcus M ist das natürlich ein gemütlicher Spaziergang, bei dem man gegen Ende einfach das Tempo erhöht. Nach drei erlebnisreichen und spannenden Tagen mit allem, was Segelfliegen zu bieten hat, setzt der Arcus M butterweich auf der Piste 34 in Schänis auf. Kaum hängt der Arcus M an der Hallendecke und kaum fliesst der Schaum des ersten Weizenbieres in unsere durstigen Kehlen, tauchen schon die ersten Ideen für eine Neuauflage auf. Slowenien müssen wir nun natürlich abhaken.

 

Und wohin jetzt?

Aber da sind ja noch viele weisse Flecken auf unserer Erfahrungs-Flugkarte, die wir mit Erlebnissen füllen könnten. Wohin die nächste Reise führen wird? Hier erfahren Sie es, sobald wir wieder zu einem neuen Abenteuer starten.

Hier finden Sie die Flugdetails des dritten Flugtages unserer Reise nach Slowenien und quer durch Österreich.

Luftige Österreich-Rundfahrt (2)

Wandersegelfliegen ist etwas Besonderes. Für einmal nur in eine Richtung fliegen zu dürfen, ausreichend Zeit für eine gemütliche Luftwanderung zu haben und neue Regionen spielerisch kennenzulernen, sind unvergessliche fliegerische Erlebnisse. Solches beabsichtigen wir auch am Tag 2 von geplanten 3, als wir in Nötsch in Kärnten auf dem herrlich gelegenen Flugplatz stehen und darauf warten, dass der Wind aus einer Richtung bläst, mit der wir unseren Arcus M in die Luft bekommen, ohne ihn händisch ans andere Pistenende schieben zu müssen. Heute wollen wir Wien sehen.

Abendliches Fliegertreffen am Grimming. Rund um das Segelflugzentrum Niederöblarn ist die Luft mit Kunststoff-Fliegern gut gefüllt.

Unser Masterplan sieht für heute – wenn uns die Thermik denn gewogen ist – aus der südöstlichen Kärntner Ecke der österreichischen Luftfahrkarte noch oben rechts zu kommen. Da spielen die Wiener Philharmoniker zum Neujahrskonzert. Auf der Donau-Insel entspannen sich die jüngeren Bewohner dieser wunderschönen Stadt. Da ist temporär die OPEC zuhause. Und im Prater drehen sie nicht nur am Ölpreis, sondern auch an einem riesigen Rad. Schloss Schönbrunn und der Stephansdom ziehen Touristen aus aller Welt an. Auch uns. Wir wollen heute nach Wien. Oder wenigstens Wien sehen und umdrehen. Denn von da an soll unsere Luftwanderung ein wenig in Richtung Heimat zurückführen. Wir wollen abends irgendwo in Tirol sein, damit wir am Folgetag sicher nach Schänis zurückfliegen können. Weil der Peter am nächsten Tag in Rom an einer Sitzung seiner beruflichen Gspänli aus ganz Europa sein muss. Macht sich nicht gut, wenn man als jüngstes Mitglieder der exklusiven Runde da fehlt und morgens anruft, um mitzuteilen man vergnüge sich gerade noch etwas in den österreichischen Aufwinden und sie sollen doch schon mal ohne ihn beginnen. 

Zäher Beginn.

Anfangs gerät unser Flug etwas harzig. Ein erster Aufwind spediert uns zwar zügig nach oben. Bloss ist die Talquerung nach Nordosten über das Drautal selbst aus der maximal erreichbaren Höhe und selbst für unseren schönen Arcus M ‚huerä wiit‘. Nördlich des Ossiacher Sees stehen verlockende Cumulus-Wolken am Himmel. Nur, die stehen völlig am falschen Ort, nämlich in einem kontrollierten Luftraum. Weiter nördlich davon, über den Nockbergen, erkennen wir auch flache, weisse Wattebäusche mit wahrscheinlich guten Aufwinden darunter – aber die sind noch ein Tal weiter weg und sicherlich von unserer Startposition aus unerreichbar.

Die Wolken hängen an der falschen Stelle.

Wir sind uns lange nicht einig, wie wir vorgehen wollen. Zumal ich auf der Frequenz von Wien Information niemanden ans andere Ende bekomme. Wir sind zu tief, die können uns wohl gar nicht hören. Aber einfach in die kontrollierten Gebiete einfliegen geht ebenso wenig. Das Thema erledigt sich in den nächsten Minuten sowieso selber. Wir fallen aus allen Traktanden. Der Nordwind (ja, der schon wieder) bugsiert uns an den sonnenbestrahlten Hängen östlich des Millstätter Sees zum Tal hinaus statt seinen Flanken entlang hinauf. Wir beissen auf die Zähne und klemmen dort, wo der Rücken seinen anständigen Namen verliert, alles zusammen. Halten beim Eindrehen in sogenannte Aufwinde den Atem an. Nützt alles nichts. Es ist einfach nichts zu machen, wir bekommen den Segler nicht in einen Aufwind. Am Ende muss für einmal unsere fest eingebaute Thermik helfen. Im Nu starten wir mit vereinten Kräften über dem Drautal den Motor und lassen uns dann eine Etage höher tragen. Plötzlich hilft jetzt auch die richtige Thermik wieder mit. Interessant. Mitten in den Leezonen der Nockberge. Diesmal wollen wir kein Wagnis eingehen und nutzen unseren Motor bis hinauf über die flachen Kreten. Auch da bekomme ich niemanden von Wien Information an den Apparat – hören kann ich die anderen (Motor-)Flugzeuge zwar, aber der Controller uns offenbar nicht einmal ansatzweise. So schleichen wir uns über die Nockberge auf Kurs zur Turracher Höhe davon. Zum nächsten kontrollierten Luftraum westlich von Zeltweg.

Ohne GPS-Moving-Map-System eine Herausforderung: navigieren in den endlosen Hügelzügen des südlichen österreichischen Alpen-Vorlandes.

Hier sieht alles gleich aus.

Die Flachland-Navigation ist für uns Berggeissen schon eine Herausforderung. Ohne GPS wäre ich hier allein mit dem Bestimmen der Position zur Hälfte absorbiert. Aber mit den modernen Moving-Map-Systemen ist das heute echt ein Kinderspiel. Der Transponder ist noch eine Verbesserung obendrauf. Denn ab dem Murtal schalten wir unsere Lottozahlen auf, rufen den mehr oder weniger beschäftigen Controller in Zeltweg – und das war’s dann an einschränkenden Lufträumen. Der kooperative Mann lässt und dahin fliegen, wo die dicken Wolken stehen und wo wir hin wollen. Und nicht dahin, wo er auf seinem Bildschirm gerade viel leeren Platz hat. Cool!

Dank Transponder können wir uns im kontrollierten Luftraum um Zeltweg problemlos den Aufwindlinien entlang bewegen.

Flotter Flug zur Raxalpe.

Es geht flott voran. Wir flitzen unter den inzwischen zahlreicher werdenden Wolken mehr oder weniger kreislos weiter nordostwärts in die Region von Leoben, Kapfenberg und bekommen allmählich den Semmering ins Blickfeld. Bis zur Rax funktionieren die Aufwind noch so, wie sie es heute schon den ganzen Tag hindurch taten – relativ zuverlässig. Ab der Rax fühlt sich die Luft plötzlich spürbar schlechter an. Die Aufwinde stehen in markanten Lee-Zonen, jeweils eine Hälfte geht aufwärts, die andere Hälfte der Kreise abwärts. So wird das natürlich keine vernünftige Fliegerei. Peter müht sich als erster durch diese seltsamen Aufwind, nach unserer Wende am Schneeberg mit Blick auf unser Wandersegelflug-Ziel Wien draussen in der Ebene blüht mir dann dasselbe Vergnügen.

Die Wolken sehen verlockender aus, als die Thermik, die wir darunter dann (nicht immer) finden.

Plötzlich alles verkehrt.

Jetzt müssen wir bei jedem Eindrehen in einen möglichen Aufwind von Neuem entscheiden, ob wir uns in den schwachen dynamischen Aufwindgebieten auf der Nordostseite der Kreten oder in den starken, aber zerrissenen Aufwinden auf der sonnenbeschienenen Seite abmühen wollen. Das Resultat ist bleibt sich meistens gleich. Ein paar Augenblicke lang erwischen wir einen starken Aufwind, wir ziehen den Arcus jeweils in engen Kreisen ins vermeintliche Zentrum, nur, um gleich wieder hinauszufallen. Sicher ist, dass diese Fliegerei in den höheren Regionen über den Kreten noch am vernünftigsten zu handhaben ist. Da können wir die Leethermik mit den Hangwinden auf den Nordostseiten wenigstens teilweise kombinieren. Aber richtig zügig vorwärts kommen wir von hier an nicht mehr. Der Weiterflug in Richtung unseres Tagesziels St. Johann in Tirol, wird zur segelfliegerischen Sonderschicht.

In den letzten östlichen Hügelzügeln der Alpen kurz vor der Rax.

Unübersichtliche Region.

Das unübersehbare Eisenbergwerk zieht unter unserem linken Flügel im Süden vorbei. Ich fabriziere kurz danach den Tiefpunkt dieses Tages, indem ich keinen der zittrigen Aufwinde zu zentrieren vermag. Der Arcus M fliegt dabei immer tiefer durch die Kalkgipfel. Wenn das noch lang so weitergeht, müssen wir nach Südwesten ins Paltental und nach Trieben hinaus flüchten. Da wäre auch ein geeignetes Landefeld, über dem wir den Motor zünden könnten. Hier in den wilden Tälern, Kuppen und Kalkgipfeln des Gesäuses ist daran nicht zu denken. Ein wenig Höhe bleibt uns noch für Experimente.

Geduld. Kreisen. Geduld. Kreisen. Geduld. Kreisen…

Ich kann in einem zarten Aufwind über den fast senkrechten Abbrüchen eines engen, wilden Tales nur mit viel Mühe unsere Höhe halten. Steigwerte bringe ich trotz verschiedener Versuche nicht ins Variometer. Weder das Überfliegen sonnenbeschienener, flacher Matten noch das Einkreisen über markanten Runsen nützt etwas. Langsam wächst meine Verzweiflung. Ich bringe meine Vorstellung, wie Aufwinde entstehen, einfach nicht mit der aktuellen Situation in Einklang. Naja, der Gescheitere gibt in solchen Fällen meistens nach. Also werfe ich alles über Bord, was ich mir an Erfahrung in der Thermik angeeignet habe und hüpfe einfach den Variometer-Tönen nach. Das ist auch nicht immer hilfreich, hinkt dieses doch der Anzeige des Stauscheiben-Varios etwas hinterher und zeigt tendenziell schlecht kompensierte Werte an. Einen Aufwind mit Variometer-Anzeige UND Sitzdruck zu finden, gelingt mir schon längere Zeit überhaupt nicht mehr.

Aber mit viel Geduld erwische ich dann doch noch aus einem voll in der Sonne stehenden ‚Chrachen‘ endlich einen Aufwind, der uns wieder auf eine beruhigendere Höhe über die Gipfel hinaus trägt. Den winde ich aus, bis es nicht mehr geht. Peter wird es bei meiner mühsamen Kurblerei schon langsam trümmlig. In den tieferen Höhenbändern steigen die Aufwind ein Stück weit senkrecht nach oben, um mit zunehmender Höhe vom Wind deutlich versetzt zu werden. Sucht man die Aufwinde dann anhand der Wolkenbilder, liegt man heute damit ziemlich daneben. Sucht man sie am Boden, ebenfalls, weil sie nicht da sind, wo man sie vermuten würde.

Luftige Begegnung am Dachstein.

Peter zaubert den Arcus M auf Endanflughöhe.

Jetzt steigt immerhin mit unserer grösseren Höhe der Spielraum und die Übersicht. Peter macht dann auf seinem darauf folgenden Streckenteil seine Sache markant besser. Er kämpft zwar auch mit der Leethermik und dem Nordostwind, zaubert aber den Arcus M immer näher auf unsere Endanflughöhe nach St. Johann. Aus den anfänglichen 130 km Flugdistanz mit einem Höhen-Minussaldo von 900 Metern werden irgendwann am Dachstein in einem unmöglich schrägen Aufwind weit draussen im Tal noch 60 km und +300 Meter. Diesen Saldo steigert er dann über der Skistation von Leogang auf einen geradezu luxuriösen Wert, mit dem wir im Lehnstuhl an unser heutiges Ziel gelangen werden. Unter uns passiert das Infanterie- und Biathlon-Gelände von Hochfilzen, bevor wir uns in den regen Platzverkehr am Flugplatz St. Johann einfädeln.

Menschen zur Tür hinaus werfen.

Die schmeissen hier andauernd gegen Geld Menschen mit Fallschirmen aus einer türlosen Cessna 182. Meistens sind alle gemeinsam und gleichzeitig wieder zurück am Flugplatz, die Fallschirmspringer und das Flugzeug. Ein ineffizienter Sport. So könnten die ja auch gleich drin sitzenbleiben. Wäre komfortabler, einfacher, effizienter und man hätte mehr von der Aussicht. In diesen seltsamen Betrieb wickeln wir uns im richtigen Moment dazwischen und landen auf dem Grasstreifen des idyllisch gelegenen Tiroler Flugplatzes. Uuffhh – das war jetzt doch noch ein hartes Stück Arbeit vom Schneeberg bis hierher!

Wie die Flüchtlinge.

Wir gönnen unseren Batterien im Vereinslokal eine frische Ladung Elektrizität und uns im Flugplatz-Restaurant ein feines Weissbier sowie ein Nachtessen. Hunger und Durst sind bei unserer heutigen Tätigkeit gewaltig angewachsen. Danach machen wir uns per pedes auf in unsere Unterkunft, die Peter online ausgegraben hat. Es ist eine Ferienwohnung irgendwo im Villenviertel droben am Nordhang des Flugplatzes. Mit unserer seltsamen Kleidung und den Plastiktaschen, in denen wir unsere ganze Habe transportieren, fallen wir im noblen Chalet- und Villen-Quartier schon etwas auf.

Die Arcus M-Besatzung auf dem idyllischen Flugplatz St. Johann im Tirol.

Unser heutiger Gastgeber ist sich offenbar allerhand gewohnt. Er verzieht jedenfalls keine Mine und führt uns in unser heutiges Nachtquartier, eine einwandfreie Parterre-Ferienwohnung in einem grossen Mehrfamilienhaus. Die Ruhe ist gewaltig, die Aussicht auf die Kalkwände des Wilden Kaiser ebenfalls. Zufrieden sinken wir nach einem weiteren Versuch, mit Weissbier unseren Durst zu stillen, in unserem Doppelbett in die Kissen. Es ist ein Gerücht, dass wir beide schnarchen. Da ich immer etwas später einschlafe, kann ich hier bestätigen, dass nur Peter schnarcht. Weil er aber immer mitten in der Nacht von der Bettflucht getrieben erwacht, kann auch er hier bestätigen, dass nur ich schnarche. Stimmt ja auch, wenn man wach ist, schnarcht man ja sicher nicht.

Peter, (und) der wilde Kaiser. Für einmal vom Segelflug-Abenteuer auch er etwas ‚geschlaucht‘.

Wie auch immer – anderntags marschieren wir frisch und munter ans grosszügige Frühstücksbuffet. Und wie es von dort aus weitergeht? In der nächsten Folge folgt die Beschreibung des Schlusstages unserer herrlichen Luftwanderung mit dem Weg durch die höchsten österreichischen Gletscher und Grate mitsamt einem Ausflug bis ins Wallis in diesen Blog…

Hier finden Sie die Details zum oben beschriebenen Flug.

 

Luftige Österreich-Rundfahrt (1)

Perfekte Tage für Wandersegelflug 2017 – endlich schaffen wir es nach Slowenien

Dass es uns in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, die im Grunde lächerliche Flugdistanz von Schänis nach Slowenien zu erfliegen, ist ja inzwischen bekannt. Dieses Jahr können wir allen faulen Sprüchen nun definitiv ein Ende setzen. Erledigt. Wir waren da. Also fast. Naja, mit einem Flügel im Luftraum. Oder mindestens in der Nähe. Nur ein paar Kilometer zu kurz. Aber wenigstens in Kärnten. Genauer: in Nötsch. Das zählt ja unter den Hardcore-FPÖ-Mitgliedern aus dem Bärental eigentlich fast schon dazu. Eigentlich richtig. Immer schon. Zu Österreich.

Wandersegelflug_Österreich_Dolomiten_drei_Zinnen.

Kärnten von seiner besten Seite

Also für uns zählt der Luftraum ‚hinter Kärnten‘ weiterhin zu Slowenien. Und wir sind bestenfalls in der Thermik-Partei. Die ist schon ziemlich freiheitlich. Aber bis wir da waren! Was für eine Plackerei. Der Nordwind. Die schwache Thermik. Ein schwerer Flieger. Schwere Piloten. Die langen Talsprünge. Überhaupt – ein Wunder, dass wir unser erstes Tagesziel Nötsch in Kärnten erreicht haben.

Wandersegelflug macht einen ’schlanken Fuss‘.

Aiaiaiai: Kärnten ist so weit weg!

Danach sieht es zumindest am Anfang unserer drei Wander-Segelflug-Tage aus. Wir schleichen uns über den klassischen Sommerweg (Tsiger-Highway) davon. Der Arcus-M-Motor bringt uns nach einem Start, der sich anfühlt, als sei eine Ente mit Drillingen schwanger und werde vom Fuchs in die Luft gescheucht, an den Gufelstock auf 2‘800 m.ü.M. Jaa, richtig. Höher konnte man an dem Tag fast nicht eigenstarten, sonst hätte man am Horizont Afrika erkennen können. Aber es war bitter nötig. Die Luft. Tot. Nur an einer einzigen Stelle nordöstlich der Weissenberge empfängt uns ein schwaches ‚Uufwindli‘ und lässt unseren 800-kg-Vogel die Höhe halten, bzw. grosszügig 80 Meter dazugewinnen. Das schafft Zeit. Zum Nachdenken. Was man denn allgemein so nützt im Leben. Im Speziellen jetzt gerade. Zum Philosophieren. Über die Geduld, die man so bräuchte. Zum Beispiel jetzt gerade.

Thermisch nahezu inaktive Luftmasse über dem Glarnerland – jetzt nichts wie weg hier…

Denn wir sind früh genug gestartet. Schon der Thermikbaum in Schänis bewegte sich nicht von der Stelle. Vermutlich hat er das Thermikbuch noch nicht gelesen und weiss noch gar nicht, was er hauptberuflich tun müsste. Wir wollen schnellstmöglich aus der schwierigen Luft in den Glarner Alpen weg. Wenn man nämlich hier die schneeweissen Berge in gleissender, glasklarer, trockener Luft sieht, ist thermisch erfahrungsgemäss nicht viel los.

Heute müssen uns die Prättigauer retten.

Peter und ich flüchten schnurstracks aus dem Glarner Sernftal an den Prättigauer Vilan. In der Hoffnung, dass dort etwas bessere Luft sei. Am Vilan bewegt sich die Luft an den üblicherweise verdächtigen Stellen zwar leicht aufwärts, aber mit unserem heute schwer beladenen Dickschiff kann ich kaum etwas ausrichten. In jeder Kurve vernichte ich mehr Höhe, als ich im Geradeausflug gewinne. Das ist ein schlechtes Konzept. Wie Heinz Brem richtigerweise früh erkannt hat. Er klingt mir in den Ohren, als ich nüchtern auf dem Höhenmesser eine Zahl sehe, die unter 1‘700 m.ü.M. sinkt. Jetzt hilft nur noch ganz isolierte Luft. Zuhinterst in den ‚Prättigauer Chrächen‘. Über einem Absatz direkt vor der Schesaplana kann ich mit viel Mühe die Höhe halten und langsam etwas Reserve aufbauen. Nur, um sie beim ersten Fluchtversuch wieder zu verspielen. Es wird langsam etwas warm im Cockpit. Ich bin komplett falsch angezogen für diese Höhen und Temperaturen. Unter dem linken Bein heizt Peters Plastiksack mit seinen Habseligkeiten meine Wade. Unter meinem rechten Bein ist es mit meinem Plastiksack und meinen Habseligkeiten etwas besser, aber der Schweiss läuft mir auch da in die hohen Bergschuhe.

Eigentlich sehe ich die Schesaplana am Eingang des Prättigaus lieber aus grösserer Höhe – heute kommen wir nur mit Mühe aus den ‚Prättigauer Chrächen‘ in die Höhe.

Zäh wie Honig.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich unseren Plastikvogel endlich ein paar Hundert Meter in die Höhe bringen kann. Peter macht das dann etwas später wesentlich besser. Er fliegt nach der Wachtablösung einfach in einen ersten guten Aufwind und bugsiert uns damit westlich der Sassauna ‚zurück ins Geschäft‘. Nach zwei Stunden Luftkampf sind wir endlich eingangs Flüela-Tal auf Abflughöhe in den Nationalpark.

Dieser Nordwind!

Ich war anfangs Woche im Einsitzer unterwegs und hatte schon da Mühe mit dem Nordwind. Er versetzt die Aufwinde aus den sonnenbeschienenen Wänden auf den Nordseiten der Täler irgendwohin in deren Mitte. Ich kann mir heute auf unserem Flug durch den Schweizer Nationalpark schlicht nicht vorstellen, wo die Aufwinde, die etwa in einem 45°-Winkel geknickt werden, ihre eigentliche Quelle haben. Entsprechend schwierig gestaltet sich das Finden und Zentrieren eines brauchbaren Aufwindes. Denn über den sonnenüberfluteten Nordseiten der Täler geht’s richtig den Bach runter. Mit vier bis fünf Metern pro Sekunde. Da hilft nur eines: sofort die Talseite wechseln. Und so versuche ich über den schattigen (!) Südseiten der Täler Aufwinde zu finden, die von irgendwo her auf der anderen Talseite kommen. So, wie sich das liest, fliegt sich das dann auch. Wie auf einer gross geratenen Achterbahn. Wir beobachten aus dem Augenwinkel einen anderen Segler, der hoch über uns aus Südosten wegzieht und den sonnenbeschienenen Nordseiten folgt… Kurz darauf dreht er unter uns in einen ebenso vermeintlichen Aufwind auf der anderen Talseite ein. Alles reine Nervensache heute!

Kein einziger Kreis im Aufwind

Diese Art Fliegerei bringt mich regelmässig fast zur Verzweiflung. Rettung bringt heute (eigentlich zufällig) ein Aufwind aus der Mitte des Tales. Zufällig deshalb, weil ich mir bei der Aufwindsuche lediglich überlege, die Wirkung von Wind und Sonne kombinieren zu müssen. Wo diese theoretische Kombination praktisch nutzbare Aufwinde auslösen sollte, muss ich erst mühevoll ‚ertasten‘. Das gelingt dann endlich nicht schlecht und wir gelangen mit viel Geduld am Westende der Stauseen von Bormio auf eine vernünftige Abflughöhe ins Vinschgau. Auf astronomisch anmutenden 3‘500 m.ü.M. legen wir über der Ortschaft Sulden endlich los und starten nach Osten. Aber diese Höhe werden wir noch bitter nötig brauchen.

Der Bär brummt heute nicht im Vinschgau

Die Wetter-Optik verbessert sich zwar geringfügig. Es stehen erste Flusen am stahlblauen Himmel. Immerhin. Jetzt müsste ich darunter bloss noch Aufwinde finden. Das gelingt nicht wirklich – eigentlich verwalte ich die am Ortler gewonnene Höhe bis über Meran hinaus. Die Optionen sind nicht gerade ‚amächelig‘. Mitten über den Sarntaler Alpen beobachten wir seit längerer Zeit einen sich immer wieder teilweise auflösenden Wolkenfetzen. Die gute Nachricht ist, dass er immer wieder entsteht, wenn auch an verschiedenen Orten. Nach längerer Diskussion fliege ich einfach von Norden nach Süden die wahrscheinlichsten Aufwindquellen ab. Und habe Glück dabei. Nach einem kräftigen Durchsacker im Lee des weitherum höchsten Gipfels stürchle ich in einen Aufwind, der endlich einmal die Variometer-Nadel kreisrund im positiven Bereich zu halten vermag. Damit ist der Druck von der Leitung, eine wichtige erste Etappe ist geschafft, wir sind unserem Ziel Slowenien näher denn je.

Zwei endlos lange Gleitstrecken bis in die Dolomiten

Wieder einmal sind wir für die ausgezeichneten Gleitflug-Eigenschaften des Arcus M dankbar. Sie tragen uns auf vernünftigen Höhen – eigentlich ohne richtige Aufwinde und nur mit dem Nutzen etwas besser tragender Zonen – aus dem Vinschgau mitten in die Sarntaler Alpen und von dort aus im eben beschriebenen, geschenkten Aufwind auch hinüber in die Dolomiten. Das sind schon auf der Landkarte zweimal rund 40 Kilometer und die fühlen sich auch in der Luft endlos an.

Endlich: die Dolomiten kommen in Reichweite.

In den Dolomiten finden wir erstmals eine andere Luftmasse

Peter zirkelt den Arcus M an der westlichsten Felsenecke über St. Maddalena um die Kalkzinnen der Dolomiten-Ausläufer und hält die Maschine trotz spürbarem Nordwind-Einfluss und vielen drohenden Lee-Fallen mit Geduld und dem Auskreisen enger Aufwinde, die hier aus den steilen, engen ‚Chrächen‘ der Dolomiten in die Höhe schiessen, auf einer vernünftigen Höhe. Eines der schönsten Bergmassive der Alpen rückt nun in Griffweite: die drei Zinnen. Ich bin immer wieder fasziniert von diesen endlosen Kalkzinnen, den senkrechten Wänden und der einzigartigen, relativ flachen Landschaft, auf der sie in die Höhe wachsen. Eigentlich würde ich seit Jahren einmal gerne hier zum Skilaufen hinfahren – wenn denn Zeit und Geld einmal gemeinsam vorhanden sind.

Steil, steiler, Dolomiten. So steil die Kalkwände hier sind, so eng sind die Aufwinde.

Dobrodošel‘ – oder doch lieber ‚Habe die Ehre‘?

In der deutlich labileren Luft klettert Peter am Nord-Eingang des Lesachtales vor den Lienzer Dolomiten nun mühelos auf Endanflughöhe ins kärtnerische Nötsch direkt an der Grenze zu Slowenien. Auf dem Flug durch das Lesach– und Gailtal überlegen wir immer wieder, ob wir wirklich noch über die Karawanken nach Slowenien fliegen sollen, die Flughöhe dazu wäre in wenigen Minuten zu ersteigen, immer wieder durchfliegen wir, jetzt, da wir sie nicht mehr wirklich brauchen, starke Aufwinde. Letztlich entscheiden wir uns für den Flugplatz Nötsch in Kärnten als Nachtquartier. Nicht zuletzt deshalb, wie uns die Kameraden, die im Frühling da jeweils hinreisen, von den Restaurants und der ausgezeichneten Verpflegung vorgeschwärmt haben.

Diesmal nächtigt der Arcus M am Fusse des Dobratsch.

Seitwärts-rückwärts parkieren

Der Betriebsleiter am Flugplatz empfiehlt uns eine Landung – im leichten Rückenwind. Ich überlege lange, ob ich seiner Empfehlung folgen soll. Aber angesichts der Flugplatzlänge und der weichen Graspiste überwiegt am Ende die Bequemlichkeit und ich setze den Flieger erst nach Pistenmitte ins Gras, um nach einem kurzen Bremsweg direkt seitwärts zum nächtlichen Parkplatz auszurollen. Peter wölbt sofort nach dem Aufsetzen die Klappen um, das Flugzeug bleibt auch im leichten Rückenwind bis zuletzt perfekt steuerbar. Mit der anderen Pistenrichtung hätten wir unseren Flieger über die Graspiste zurückschieben müssen, zu zweit nicht das leichteste aller Vergnügen.

Peter macht sich bei den hier anwesenden Segelflug-Urlaubern auf die Jagd nach Verzurr-Material. Nachdem wir den Arcus M festgebunden und gereinigt haben, genehmigen wir unseren durstigen Kehlen im Vereinsheim ein Weizenbier oder zwei. Das ist immer eine gute Gelegenheit, eine vernünftige Unterkunft zu finden, die lokalen Piloten kennen die Region am besten.

Gemütlicher Abschluss des ersten Wandersegelflug-Tages im Vereinsheim auf dem Flugplatz Nötsch.

Auf dem nackten, hartem Boden

Nach einigen Telefonaten müssen wir uns geistig vom Genuss einer ganz speziellen Suppe (hat beim Entscheid, hierher zu kommen, eine Nebenrolle gespielt), die es in einem leider ausgebuchten Hotel namens Marko angeblich gegeben hätte, verabschieden. Dafür kutschiert uns einer der Piloten in die kleine Ortschaft Feistritz an der Gail. Letzteres ist das Flüsschen, das hier durchfliesst. Nicht, ohne uns vorher drauf hinzuweisen, dass die letzten Wandersegelflug-Gäste aus Deutschland direkt auf dem Boden und unter dem Flügel genächtigt hätten. Mir fliegen alleine beim Gedanken daran die Bandscheiben reihenweise aus der Wirbelsäule. Das sind noch wahre Sportsmänner! Ich glaube hingegen, ich käme nach einer Nacht auf dem harten Kärntner Boden mit freiem Blick auf das Triglav-Massiv tagelang gar nicht mehr über die hohe Bordwand ins Cockpit des Arcus M.

Bärenhunger und Festbeleuchtung

Mir hängt inzwischen der Magen knurrend in den Kniekehlen. Ausser den beiden Weizenbieren habe ich heute seit dem Frühstück in Schwanden keine anderen Grundnahrungsmittel mehr zu mir genommen, sieht man vom Trinkwasser während des Fliegens ab. Irgendwie hatte ich dafür weder Lust noch Zeit (und im Flugzeug auch keinen Platz für eine anständige Brettl-Jause). Also vertilgen wir beide im Gasthof Alte Post in Feistritz gleich eine Knödl-Suppe, ein Filetpfandl und eine weitere Garnitur Weizenbiere. Auffällig sind die Preise. Aus Schweizer Sicht und mit der Euro-Abwertung fast unglaublich günstig. Daheim dasselbe zu bekommen, ist gefühlt beinahe doppelt so teuer. Dafür sind hier die Gaststätten proppenvoll und bei uns fast leer, weil sich das niemand mehr leisten will (oder kann).

Bevor wir uns aufs Ohr legen, wollen wir noch einen Verdauungs-Spazierung durch’s Dorf geniessen. Wir drehen aber schon nach ein paar Dutzend Meter um – zappenduster, wie es hier ist. Irgendwie scheint der Gemeinde für eine nächtliche Beleuchtung und Glühbirnen in den Strassenlampen das Geld zu fehlen. Und weil im Dunkeln nur die Katzen gut sehen, tigern wir unverrichteter Dinge zurück in Richtung unseres Schlafgemaches.

Peter im Ausguck

Das wiederum ist ein sogenanntes Ersatzzimmer. Ich glaube, da war alles ausgebucht in der Alten Post in Feistritz. Und wir haben nun ein zweigeschossiges Zimmer bekommen. Vermutlich das letzte freie Zimmer überhaupt. Jedenfalls klettert Peter über eine steile Treppe hinauf unters Dach in den Ausguck. So verpassen wir bestimmt morgen früh das Einsetzen der ersten Thermik nicht. Und geschnarcht wird so erst noch zweigeschossig. Ersatzzimmer haben auch Vorteile. Ich hoffe einfach, dass es ihn nicht nächtens die steile Stiege hinunterschlägt, sollte er im Dunkeln nach all den Weizenbieren plötzlich auf die Toilette gedrängt werden.

Neue Balkan-Route?

Anderntags fährt uns der slowenische Kellner nach einem reichhaltigen Frühstück eigenhändig zum Flugplatz und macht erst mal grosse Augen, als er uns vor einem Segelflieger ausladen muss. Erst jetzt dämmert ihm, warum wir beide mit etwas seltsamem Reisegepäck eingecheckt haben: mit nur zwei Plastiksäcken mit all unseren Habseligkeiten darin. Als würden wir als gut genährte Flüchtlinge auf einer neuen Balkan-Route nach Zentral-Europa einreisen.

Weiter quer durch Österreich

Wie und wohin die luftige Österreich-Rundfahrt uns an diesem und dem darauf folgenden Tag führt, lesen Sie hier demnächst im kommenden Blog-Eintrag… Servus – und bis bald!

Hier finden Sie die Bilder-Galerie.
Und hier alle Flugdetails aus dem Online-Contest.

Alpenklassiker im Nordwestwind – ein Bein 0.2% zu kurz

Montag, 22. Mai 2017 – Tour zu den schönsten Alpengipfeln.

Das Matterhorn, fotografiert aus einem starken Aufwind direkt über dem ‚falschen‘ Wendeort Gornergrat.

Die Segelflug-Reise zum Ortler und ans Matterhorn ist einer meiner bevorzugten Alpenflüge. Diesmal habe ich es bei der Flugeingabe etwas zu eilig und plaziere einen der Wendepunkte für ein aritmethisch sauber gerechnetes 28%-FAI-Dreieck eine Spur daneben. Eigentlich müsst man ja nur den Wendepunkt in die FAI-Flächen legen – wenn man sie denn auf dem PC-Display erkennen kann. Das ist aber auch weiterhum das einzige ‚Problem‘. Sonst gehts wirklich nur um’s fliegen. Endlich habe ich mich einmal von meinen elend langsamen Durchschnittsgeschwindigkeiten ein wenig gelöst. Das nächste Mal versuche ich, den Flug einmal im dreistelligen Bereich zu umrunden. Also nicht weiter oder länger, sondern etwas schneller!

Der Nationalpark am Ofenpass präsentiert sich heute in traumhafter segelfliegerischer Optik. Der Ortler ist am rechten Bildrand an seiner Schneekuppe zu erkennen.

Heraus gekommen ist an diesem Tag ein herrlicher Flug über einer schneereichen Frühlingslandschaft. Im Wallis häckselt ein zackiger Nordwest alle Aufwinde quer durch. Damit mache ich in den Matter Tälern seltsame Erfahrungen. Die steilen Klüfte sind an diesem Nachmittag alle ungewohnt parallel angeströmt. Gut, ist da etwas Wasser in den Flächen, die Schüttlerei fühlt sich an wie ein Föhnflug. ‚Cinqueächzt und giiret jedenfalls durch alle Böen. Im nächsten Winter muss ich wohl bei der Liegewanne einmal einen Ölwechsel machen.

Einmal mehr fühle ich mich auf dem entspannten Heimweg glücklich und privilegiert wie ein Schneekönig. Was für ein tolles Erlebnis, diese beiden wunderschönen und doch gegensätzlichen Alpengipfel – der eine ein über und über mit Schnee und Gletschern bedeckter Kalkhaufen, der andere ein richtiger Walliser Granitzacken, an dem ausser ein paar dünnen Eisfeldern nichts kleben bleiben kann – an einem Nachmittag anzufliegen.

Den letzten Aufwind kann ich im Binntal (jaa… ich glaube es selber noch nicht so richtig) bis auf 3’800 m.ü.M. hinauf ausdrehen – und damit ohne irgendeine Unterbrechung – wie etwa der doofen Kreiserei in einem Aufwind – dem Strich nach zurück nach Hause pfeifen. Haah, soguet – und das erst noch alles mit McCready >2.5 oder einem Reiseflug-Speed von mehr als 140 km/h. Unglaublich, wie agil sich ‚Cinque‘ im hohen Alter bewegt 🙂

Hier sind alle Flugdetails von Rainer Roses Online Contest.

So bringt man Armin zum Strahlen

Ein Tag in der fliegenden WG *)

Wer schon mit Armin geflogen ist, weiss, dass man mit ihm eine Art fliegender Wohngemeinschaft in einer etwas knappen Zweizimmer-Wohnung eingeht. Eigentlich kann man sich da drin kaum bewegen. Speziell im vorderen Zimmer müsste eigentlich jemand die WG verlassen, wenn was zu Boden fällt und man sich bücken muss.

Bis zum Arlberg waren die Aufwinde oder unsere Flugmanöver noch etwas unrund. Am Spullersee dreht ein österreichischer Kamerad in unseren Aufwind ein.

Am Sonntag, 10. April 2017 durfte ich auf dem Balkon dieser Unterkunft Platz nehmen und Armin hat mich – getreu dem Rat seines Kardiologen – einwandfrei nach Innsbruck und Andermatt bewegt. Anfangs war für meine Verhältnisse noch etwas viel Kampfflugzeug-Stil mit im Spiel, nach ein paar Stunden bin ich im sanften Auf und Ab, mit denen Armin den gut geladenen Arcus T jeweils mit feinem Händchen in die Aufwinde zog, beinahe eingeschlafen. Dass wir dabei eine Menge Spass hatten, ist auf der folgenden Aufnahme mit dem glücklichen Armin unschwer zu erkennen.

Ein glücklicher Armin Hürlimann auf dem hinteren Sitz des Arcus T HB-2467.

Die Verhältnisse waren an dem Tag aber auch Spitzenklasse. Nur Vorarlberg hat zu Beginn etwas viereckige Aufwinde geliefert. Das wurde über Tirols Gipfeln dann schon deutlich besser – mit den besten Aufwinden über Seefeld und südlich des Fernpasses. Und wo kann man schon einen dicken Passagier-Jet von weit oben im Landeanflug auf Innsbruck bewundern, wenn nicht aus dem Logenplatz seitlich des GNSS-Rüssels im Westen von Innsbruck? Natürlich brav mit Freigabe von Innsbruck Radar. Die Besatzung vom Turm kennen wir ja noch bestens von früheren Gelegenheiten.

Luftige Begegnung über Zams. Das obere Inntal lief an diesem Flugtag ausgezeichnet – die Controller von Innsbruck Radar hatten einiges zu tun.

Was war sonst noch speziell? Der leicht verhaltensgestörte Sollfahrtgeber? Oder waren es wirklich so massive Abwindfelder? Jedenfalls schien die Luft zwischen den teilweise weit auseinander stehenden Aufwinden stark und über längere Zeiträume grossflächig zu sinken. Was den Armin zu einem ungeahnten Geschwindigkeitsrausch antrieb. Mit MacReady 1.0 war die vorgegebene Geschwindigkeit nur noch weit jenseits der 200 km/h-Marke zu erreichen. Da half zwischen Klosters und Lenzerheide, wo wir kurz 1’000 Höhenmeter durchgebraten haben, auch manuelles Nachrechnen mit dem Stauscheiben-Vario-Ring nicht weiter, auch dieses Instrument wollte uns mit 240 km/h fliegen sehen, ungeachtet der Tatsache, dass der Boden immer näher kam. Das wiederum wurde dann dem LX 7000 zuviel – es meldete sich mit der schlichten, rot umrandeten Warnung ‚Zu schnell‚!

Das Mittelland versinkt bereits im abendlichen Dunst der tief am Himmel stehenden Sonne. Hier der Blick vom Fronalpstock / Stoos auf Veriwaldstättersee und die Rigi.

Bei einem solch wunderschönen Flugtag macht auch eine enge WG wie der Arcus T eben im vorderen Zimmer ist, viel Spass, inkl. romantischem Flug-Ausklang hinaus aus den schneebedeckten Hochalpen in den Sonnenuntergang über dem Flachland bis an die CTR von Emmen – das machen wir wieder einmal, Armin!

Blick aus der letzten Abkreiskurve auf den Flugplatz Schänis.

*) Wohngemeinschaft.

Herbst-Ausflug ins Binntal – und über die Glarner Gletscher

Samstag, den 10. September:
der Sommer wird jetzt bis zu den Herbstferien verlängert

Wenn man sich wie Andi und ich zu zweit ein einsitziges Flugzeug teilt, ist es nicht einfach, miteinander zu fliegen. Mitte September schenkt uns das Wetter in diesem Herbst aber überraschend ein paar wirklich feine Alpenflugtage in Serie, welche die Schänner Streckenpiloten für verschiedene Ausflüge bis an den Mont Blanc nutzen können. Einen der letzten, den Samstag, 10. September, können wir beiden ‚Cinque-Piloten‘ aber trotz knapper Termine im Arcus T, HB-2470, gemeinsam auf einem Flug bis an den Simplonpass und mit einem spannenden Abstecher durch die (kleine) Glarner Gletscherwelt geniessen.

Mit Geduld in die Surselva
img_2395Auf dem Glarner Sommerweg kriechen wir zwischen den untersten, tiefhängenden Wolkenfetzen und der harten und bis auf 3‘000 M.ü.M. ansteigenden Glarner Geographie aus dem Sernftal knapp über das Martinsloch in die vielversprechend wirkenden Aufwinde in der Region Grap Sogn Gion über Flims. Sie tragen uns für die fortgeschrittene Jahreszeit erstaunlich zuverlässig bis hinauf an den Oberalp-Pass. Da wir uns für heute kein besonderes Streckenziel ausgedacht haben, spazieren wir gemütlich über die nördlichen Tessiner Berge ins komplett ausgeaperte Bedretto-Tal, wo wir an vereinzelten Stellen erstaunlich gute Aufwinde erwischen. Die Operationshöhe ist zwar tiefer als gewohnt, aber sie reicht aus, um über den neu eingerichteten Windpark am Nufenenpass den Kreten entlang ins Binntal zu streichen. Wo die Sonne trotz der sich ausbreitenden Wolken den Boden erreicht, entstehen aber recht zuverlässige, ruhige Aufwinde.

img_2421

Markus macht wieder den Renz-des-vaches.
Während wir gemütlich durch das Nordtessin gondeln, ist Markus von der Crone, der einige Zeit früher als wir mit seiner JS-1 gestartet ist, unterwegs bis an den untersten Zipfel des Wallis. Er nutzt diesen ‚geschenkten‘ Herbsttag für eine weite Segelflugreise westwärts bis nach Martigny, um dann in einem weiten Bogen mehr als 50 km nahezu aufwindfrei und mutig durch das thermisch praktisch inaktive Mittelland hinüber an die ersten Ausläufer des Juras zu gleiten – und diesem entlang dann nordostwärts bis nach Gösgen und zurück nach Hause zu fliegen.

Streckenfliegen ist Stimmungssache.
img_2399Davon wissen wir zu dem Zeitpunkt allerdings nichts – und lassen uns von der tiefen Wolkenbasis und den Ausbreitungen im Mittelwallis etwas zu stark beeindrucken – und weil wir der Sache zuwenig trauen, auch wieder ostwärts zurück treiben. Wir wären für einen Flug das Wallis hinunter allerdings auch etwas spät unterwegs. Auf diese Weise können wir dafür die herbstliche Schönheit des Haupt-Alpenkammes rund um den Gotthard geniessen. Die Berge sind bis weit hinauf ausgeapert, die Region um den Nufenenepass habe ich selten so ‚ausgetrocknet‘ gesehen. Auf diesen Höhen liegt um diese Zeit normalerweise wieder der erste Schnee. Dass die Jahreszeit stark fortgeschritten ist, spüren wir natürlich auch bei jedem Aufwind. Die Thermik hat Mitte Nachmittag nicht mehr die Kraft der hochstehenden Sommer-Sonne. Die sonst starken Aufwinde im Val Canaria und auf der Westseite des Lukmaniers sind eng und haben meistens nur eine kurze Lebenszeit. Wir können Sie mit engen Kreisen jeweils für eine bestimmte Zeit nutzen – aber jeder zweite Versuch ist ein Reinfall, weil das tragende Gebiet einfach zu klein ist. Mit etwas Geduld und engen Kreisen passt aber der Anflug in die höchsten Glarner Gipfel trotzdem ganz passabel.

ts_2016-09-10-15-28-19

Der Glarner Horse-Shoe.
Mit dem frühen Entscheid, aus dem Wallis zurück nach Graubünden zu fliegen, haben wir nun Zeit für eine ausgedehnte Führung durch die kleine Welt der Glarner Gletscher. Wir machen einen Besuch bei der Planurahütte und bewundern einen der grössten Eiskessel der Alpen. Der hat zwar in den vergangenen zehn Jahren von seiner imposanten ursprünglichen Grösse einiges an Volumen eingebüsst, ist aber noch immer ein eindrücklicher Horse-Shoe. Die Südseiten des Val Russein und die Westwand des Tödi liefern ebenso zuverlässige Aufwinde wie die Krete zur Surselva beim Piz Cavardiras– damit können wir die Gletscherführung am Clariden etwas ausführlicher gestalten.

Wir lassen den gemütlichen Herbsttag mit einem langen Gleitflug bis um den Calanda und zurück nach Schänis ausklingen. Das neue Wolfsrudel am Calanda haben wir leider nicht angetroffen. Aber eigentlich ist sie herrlich, diese Klima-Erwärmung, wenn man sie so isoliert aus der Optik eines Segelfliegers betrachtet, nicht wahr?

Auf der Flucht vor feuchtheisser Luft

Freitag, 24. Juni 2016: Ortler-Matterhorn

Nach einem ‚gefühlten‘ Monat mit monsunartigen Wetterverhältnissen schaltet die Meteorologie für zwei Tage auf ‚Hochsommer‘. Einen davon, den Freitag, 24. Juni, darf ich dank eines verständnisvollen Chefs im Segelflugzeug-Cockpit geniessen – was für ein Privileg: die schönsten Gipfel der Alpen aus dieser Perspektive und bei diesen Wetterverhältnissen zu erleben. Darunter ist natürlich auch die bellavista – kürzlich nach einem bekannten Beatmungsgerät für Intensivmedizin umbenannt – naja, vielleicht war’s ja auch umgekehrt – aber das schliesse ich hier in mein Dankeschön an meinen neuen Arbeitgeber, der Hightech-Geräte dieses Namens herstellt, natürlich ein 🙂

IMG_3472

An Anfang zäh und tief.
Der Flug verläuft nur am Anfang und am Ende spektakulär. Es ist unglaublich zäh, um aus der feuchtheissen Luft in der Walensee-Region hoch genug hinauszukommen, um im Prättigau Anschluss an die trockenere Luftmasse und die etwas hochbasigere Thermik zu finden. Die Windverhältnisse bleiben mir lange ein Rätsel. Eine Luftströmung aus östlicher Richtung macht es schwierig, die Aufwinde sauber zu erwischen. Die Thermik ist trotz weit ausladender Kondensation häufig sehr eng – ich bekomme meinen Segelflieger, den ich optimistisch mit Wasser gefüllt habe, nicht immer sauber in die Aufwinde und komme anfangs nur langsam und vor allem eine Etage zu tief voran.

Am übelsten ist der Einstieg ins Unterengadin. Die bekannten, trichterförmigen Südflanken der Nuna bei Zernez – wo heute eine Open-Air-Konzertveranstaltung stattfindet, trägt zwar nahe am Hang, aber die Thermik setzt jeweils ruckartig und nur unregelmässig, dafür heftig ein, die Fahrt-Zu- und Abnahme ist gefährlich. So setze ich einfach den Hängen nach weiter ostwärts, um an einer kegelförmigen, etwas tiefer gelegenen Stelle nicht nur am Hang Achten fliegen zu müssen, sondern vor dem Hang an einer ungefährlicheren Stelle sauber in die Thermik eindrehen zu können. Mit etwas Geduld grabe ich tief über der herrlichen Landschaft des Nationalparks endlich einen ruppigen, aber kräftigen Aufwind aus und kann meinen Segelflieger endlich eine Etage höher hinauf zirkeln. Bei jedem Kreis spüre ich die Ränder des Aufwindes, manchmal gerate ich auch darüber hinaus in kräftiges Fallen. Die Luft fühlt sich etwas ‚gummiger‚ an, als die einigermassen knackige Temperatursonde voraussah.IMG_3467

Vor den Schneeflanken des Ortlers wende ich – das Wallis ist schliesslich auch noch auf der heutigen Menukarte – vor allem das Matterhorn. Die Reise dahin verläuft komfortabel und hoch, durch die aufkochenden Luftmassen in der Region Savognin, dann über die Tessiner Alpen direkt an den Nufenen und ohne Kreis weiter über Binntal, Simplon zum Eingang des Vispertales. Die Wetteroptik ist herrlich. Hohe, breite Cumulus, keine Gewittertendenz, glasklare Luft und gute Steigwerte.

Ein brachialer Aufwind – von ganz unten heraus
Vor dem Weissmies erwische ich einen der starken Aufwind von ganz unten heraus und klettere mit dem Variometer am Anschlag auf die hier erlaubte Höhe von 3’900 M.ü.M. hinauf. Vor mir wird der Fächer der gigantischen Gipfelkulisse rund um Saas Fee und Zermatt ausgebreitet. Es ist einfach unglaublich schön hier oben. In der Ferne in Richtung meines Zieles Matterhorn lockt ein einsamer, isolierter Cumulus – es muss jener über dem starken Aufwind aus den Granitflanken der Westseite der Mischabelgruppe bei Täsch sein.

IMG_3482

Über dem Dom – und theoretisch zuhause.
Er trägt mich weit über den Dom hinauf – eigentlich bin ich jetzt mathematisch betrachtet hier bereits wieder zuhause. Diese Höhe würde reichen, um ohne einen Kreis mit meinem Segler nach Schänis zu gleiten, das ca. 120 km von hier entfernt ist. Aber eben nur mathematisch betrachtet – dazwischen liegen noch die Furka und später der Klausen-, Kisten- oder Panixerpass – je nachdem, über welchen Pass ich am Ende des Fluges ins Glarnerland hineinkomme, in dem die feuchtheisse Luft seit Stunden hochkocht und alle Schlupflöcher zurück nach Schänis zustopft.

‚Aussen herum‘ ist auf jeden Fall entscheidend viel weiter und damit schwieriger – egal, ob man das über das ebenfalls im Dampf versinkende Mittelland oder über die Surselva und den Walensee unter die Flügel nimmt.

Die Strategie ist deshalb klar. Ich nehme im Wallis alles an Höhe mit, was ich kriegen kann und strecke die soweit nach Osten, wie es geht. Funktioniert einwandfrei. Das Urserental zieht aus komfortabler Höhe unter meinem Rumpf durch, die Surselva erreiche ich problemlos hoch, wenn das Glarnerland nicht komplett zugestaut ist, werde ich mich einfach irgendwo in eine Lücke fallen lassen und unter die Wolkendecke schlüpfen.

Unter die feuchtheisse Decke ins Dampfbad schlüpfen
Das klappt schon an der ersten möglichen Stelle – am Kistenpass, wo ich einigermassen durch die Wolkenlücken hindurch hellere Stellen dahinter erkennen kann. So gleite ich in absolut ruhiger Luft durch das Glarnerland hinaus nach Rapperswil, begleitet von überall aufschiessenden Cumulus. Eine gehörige Hypothek, wie sich abends herausstellt. In einigen Regionen gehen heftige Gewitter mit Hagelkörnern gross wie Pingpong-Bälle nieder.

IMG_3494

Mein Anhänger-Nachbar Peter Gassmann und ich bringen aber unsere Kunststoff-Vögel trocken in den Hänger. Kurz, bevor die ersten Tropfen niedergehen und später während mehr als einer Stunde ein Gewittersturm unsere Stammtischrunde in der Flugplatzbeiz durächuuttet. Aber mit genügend Schaum auf dem Bier und einem oder vielleicht zwei Appenzellern ist auch das problemlos auszuhalten.

Ein herrlicher Flugtag – und noch immer: was für ein tolles Hobby!
Das ist die Foto-Galerie – und das hier sind die OLC-Flugdetails.

Und das sind die Wettervorhersagen zu diesem Flug:Payerne_Sonde Thermals

toptask

Kehre um Kehre…

 Heisser Tanz durch die Warmluftblasen rund um den Ortler. Freitag, 10. Juni 2016

IMG_3387

Der diesjährige Wandersegelflug-Versuch mit Peter Schmid (ja, der seit mehreren Jahren versuchte Weekend-Ausflug nach Slowenien…) reduziert sich wegen des seit Wochen andauernden und weiter angedrohten Monsuns auf einen Flug ab Schänis am Freitag, 10. Juni 2016. Und auch dieser vergleichsweise kurze Ausflug in die Ortler-Region musste verdient sein.

Symbolisch dafür steht dieses Bild der Stilfserjoch-Passstrasse. Wende für Wende haben wir uns aus der feucht-warmen Luftmasse über das Rheintal, durch das Prättigau und auch noch am Piz Nuna von unten nach oben entlang hochgehangelt. Was mit dem schweren Arcus M tief am Hang nicht immer das reine Vergnügen ist. Richtig: dafür ist er auch nicht ausgelegt. Selber schuld, wenn man die falsche Strategie anwendet.

‚Lohn der Angst‘ war dafür ein überwältigendes Panorama über dem Schweizer Nationalpark und dem Stelvio-Naturpark vom oberen Rand des noch gestatteten, unkontrollierten Luftraumes. Mit einem gewaltigen Blick auf die Oberengadiner Beinahe-Viertausender. Je weiter wir uns westwärts durch Graubünden vorgearbeitet haben, umso berechenbarer wurden die Aufwinde. Wenigstens bis zum Oberalp-Pass. Weiter westwärts ist wie vorhergesagt schon eine nächste Störung gut sichtbar mit hohen Abdeckungen heranmarschiert. Erleben Sie heute schon das Wetter von morgen…

IMG_3424

Immer wieder überwältigend schön: Die Beinahe-Viertausender des Oberengadins. Hier aus der Region Livigno aufgenommen

Aufwinde in Tulpenform

Es war trotz des strengen Fluges ein lehrreicher Tag. Die Wettervorhersage geriet rückblickend betrachtet etwas zu optimistisch. Die Feuchtigkeit, die in den vergangenen Wochen tonnenweise vom Himmel gefallen ist, scheint in den Rechenmodellen nicht eingebaut zu sein. Obwohl die Luftmasse wenigstens teilweise labil genug geschichtet war, muss diese Feuchtigkeit einen ähnlichen Effekt wie einfliessende Warmluft, wie man sie häufig bei einem aufbauenden Hochdruckgebiet erlebt, erzielt haben. Anders kann ich mir die kaum zentrierbaren Aufwinde in ‚Tulpenform‘ nicht erklären. Man dreht dabei in einen anfangs kräftig erscheinenden Aufwind ein, zieht das Flugzeug in eine sehr enge Kurve – und fällt, kaum hat man den Speed etwas in Höhe umgesetzt – gleich wieder aus dem Aufwind heraus und dafür gleich wieder in kräftiges Fallen. Das ist vor allem in Bodennähe eine ungemütliche Sache, die dauernd wechselnden Anströmgeschwindigkeiten muss man ständig im Auge behalten. Ein gutes Stück Arbeit eben.

IMG_3405

Phuuh – St. Antönien aus der Parterre-Optik. Auch das Prättigau war ein strenges Stück Arbeit, um endlich die Gipfel wenigstens auf Augenhöhe zu sehen.

Reserven aufgebraucht

Zu früh gestartet sind auch auch, wir haben es am Boden einfach nicht mehr ausgehalten. Das hat dann den Benzinvorrat unseres Luxus-Eigenstarters mit einem zweiten Startversuch und der Zuhilfenahme des Motors gleich auf eine Minimum reduziert und den späteren Gebrauch im Falle eines schwierigen Heimfluges eingeschränkt.

Süddeutschland wäre auch nicht gemütlicher gewesen

Aufgrund der Wettervorhersage haben wir vor dem Start auch die Variante eines Fluges auf die Schwäbische Alb diskutiert. Wäre wohl ebenso anstrengend gewesen, wenn man sich die online-Kommentare anschaut. Alle haben wohl mit dem gleichen Problem gekämpft – tröstlich – wenn man nach einem langen Flug gleich platt ist wie alle anderen. Aber schön wars trotzdem. Vor allem, wenn man sich die Wettervorhersagen für die kommenden Tage anschaut. Gleich feucht wie in Malaysia und Singapore während der Regenzeit. Einfach 20 Grad kühler.

Hier finden Sie alle Flugdetails.
Und hier ist der Link auf die Foto-Galerie zum Flug von Freitag, 10.Juni 2016.

Erstaunlich starke Steigwerte im schwachen Föhn.

2016-02-27 13.35.38

Bruno Haller zirkelt den Duo Discus XL federleicht die Hänge östlich des Skigebietes Flims-Laax bis zum Segnes-Kessel hinauf.

Am letzten Februar-Samstag 2016 verspricht die Windprognose einen fliegbaren Tag mit einem leichten Südwind auf 2’600 Metern von ca. 25 Knoten, der den ganzen Tag über in den Luftschichten über 2’000 Metern anhalten soll. Bruno Haller und ich wollen ihn für ein paar erste Flugstunden in der neuen Saison nutzen – die Wetteroptik am Flugplatz zaubert aber allen andern Anwesenden ausser uns vor allem ein skeptisches Fragezeichen ins Gesicht. Nach einer ausführlichen Besprechung der heutigen Möglichkeiten machen wir den schplintenneuen Duo Discus XL D-9195 der SG Lägern startbereit und machen uns kurz vor Mittag auf den Weg.

Der Tag hält, was die Prognose versprochen hat und lässt uns sanft die Hangwind-Systeme an den Churfirsten und im Prättigau erkunden. Aber auch der Transfer gegen den Wind über Davos und die tiefen und ‚runden‘ Kreten des Schanfigg gelingt einwandfrei. Auf der Nordseite beim Mattjischhorn können wir sogar auf einer Hochebene eine ganze Menge Kite-Skifahrer beim Flitzen über die Schneeflächen beobachten. Das sind gute Aussichten für einen tiefen Anfang an den Hängen des gegenüberliegenden Calanda mit seinen Wölfen. Dort hangeln wir uns über den gleissend hellen Schneeflächen von Krete zu Krete, bis uns westlich von Brigels Schneeschauer den weiteren Weg Richtung Disentis versperren. Hier ist deutlich mehr Thermik als dynamischer Aufwind zu spüren.

2016-02-27 13.38.36

Im Vorderrheintal ist schwache Thermik stärker spürbar als der Hangwind-Effekt des leichten Südwindes.

Interessanterweise fallen wir dann nach dem Queren des Panixerpasses in einen starken Rotor über der Skihütte Obererbs. Seit Ruedi Wissmann nicht mehr dort seine Gäste bewirtet, finde ich die Rotoren spürbar besser 🙂

DSCN0719

Immer wieder imposant: der ‚Wasserfall‘ des Südstaus am Haupt-Alpenkamm. Hier der Blick aus dem Elmer Kessel nach Südwesten, in der Bildmitte der höchste Glarner – der Tödi. Bild: Bruno Haller.

Der Rotor über dem dem Waffenplatz Elm wirft uns zusammen mit einem eindrücklich grossen Steinadler (die fliegen offenbar manchmal auch nur zum Vergnügen) mit Spitzenwerten von fünf Metern pro Sekunde ein paar Etagen höher. Wir werden auf unserem Weg ins Schächental noch in einen stärkeren Rotor einfliegen. Dort spicken uns mehr als 10 Meter pro Sekunde starkes Steigen gleich 1’000 Meter höher. Bis ich aber die Freigabe der ATC Zürich für weiteres Steigen in den A9 hinein erhalte, falle ich vor lauter Zuhören des endlosen Samstagnachmittag-Geplappers auf dieser Frequenz leider bereits wieder aus der Welle… und finde sie nachher auch nicht mehr, als ich endlich höher hinauf dürfte.

Auch die Flumserberge überraschen uns auf dem Heimweg via Klosters mit einer Welle, die trotz des schwachen Südwindes von weit unten heraus erstaunlicherweise bis sieben Meter Steigen pro Sekunde produziert.

2016-02-27 16.10.03 HDR

Wir beschliessen den gemütlichen ‚Föhnchen-Tag‘ (es braucht für einen schönen Wellenflug nicht immer ein Orkan mit Windgeschwindigkeiten von 120 km/h auf 3’000 Metern zu sein) mit einer Abschlussrunde ins Prättigau, wo wir spasseshalber in engen Wenden nochmals die senkrechten Rhätikon-Wände hinaufturnen, bevor wir nach fast sechs Stunden Hang- Rotor- und Wellenfliegens frühzeitig vor dem Eindunkeln mit einem zufriedenen Gefühl im Bauch wieder in den Kaltluftsee über der Linthebene eintauchen und auf dem Flugplatz Schänis landen. Ein gelungener Start in die frische Flugsaison auf einem tollen, topausgerüsteten und sehr leisen Fluggerät.

2016-02-27 16.40.49

Hier sind die Flug-Details. In der Foto-Galerie finden Sie alle Aufnahmen des Fluges und die nachfolgende Grafik ist die (zutreffende) Windprognose des Vortages:

windprognose_fl85_27.02.2016

Niedergaren, Senioren-Heim für Grandes-Plumes und Wolkenbrüche

Sommer 2015 in Vinon
Während des Sommers 2015 durfte ich für einmal die Vorzüge Südostfrankreichs zweimal geniessen. Einmal zusammen mit der Familie im Juli gleich während zwei Wochen, ein zweites Mal ‚nur zum Segelfliegen’ im August während einer Woche – aber mindestens, bis mir fast die Thermik aus den Ohren gepfiffen ist…

=> Link auf weitere Bilder / Galerie.

Nicht alles gelingt bekanntlich gleich beim ersten Anlauf. Der Segelflug-Urlaub der ersten beiden Juli-Wochen 2015 beginnt bei feucht-heissen Temperaturen in der Werkstatt. Eine Schraube streift am Fahrwerks-Reifen der ASW-20-B. Der deswegen sofort nötige Rad-Aus- und Wieder-Einbau bei brütender Hitze, feuchtheisser Luft aus Süden und gefühlten 50° Celsius in der Werkstatt wegen einer verkehrt plazierten Schraube (Muttern sind länger als Schraubenköpfe) sorgt nicht gerade für gute Stimmung. Normalerweise wird bei solchen Bedingungen im Steamer Broccoli und Blumenkohl nieder-gegart. Umso dankbarer bin ich René Notter für seine Hilfe beim Wiedereinbau der haarscharf und nur unter bestimmten Bedingungen passenden Radachse. Froh bin ich auch, den Fehler noch bei der Luftdruck-Kontrolle entdeckt zu haben, ein geplatzter Reifen hat normalerweise unangenehme Folgen. Ich kann mich schwach erinnern: da lag doch schon bei der letzten Landung so ein seltsamer Gummi-Geruch in der Luft! Dem habe ich damals keine besondere Beachtung geschenkt, bzw. gedacht, der Geruch käme vom Bremsmanöver bei der Landung. Erst, als sich das Rad bei der Suche nach dem Ventil nicht mehr problemlos rundherum drehen liess, ist mir das Problem aufgefallen.

Im Tiefflug von Flugplatz zu Flugplatz
Auch der erste Flug gehört nicht gerade zu den Erinnerungen, welche die Segelflug-Faszination Südostfrankreichs ausmachen. Er führt im Gegenuhrzeigersinn bei stabil-heissen Bedingungen rund um die Haute-Provence. Während des Fluges bemerke ich zu spät, dass ich westlich des Lac de Serre-Ponçon in eine deutlich stabilere Luftmasse einfliege. Die maximal mögliche Höhe liegt im Becken von Gap weit unter den Gipfeln. So schleiche und hangle ich mich von Flugplatz zu Flugplatz und nutze die Vorteile des LX Zeus. Mit dem raffinierten Moving-Map-Gerät weiss ich nicht nur genau, wo ich bin, sondern auch auf Knopfdruck die Pistenrichtungen, Platzhöhe und die Funkfrequenz der Flugplätze, auf denen ich heute andauernd niederzugehen drohe. Das Gerät sorgt für entspannte Arbeitsbedingungen im Cockpit. Kein Stress mit Aussenlandebüchern, Flugplatzkarten, Frequenzlisten. So komme ich gleich zweimal aus der Landevolte wieder weg. Anfangs ist es Gap, später Sisteron und der Tag wird abgerundet von St.-Auban und am Ende schaffe ich es dann zu meinem eigenen Erstaunen wieder zurück nach Vinon. Ein spannender, lehrreicher Flug also gleich zur Einstimmung.

Im Lehnstuhl ins Val de Rhêmes.
Ein weiterer Flug ist das pure Gegenteil dieses Tieffluges durch die Gegend. Er führt bis in die Region Aosta – die Heimat der V-Täler (Val Savarenche, Val de Rhêmes und Valgrisenche) hinauf. Und während meistens die Querung der Maurienne (Vallée Modane) verdient werden will, ‚falle’ ich diesmal nördlich des Col du Mont-Cenis bei leichtem Nordwestwind direkt in eine sanfte Welle, der ich auf sehr komfortablen Höhen spielerisch leicht bis ins Aosta-Tal und wieder zurück folgen kann. Zwischen diesen beiden Flügen liegt allerdings ein kompletter Aussetzer. Dabei gelingt es mir nach dem Start bei leichtem Südwest auf keine Art und Weise, auf eine vernünftige Abflughöhe zu steigen. Nach knappen drei Stunden bin ich auf maximal 1’100 M.ü.M. dermassen durchgekocht, dass ich aufgebe und lande. Kaum stehe ich am Boden, klettern meine vorherigen Leidensgenossen direkt über dem Flugplatz in Vinon in einer Welle in grosse Höhen. Ich habe die Möglichkeiten des auf Norden drehenden Windes schlicht nicht erkannt, mich stattdessen über einen seltsamen und zunehmenden Versatz beim Kreisen geärgert und schlicht zuwenig Geduld beim Auskreisen der hauchdünnen und schwachen Aufwinde über der Durance gehabt.

Aire de jeux von 300 x 300 Kilometer
Espace_des_Jeux

Drei weitere Flüge führen in allen Drehrichtungen durch ein Fluggebiet, das für einmal im Norden durch die feuchte, faule Luft in der Maurienne, im Westen durch die tiefe Basis und Mistral im Rhônetal, das Mittelmeer und die Luftmassengrenze entlang der italienischen Grenze limitiert wird. Das führt in diesen Tagen zu seltsamen Flugaufzeichnungen im OLC. Das etwas phantasielose JoJo-Kilometer-Fliegen hat Hochsaison.

Fliegender Kontrabass.
Sehr angenehm ist dagegen, dass ich noch nie so häufig in der etwas tiefer liegenden Voralpen-Region zwischen Rhônetal, dem Vercors und dem Parcours des combattants geflogen bin wie dieses Jahr. Teilweise mit Aufwind-Aufreihungen von 200 km Länge zwischen dem Col de Rousset im Norden und dem Lac Ste.-Croix im Südosten, in denen die Segelflieger über weite Strecken mit Höchstgeschwindigkeit geradeaus durch die Gegend flitzen. Eine spannende Erfahrung. Die negativen Klappenstellungen brauche ich sonst nicht dermassen häufig, dafür stelle ich fest, dass die ASW-20-B neuerdings bei einem Speed von mehr als 160 km/h beginnt, einen ziemlich lauten und tiefen Brummton im Rumpf zu erzeugen. Das könnte mit der konsequenten Abdichtung des Cockpits etwas zu tun haben. Der Brummton ist abhängig von der Menge Frischluft, die über die Lüftung ins Cockpit strömt. Ich sitze damit in einem sonderbaren Fluginstrument mit ausgeprägtem Bariton (kann auch ein Bass sein), acht Meter langem Resonanzkörper, einem Einlassventil und nur zwei möglichen Basistönen (Lüftung auf, Lüftung zu). Fast so schön wie in der Oper, und ebenso schön laut. Die Projekte für die Winterarbeiten werden nicht weniger…

Die Tête de Lucy macht knackige Thermik.
Etwa jeden zweiten Tag sind wir ‚en famille’ unterwegs zu den klaren, tiefblauen und kühlen Badeseen der Region, ans Mittelmeer zum Weineinkauf nach Bandol oder zum Sonnenbaden am Strand von Cap Couronne bei Martigues. Eine schöne Abwechslung bei gleichbleibend guten Segelflug-Bedingungen – es kommt kaum drauf an, welchen Tag man fliegt, es geht immer gut genug. Für einen Champagner-Korken-Moment sorgt auf meinem letzten Flug vor der Heimreise die Tête de Lucy – steht doch da in den Chrächen auf der Südseite tatsächlich ein ruppiger Aufwind, der mit mich fast 6 Metern pro Sekunde auf 3’500 Meter hinauf ‚schiesst’. Immer wieder unglaublich, wie dabei die Landschaft unter dem Cockpit wegtaucht.

Das Seniorenheim der Champions und Grandes Plumes.
Mir ist kaum ein Flugplatz bekannt, auf dem sich so viele Offene-Klasse-Flieger finden wie in Vinon. Etwa ein Dutzend ASH-25, Nimbus 4DM usw. stehen in den Hallen und vertäut und gut verpackt auf dem Flugplatz, wenn sie nicht gerade fliegen (was sie aber sehr oft tun). Sie werden von zumeist ebenso schon leicht angejahrten Piloten bewegt, die auf ein eindrückliches Fliegerleben, teilweise als bekannte Wettbewerbs-Champions oder Rekordflieger zurückblicken. Jean-Pierre Cartry etwa. Alain Poulet. Gérard und Jean-Noël Hérbaud. Thomas Badum, Klaus-Dieter Mreyen mit seinen Freunden. Oder Gérard Lherm und Gilles Navas (welche das Durchschnittsalter dieser Pilotengruppe unter 65 drücken 🙂 ) Hier finden Sie einen Ausschnitt davon auf Facebook.

Der grosszügige Flugplatz ist ideal für diese Offene-Klasse-Segler mit enormen Spannweiten. Die erfahrenen Segelflieger machen sich während der Sommermonate fast täglich eine Freude mit grossen Flügen in die nördlichen französichen Alpen, rund um den Mont Blanc, hinauf ins Grenzgebiet zur Schweiz, oder sogar an den Furkapass im Wallis und geniessen den endlos langen Rückflug aus dem Brionçonnais, wo sie ein letztes Mal auf fast 4’000 M.ü.M. hinaufklettern, um ohne einen einzigen Kreis die 180 km nach Vinon abzugleiten. Ein kleines Paradies oder eben ein Seniorenheim für Champions und Grandes-Plumes, wie hier die 25-Meter-Flieger genannt werden.

Viel Betrieb im August.
In der dritten August-Woche, in der ich mich nochmals in der Haute-Provence austoben darf, herrscht in Vinon erstaunlich viel Betrieb. Eine Gruppe junger Segelflieger aus Bamberg, eine Schülergruppe von Kindern von Air-France-Flugpersonal, eine Menge Gäste aus Holland und der Schweiz sowie die erwähnten Senioren sorgen für viel Betrieb – mehr als ich vom Juli in Erinnerung hatte. Trotzdem kommt man problemlos und zügig in die Luft, auch lange Plastikschlangen werden dank der kurzen Flugzeugschlepps rasch abgearbeitet. Die Flüge führen auch diesmal wieder in allen Drehrichtungen durch die Région frontalière zwischen Frankreich und Italien, der Maurienne, dem Rhônetal und dem Mittelmeer.

Schwerpunkt sind diesmal wieder die Baronnies, das Brionçonnais, aber auch der Parc National du Mercantour. Diesen Nationalpark kenne ich trotz vieler Aufenthalte kaum. Häufig ist es schwierig, bei vernünftigen Bedingungen in diese menschleere und zerklüftete Region und zurück zu gelangen. Dieses Jahr kann ich sie aber gleich mehrmals erkunden. Markant ist der Unterschied in der Verkehrsdichte. Während sich entlang der bekannten Rennstrecken die Flieger konzentrieren, ist etwas abseits im hintersten Vallée de l’Ubaye oder über dem Mercantour-Nationalpark kaum jemand anzutreffen.

Bemerkenswerte Strassenführung rund um die Cime de la Bonette zwischen Jausiers und St.-Dalmas.

Südfrankreich – Urlaubsziel und Flugschule für Bartgeier.
In den vergangenen Jahren sind mir in der Luft oft Bartgeier aufgefallen. Soviele wie dieses Jahr konnte ich noch nie beobachten. Ich habe den Eindruck, die tollen Segelflugbedingungen hätten sich bei den Bartgeiern herumgesprochen (vielleicht sind unsere ausgewilderten Bartgeier aus dem Nationalpark im Engadin auch darunter gewesen). Es scheint, die Tiere pilgern in den Sommermonaten in diese meteorologisch besondere Region Europas und geniessen ihre verdienten Thermikferien. Auf einem Flug ist mir dabei südlich der Tête de l’Estrop ein Schwarm von mehr als 30 der eleganten Gross-Segler aufgefallen. Darunter waren auch zahlreiche Jungtiere. Und auf einem der schroffen ‚Toblerone’-Felsen in diesem kargen Massiv sassen drei oder vier erwachsene Tiere und eine grosse Zahl kleinerer Bartgeier.

Ich hatte den Eindruck, die Tiere machten auf diesem ausgesetzten Felsen ‚Flugschule‘. Die Senioren haben ihren Schülern gezeigt, wie man sich über die mehr als 500 Meter hoch exponierte Felspartie in die Tiefe stürzt und lernt, wie dann der Luftstrom in die Federn greift und plötzlich trägt. Der ganze Schwarm bewegte sich friedlich und elegant durch die Luft, gegenüber ihrem überdimensionierten Plastik-Kollegen entwickelten sie keine Aggressionen und haben mich einfach beobachtet. Ein herrlicher Moment.

Vinon au Lac.
Kurz vor meiner Abreise Mitte August geraten wir mit dem Campingplatz von Vinon in zwei unglaubliche Wolkenbrüche. Der erste verschwindet nach ein paar Stunden wieder fast spurlos im hartgekochten, braunen Boden. Der zweite ist dann aber ein ganz anderes Kaliber. Während mehrerer Stunden öffnet der feucht-heisse-Himmel alle Schleusen. Der Fahrweg durch die Wohnwagen wird zum Bach. Meine direkte Umgebung und der Anhängerplatz zum See. Das Wasser steigt bis wenige Zentimeter unter die Türschwelle meines Autos bzw. ersäuft beinahe mein hölziges Gartenhaus. Jetzt verstehe ich ansatzweise den Bau des Schiff-Steges bei meinem Nachbarn, der Paul letzten Herbst fast den Hals gebrochen hat. Mir ist inzwischen auch klar, weshalb der Caravan schräg auf dem Deichsel steht – damit das Wasser problemlos durch ihn hindurch fliessen kann…

Wie auch immer: Glück gehabt. Eine Stunde mehr von diesen intensiven Niederschlägen – und wir wären mit unserem ganzen Fluggerät richtig in die Flut geraten.

In diesem Sinne fahre ich wegen der braunen Sauce, welche dieser Wolkenbruch auf dem Flugplatz hinterlässt und jegliche Bewegung mit schwererem Gerät als ein Fahrrad verunmöglicht, dieses Jahr etwas leichteren Herzens nach Hause in eine arbeitsreiche und lange Wintersaison – aber ich bin sicher, dass mit Beginn der nächsten Segelflugsaison während der ersten wärmeren Frühlingstage das bekannte Kribbeln im Bauch zusammen mit den ersten Cumuli am Himmel zuverlässig wieder einkehrt.

 

Für alle Detail-Verliebten: Hier der Link auf alle Flüge in Vinon dieses Jahres.

Gezielt verirrt – der Jura ist vielleicht das schönere Slowenien (1)

Wandersegelflug mit dem Schänner Arcus M von 4. bis 6. Juni 2015.

Wie zwei bereits etwas angejahrte Segelflieger mit einem Segelflugzeug nach Lesce Bled in Slowenien fliegen wollen und wie es dabei möglich ist, dass sie auf dieser Reise trotz zumeist vollen Verstandes auf dem Flugplatz Grenchen am Jura-Südfuss und auf dem Klippeneck an der Kante zur Schwäbischen Alb übernachten…

2015-06-04 13.39.25

Daumen hoch! Endlich klappt unser seit Jahren geplanter Wandersegelflug – Peter Schmid über den Gletschern und Graten der Ötztaler Alpen.

Nachdem wir nun schon seit Jahren erfolglos eine bestimmte Anzahl Tage in der Agenda für ein Wandersegelflug-Abenteuer reservieren, sehen die Wetterprognosen für dieses erste Juni-Weekend vielversprechend aus. Schon seit Tagen wälzen Peter Schmid und ich deshalb jeweils abends am Telefon gemeinsam mögliche Flugpläne.

Zuoberst auf der Wunschliste steht seit längerer Zeit unverändert Slowenien. Einfach, weil wir da aus den heimatlichen Lufträumen noch nie hingeflogen sind. Und eines der Ziele unserer Wanderflugtage ist, fliegerisches Neuland zu betreten – Dinge zu tun, die wir sonst nicht machen – ausgetretene Pfade zu verlassen. Das macht die Aufgabe in unserem Fall nicht einfacher. Letztlich bleiben zwei Haupt-Himmelsrichtungen: Südosten und der Norden. Die Alpen in Österreich, der Schweiz, Italien und Frankreich kennen wir nach 30 Jahren Segelfliegerei nun doch schon einigermassen. Da würden wir hinfliegen, wenn alles andere wegen schlechten Wetters nicht geht.

Täglich Blitz und Donner – wenigstens in manchen Prognosen

Eine grobe Auslegeordnung der Wetterprognosen am Stammtisch in Schänis (nachher sollte vor dem Flugzeug noch jene von Zahnbürsten, Unterwäsche und Kreditkarten folgen) zeigt vor allem viel heiss-feuchte Luftmassen über dem östlichen Alpenraum. Die Prognosen gleichen sich bei den meisten Wetterdiensten für jeden der bevorstehenden Flugtage. Im Tagesverlauf aufschiessende Cumulonimben, Abdeckungen, Schauer, Gewitter, Blitz und Donner. Fehlt nur noch der Hagel. Am interessantesten, weil völlig gegenteilig zu jener von TopMeteo, ist die Wettervorhersage von Alptherm / DWD. Sie spricht von trockenen Verhältnissen, Blauthermik und allgemein hoher Wolkenbasis… Was wir nicht wirklich glauben mögen. Ein paar einzigartige Formulierungen sind mir dabei besonders in die Augen gestochen. Ich weiss nicht, was der dipl. Meteorologe beim Formulieren des Textes geraucht hat – aber es muss schon ein besonderes Kraut gewesen sein:

Haschisch_Prognose

Tatsächlich sollten wir dann während unserer dreitägigen Reise völlig gegenteilige Wetter-Erscheinungen antreffen. Viel Feuchtigkeit, heisse Luft, Labilität, Gewitter und Ausbreitungen.

Wir einigen uns auf eine Taktik

‚Soweit nach Südosten wie möglich’. Wenn es irgendwie geht, sogar in die Dolomiten und von da aus irgendwie nach Kärnten oder gar Slowenien. Und wenn das nicht funktioniert, fliegen wir soweit wie möglich und drehen dann einfach um und fliegen dem Alpenkamm entlang zurück nach Westen. Also starten wir wieder einmal mit völlig klaren Vorgaben zu unserem Vorhaben.

Viele kleine Portionen und Segelfliegen mit Airbags

Zuvor macht mich der Wandersegelflug-erfahrene Peter noch fit für das Packaging. Das Zauberwort heisst: ‚viele kleine Portionen’. Taschen, Mappen, Koffer und dergleichen unhandliche Dinge gehören zurück in den Kofferraum des Opel(is). Es ist erstaunlich, wie wenig am Ende für die Reise übrig bleibt. Und noch erstaunlicher ist es, wie bequem es eigentlich ist, auf einem säuberlich gefalteten Capot-Tuch und Kniestützen aus Unterwäsche in Plastiksäcken zu sitzen. Vor allem auf dem hinteren Sitz war das eine Art ‚Segelfliegen mit Airbags’.

Das Flugzeug – eine Wucht!

Etwa um elf Uhr wagen wir den Start mit dem Arcus M. Nach zeitweise endlos scheinenden Mödeli und Kinderkrankheiten läuft seit einigen Wochen und dem Ersatz der Elektrik der Motor, wie er sollte. Wir heben mit der erwarteten Startstrecke ab und steigen in den klaren Himmel über der Linthebene. Das Flugzeug ist schon auf den ersten Metern eine Wucht. Ich bin erneut begeistert über seine Wendigkeit. Darüber, wie es stabil wie auf Schienen fliegt. Und über seine harmonischen und geringen Ruderkräfte. Seine Ergonomie. Der schwere Flieger fliegt sich wendig, er rollt schnell, die Steuerknüppel-Bewegungen konzentrieren sich auf einen Kreis mit wenigen Zentimetern Durchmesser. Wenn man will und wenn der Arcus M richtig mit Wasserballast ausgetrimmt ist, kann man ihn auf engstem Raum in die Thermik zirkeln. Die einzige Flugphase, in der er mir die Schweissperlen auf die Stirne treibt ist der Flug nahe am Gelände. Da spürt man die hohe Masse beim Zentrieren der Aufwinde und beim Steigen in schwacher Blubber-Thermik. Aber alles kann man nicht haben.

Über den ‚Ziger-Highway‘ – den Sommerweg

Wir sind heute etwas früh unterwegs. Die Thermik über dem Sernftal mag sich noch nicht erheben, die Luft will uns noch nicht tragen, so sehr wir uns auch abmühen, wir versinken zusehends im Zigerschlitz. Schweren Herzens starten wir den Motor ein zweites Mal und nehmen ein paar Meter dazu, um den Anschluss in die natürlich Umgebung eines Segelflugzeuges zu erreichen. Über den ‚Sommerweg’ schleichen wir uns dann aus dem Glarnerland weg Richtung Prättigau. Da graben wir vor der Schesaplana nach längerem erfolglosen Suchen den Anschluss in die Alpen aus. Die Südwand erhebt uns im Nu über den schneebedeckten Grenzgipfel, als wären wir ein leichtes Ahornblatt im lauen Herbstwind.

DSC03156

Ein starker Aufwind an der Südwand der Schesaplana trägt uns schnell über den Gipfel und sichert den Einstieg in die Hochalpen im Silvretta-Gebiet und dem Unterengadin.

Dank einer hohen Wolenbasis und schönen, runden Aufwinden finden wir uns rasch einmal über dem Kauner-, Pitz- und Ötztal. Rund ums uns ist die Wolkenbasis aber deutlich tiefer. Die Luft feuchter. Die Schauer zahlreich. Wir hangeln uns von Gebirgstal zu Gebirgstal, zielen knapp über die Granitgrate, graben auf der Nordostseite jeweils den verwehten und immer unzuverlässiger werdenden Aufwind von der Südwestseite aus und überlegen und suchen eine Möglichkeit, doch nach Südosten Richtung Sarntaler Alpen wegzukommen. Über der Hohen Wilde zwischen dem nördlichen Vinschgau und dem Ötztal schliesst sich dann die Sackgasse aber definitiv. Nach Südosten ist die Überentwicklung weit fortgeschritten, wir sehen nicht mehr durch die graue, schauernde Luftmasse.

Wieder nicht nach Slowenien!

Schweren Herzens begraben wir über dem Hauptalpenkamm südlich von Sölden unsere Pläne, heute Abend in Slowenien die Haube zu öffnen und drehen die Nase unseres Arcus wieder nach Westen. Die Wetterprognose von TopMeteo scheint leider zu stimmen (das ist jene mit den Überentwicklungen). Über Reschenpass, Unterengadin und den zuverlässigen Aufwind an der Nuna bei Zernez fliehen wir vor den andauernd hinter uns niedergehenden Schauern westwärts bis Savognin. Da scheint uns das Ungemach von hinten einzuholen. In Celerina, wo wir noch vor wenigen Minuten unter einem grossen, ausbreitenden Cumulus hochdrehen konnten, ist nichts mehr zu sehen – ausser einer bedrohlichen Regenwand.

Steigen im Regen

Peter zaubert den Arcus über Savognin mit ruhiger Hand und viel Geduld die entscheidenden Meter nach oben, obwohl das Tal unter uns schon vollständig im Schatten liegt und mehrmals vereinzelte Tropfen auf die Haube fallen. Das eröffnet uns die Möglichkeit, in die Surselva und damit in die deutlich trockener scheinende Luftmasse am Oberalp zu gelangen. Dort wollen wir definitiv entscheiden, wohin uns heute die Reise noch führen soll. Zurück ins gemachte Bett in Schänis? Weiter ins Wallis, das schon von weitem von Ausbreitungen zugedeckt scheint? Oder ganz woanders hin, etwa direkt nach Süden oder…

(Hier geht’s zur Fortsetzung)… und zur Bildergalerie. Und das hier ist eine Auswahl der teilweise komplett gegensätzlich lautenden Wettervorhersagen für die Wandersegelflug_Tage. Viel Vergnügen beim Interpretieren.

Gezielt verirrt – der Jura ist vielleicht das schönere Slowenien (2)

Nachdem uns auf der ersten Teilstrecke unseres Wandersegelfluges von Schänis aus in den Ötztaler Alpen Schauer und Gewitter zum Umkehren zwingen und bis in die Urner Alpen vor sich her treiben, stehen wir am Abend unter Zugzwang und einer wichtigen Vorentscheidung – wohin die Reise noch führen sollte. Link zu Teil I mit dem Start zum Wandersegelflug 2015.

Die Entscheidung, wo wir heute übernachten wollen, steht weit oben auf unserer Agenda, als wir in das neuerdings ‚Sawiris-Kessel’ genannte Urserental eindrehen, an dessen Randgipfeln wir schon verschiedene Skitouren unternommen haben. Luftwandern im Liegestuhl ist definitiv die elegantere Fortbewegung als Skiwandern, vor allem, wenn letztens der Bauch schwerer und der Atem immer kürzer wird – auch wenn das fliegen über den Pulverschnee an eiskalten Wintertagen seinen besonderen Reiz hat, wenn man einmal auf dem Gipfel angekommen ist. Aber solcherlei Grüblereien lenken jetzt nur von unserer Hauptbeschäftigung, dem Steuern eines wunderschönen Arcus M durch die Schweizer Zentralalpen, ab.

2015-06-04 16.42.18 Fliegt man aus den Hochalpen mit den hochbasigeren Cumulus ins Flachland hinaus, zeigt sich immer das gewöhnungsbedürftige Bild tiefer hängender ‚Wassertürme‘.

Über der granitig-zackigen Mittagstock-Gipfelkrete gewinnen wir in einem schwachen Uufwindli etwas Zeit zum aussortieren unserer Möglichkeiten und zum Überlegen – das kann ja nie schaden. Im Süden des San Gottardo wartet vermutlich ein gemütlicher Abend im einem Grotto, die viele Feuchtigkeit hat aber den Vorhang davor schon zugezogen. Im Wallis lockt uns der Flugplatz Sion mit einer feinen Infrastruktur, einer langen Betonpiste und ziemlich sicher auch einer nahen Übernachtungs-Möglichkeit. Der Nachteil an dieser Reiseroute: das Wallis ist ebenfalls schon ziemlich zugelaufen, über Nord- und Südkrete laufen die Gewitterwolken breit auseinander. Wir sind sicher: in einem Schauer-Slalom kämen wir bestimmt das Wallis hinunter. Aber den gemieteten, neuen Arcus M in einem starken Gewitter draussen vor der Türe stehen zu haben, ist ziemlich das Letzte, was wir anstreben.

Wohin bloss?

Naja, bleibt als vernünftige Alternative natürlich, den Blinker rechts zu stellen und zurück nach Schänis zu gleiten. Hmmhh, klingt zwar gleich bequem wie verlockend – das wollen wir aber nach kurzer Abstimmung im Cockpit beide nicht. ‚Aus der Mitte der Versammlung’ ist plötzlich eine Stimme zu vernehmen – ‚komm, wir fliegen doch einfach ins Mittelland hinaus. Morgen sind die Wettervorhersagen für den Jura gut und wir können da jederzeit allfälligen Gewittern auf alle Seiten ausweichen…’ Der Flugplatz Grenchen, jener in Montricher oder auch der Grasplatz Gruyères in den Fribourger Voralpen landen sofort auf der Liste möglicher Ziele. Da wir ja mit dem Wandersegelflug Fluggebiete erreichen wollen, die wir sonst selten erreichen, passen diese Destinationen alle ins Konzept.

Um die Wolken und Lufträume

Nach einigem Überlegen wechseln wir zum Horefellistock auf der Nordseite des Göscheneralpsees, kreisen da nochmals so hoch, dass wir über die Kreten in den Kanton Bern hinüber schlüüfe chänd – und schon sind wir weg aus den Hochalpen. Je weiter wir in die Voralpen hinaus gelangen, umso übersichtlicher wird die Lage. Die militärischen Lufträume sind heute dank eines Feiertages auch hier geschlossen, einzig die Frequenz von Alpnach bekomme ich nicht sofort auf den Bildschirm. Peter will schon ein Holding drehen – da hilft Zürich-Information weiter. Wenn nur das Flugfunkgerät und sein Bediener ein wenig tifiger beim wählen wären… Mit dem Mini-Tablett, das ich daraufhin hervorkrame, bin ich gleich um Faktoren schneller beim Suchen von Lufträumen und Frequenzen als mit unserem fest eingebauten Moving-Map-System. LX sollte noch einmal über seine Software-Ergonomie nachdenken – das Gerät ist zwar gut, aber etwas hakelig, bis man endlich auf der richtigen Menuseite landet. Da gibt es inzwischen Besseres.

Luftiger Tanz mit einem Duo

Plötzlich haben wir wieder mehr Möglichkeiten und Ziele als kurz zuvor. Eine davon ist, den Voralpen entlang bis in die Fribourger Alpen zu fliegen. Dann entweder in Gruyères mit seiner etwas knappen Graspiste oder in Ecuvillens mit seiner schönen, langen Motorflug-Betonpiste zu landen oder das Mittelland nach Yverdon oder Montricher zu queren. Eine weitere ist, jetzt direkt nach Norden an den Jurasüdfuss nach Grenchen zu wechseln. Quer über das ganze Mittelland und rund um die TMA Bern herum oder mit Bewilligung und Transponder quer hindurch.

2015-06-04 17.16.45 Attraktive Photo-Session mit einem Duo Discus über dem Thunersee.

Angesichts der wieder ansprechenderen Wetteroptik und etwas mehr Strukturen in der feuchtheissen Brühe, in die wir da eingetaucht sind, beschliessen wir, vorerst einmal bis an den Thunersee weiter zu fliegen und dort zu entscheiden. Wir halten uns alles so lange wie möglich offen und tasten uns bein Niederhorn / Beatenberg langsam an die Grenze zur TMA Bern heran. Plötzlich erhalten wir im flacher werdenden Abendlicht Gesellschaft. Ein Duo Discus benutzt denselben Aufwind wie wir – wie bestellt für eine kleine Foto-Session. Peter manövriert den Arcus schön an den Duo heran, mehrere Aufnahmen gelingen und zeigen perfekt die Dynamik und Schönheit des Segelfluges.

Gruyères, Montricher, Yverdon oder Grenchen?

Da sich im Westen die Gewitter aus dem Wallis in die Berner Alpen ausbreiten und auch die Thermik spürbar zäher wird, wählen wir am Ende den direkten und bequemen Weg nach Grenchen. Unser Höhenvorrat reicht dafür aus. Wir wissen, dass da eine schöne Infrastruktur vorhanden ist, ein Hotel am Platz steht und auf einer lange Hartbelag mit mehreren Graspisten auch morgen Segelflugbetrieb gemacht werden dürfte. Nicht, dass wir uns noch einsam fühlen – aber man kommt besser zurecht, wenn man nicht mutterseelenalleine auf die Suche nach Benzin, Kanistern und Dergleichen gehen muss. Das sind ja alles Dinge, die auf einem Wandersegelflug plötzlich bedeutend werden und in kurzer Zeit die vorher noch dominierenden Themen eines Büro-Arbeitstages komplett zu verdängen vermögen. Auf einem Wandersegelflug wird man schon nach wenigen Stunden in eine andere Welt mit vollständig anderen Ansprüchen entführt.

Grenchen ist eine ausgezeichnete Wahl und sehr freundlich

Wir werden nach unserer Niederkunft in Grenchen betreut, als ob wir mit einem dicken Falcon Jet gelandet wären. Ein zuvorkommender ‚Marshaller’ kommt angefahren und entsteigt einem schweren BMW-Geländewagen und möchte uns gleich auf die andere Seite der Piste chauffieren. Unsere Frage, ob wir da nicht zu Fuss hingehen könnten, quittiert er mit einem herzlichen Lachen – hier gehe alles nur mit Freigaben des Towers…

DSC03180 Alles verzurrt und ’süüber gepützet dargetan‘ – Nach der Landung auf dem Flugplatz Grenchen.

Er kommt aber unverzüglich unserer Bitte nach, uns 10 Liter Superbenzin in einem Kanister zu organisieren. Dieses mischen wir dann mit dem mitgebrachten Spezial-Zweitakter-Öl fein säuberlich im Verhältnis 1 : 50 zusammen und tanken den Arcus M damit für unseren morgigen Flug wieder voll.

Kurt Übersax, der langjährige Coach der Junioren-Nationalmannschaft, der gerade seinen Discus im Anhänger verstaut, hilft uns mit seinen Kameraden mit robustem Verzurrmaterial aus. Wir fixieren den Arcus M am Südrand der Graspiste so, dass er sich bestimmt nicht von selber aus dem Staube macht. Am Ende chauffiert uns der schwere BMW bequem und elegant über die Pisten des Regionalflughafens direkt vor das Hotel am Flugplatz. Hei, ist das ein Service!

Besser kann’s ja wohl kaum gehen. Wir kommen mit wenig Aufwand zu einer Dusch- und Schlafgelegenheit und zu einem fein gebratenen Stück Hochlandrind. Dass ich dem Peter danach noch etwas Vorsingen musste, bis er eingeschlafen ist, bleibt aber ein Gerücht. Wir sind beide wie die Murmeltiere im Oktober ins Nest gekrochen und aus unserem ‚tüüfä, gsuntä Schlaf’ erst am anderen Morgen wieder erwacht.

Die Eier.

Das Frühstück verläuft bis auf ein Detail ereignislos: die Eier. Peter hat freiwillig die würdige und anspruchsvolle Aufgabe übernommen, uns ein feines Dreiminuten-Ei zu köcheln. Löblich. Längere Zeit hantiert er am Buffet mit dem dafür vorgesehenen Maschineli herum und sitzt munter wieder zu Tisch. Komisch – nach ca. zehn Minuten, ich bin schon beim dritten Kaffee, scheinen die Eier immer noch in Arbeit – Peter macht sich auf einen Kontrollgang und meldet enttäuscht zurück, sie seien leider immer noch gleich kalt… das Maschineli sei erheblich komplizierter als ‚so ein Seat…‘ Und bevor er sich an die hinter dem Buffet in Deckung gegangene Küchenmannschaft wenden kann, eilt ihm auffällig schnell eine hübsche, junge Dame zu Hilfe und bietet ihm an, ‚nach den Eiern zu sehen’. Pause. ‚Aha – ja gern, natürlich!’ folgt die ungewohnt unspontane Antwort. Wie das jetzt wieder gemeint ist? Eine bisher unbekannte Masche, anzubandeln? Einfach den Text falsch verstanden – war der Wunsch wohl Vater des Gedankens? Was so ein Eierkocher für ein Durcheinander im Kopf anzustellen vermag! Die junge Lady klärt dann mit einem schelmischen Lächeln den plötzlich dicht wabernden Nebel im Frühstücksraum etwas auf – sie hätte zuhause ein ähnliches Modell (Eieroderwas?) und wisse, wie man damit umgehe (auweihadasauchnoch ??). Wir bleiben verlegen und etwas ratlos zurück und verdrücken dann diskret unsere Drei-Minuten-Eier.

Unser Tagesablauf gerät wegen der Episode mit den Eiern bereits leicht aus der Fassung. Zum Glück müssen wir pünktlich um neun Uhr am Briefing der Segelflieger in deren Holzhangar antraben. Feste Strukturen sind immer gut, die bringen in einen haltlosen Tagesablauf, wie wir ihn gerade pflegen, sofort wieder etwas Ordnung. Die hübsche junge Lady mit den Eiern spukt noch geraume Weile durch unsere Köpfe, erst als der Arcus M wieder unsere volle Hirnleistung verlangt, bessert sich die Lage leicht.

DSC03182 Kurz nach dem Abheben in Grenchen. Im Vordergrund die Uhrenstadt, in der Bildmitte der freundliche Flughafen.

Einmal den Jura auf und ab.

Kurt Übersax und seine Kameraden fahren uns nach dem Briefing im Werkstattraum auf die andere Flugplatzseite (ohne Freigabe über die öffentliche Strasse), wo sie ihre Flugzeuge aus den Hängern holen und aufbauen. Das Wetter sieht für den Jura recht vielversprechend aus, entsprechend aufgeräumt machen wir uns an die Startvorbereitungen.

Vom Vorteil des Transponders.

Wie bestellt, erscheinen frühzeitig die ersten Flusen über der südlichsten Jurakette. Wir starten mit dem Arcus M auf der für uns ungewohnten Graspiste und heben zwar etwas später als gewohnt, aber immerhin rechtzeitig ab und steigen problemlos aus der CTR Grenchen hinaus und dem Jura entlang ausreichend hoch über Kretenhöhe. Der erste Aufwind ist noch etwas zaghaft – aber wir haben den ersten Aufwind von heute auf sicher! Der Kurs ist sonnenklar. Den Jura hinunter, soweit das geht. Die Optik ist ausgezeichnet, es gibt schon erste Cumulus-Aufreihungen zu bewundern. Diesen folgen wir, weichen auf Wunsch des Controllers von Les Eplatures seiner etwas grosszügig geratenen CTR um La-Chaux-de-Fonds herum aus und kreisen bis an die ersten Lufträume der Genfer TMA kaum noch. Es geht segelfliegerisch wirklich ausgezeichnet vorwärts. Wir haben viel mehr Luft unter dem Rumpf als von den Alpen gewohnt, da kann man auch mal entspannt eine schöne Strecke geradeaus fahren. Für mehr Spannung sorgen bald einmal die Lufträume um Genf herum. Navigieren, die richtige Frequenz hervorsuchen und rasten, Transponder-Code einstellen, Freigaben verlangen und quittieren beschäftigen jeweils ein Besatzungsmitglied, während das andere sich darum kümmert, im freigegebenen Höhenband zu bleiben. Auf Wunsch sind wir eben auch ein Motorflugzeug.

Jet d’Eau aus der Nähe.

Tatsache ist aber, dass wir so zum ersten Mal den ‚Jet d’Eau’ im Genfer Seebecken aus einem Segelflieger aus der Nähe betrachten können. Der Genfer Controller lässt uns zwischen 6’000 und 7’000 Fuss bis ca. 15 Kilometer südwestlich der La Dôle-Radarantenne an sich heran. Er hätte noch mehr Nähe zugelassen, hätten wir das gewünscht. So entscheiden wir uns aber querab der Piste des Geneva Airports für den Rückweg Richtung Basel. Das haben wir uns morgens (bevor das mit den Eiern passierte) so zurecht gelegt. Eigentlich hätten wir auch Richtung Lyon dem Jura folgen können, so lange es den gibt, um dann nach Süden zu wechseln. Aber: das kennen wir ab Challes-les Eaux ja, also ist das fliegerisch zweite Priorität. Ausserdem reizt uns die tiefe Querung in die Savoyer Voralpen etwas weniger als die schönen Cumulus-Aufreihungen über dem Jura, denen wir jetzt auf unserem Weg zurück in die Deutschschweiz folgen.

2015-06-05 12.53.02 Blick von der Jurakette in der Region der Radaranlage La Dôle auf den Genfersee.

Heeiiisss!

Es ist für uns Alpenflieger schon berauschend, den Juraketten entlang zu fegen. Und deutlich stressfreier, nicht ständig in Bodennähe fliegen zu müssen. Wir schauen, dass wir nicht unter einem der teilweise ausregnenden Cumulus zu tief ankommen und uns da selber gefangen nehmen. Das drückt wegen der vorsichtigeren Vorwärts-Fliegerei zwar etwas auf die Durchschnitts-Geschwindigkeit, aber wir wollen ja nicht an eine Meisterschaft. Bis zum Weissenstein kommen wir so unter den schön sichtbarenThermik-Aufreihungen zügig voran. Danach wechseln wir in eine heissere, trockenere Luftmasse. Die Cumulus-Wolken verwandeln sich in kleine, kurzlebige Fumulus. Immerhin. So haben wir wenigstens noch ein Stück weit einige kleine, teilweise kaum oder nur kurz sichtbare Wegweiser, um die ebenfalls deutlich schwächere Thermik zu finden. Dafür haben wir angenehme warm – eigentlich ist es hier drin so heiss wie in einem fliegenden Gartengrill. Peter schmilzt sich langsam in sein oranges Fliegerkombi, mir läuft der Schweiss ebenfalls nur so über das Gesicht.

Zu tief. Zu schwach.

Mir graut ein wenig vor der Querung vom Jura in den Südschwarzwald. Da wir die mögliche Maximalhöhe von 2’000 Metern nicht ausschöpfen können, weil wir gar nicht so hoch zu steigen vermögen, wird das wohl ein tiefes Ankommen auf der andern Seite des Rheines werden. Peter gibt alles und zwirbelt den Flieger über dem Flugplatz Fricktal nochmals auf 1’900 Meter hinauf, um dann pfeifengerade an die ersten Hangkanten beim Flugplatz Hütten-Hotzenwald zu wechseln. Da steigt vorerst nur die Temperatur im Cockpit, Steigen auf dem Variometer will sich trotz langen Suchens in unserem noch möglichen Bewegungs-Kreis rund um den Flugplatz Hütten-Hotzenwald nicht einstellen.

Na, für solche Situationen haben wir ja einen Klappmotor hinten eingebaut. Wir sind uns rasch einig. Statt hier auf 1’000 Meter weiter bei der verzweifelten Thermiksuche zu schmoren, starten wir das Triebwerk, um den Anschluss an die schön über dem Schwarzwald zeichnenden Cumulus-Wolken zu finden und unser Tagesziel, die Schwäbische Alb, noch zu erreichen. Wir sind inzwischen ein gut eingespieltes Maschinisten-Team. Der hinten sitzende Pilot fliegt einen Moment, der vordere startet das Triebwerk. Klappt ausgezeichnet, der Motor springt in Sekundenschnelle an und trägt uns hoch über das Gelände hinauf in den Schwarzwald hinein und unter die ersten Wolken.

Was zeigt denn bloss das Vario an?

Nach einem kurzen Steigflug fahren wir den Motor wieder ein. Klappt ebenfalls einwandfrei. Doch was ist denn jetzt mit dem Vario los? Es ist weder zu hören, noch zeigt es irgend einen interpretierbaren Wert an. Für den Moment behelfe ich mir mit dem Stauscheiben-Variometer und dem Höhenmesser und versuche, unter einem dicken Cumulus, steigende Luft zu finden, wo man sie in etwa erwarten könnte. Gleichzeitig stelle ich das Vario-System mehrmals auf den Messpunkt in der Flugzeugnase um. Es könnte ja sein, dass die Düse verstopft ist. Etwa beim dritten Umschalt-Versuch und einer Verlagerung meiner Suchkreise beruhigt sich die Lage wieder. Die Anzeigen werden plausibler und wechseln von dauerhaftem 5-Meter-Sinken zuerst auf geringes, später auf stärkeres Steigen. Seltsam, was war denn das jetzt schon wieder? Kann ein Cumulus so stark fallende Luft auslösen? Und das an einer Stelle, an der die Wolke aufwärts ziehen müsste? Oder ist das Variometer-System einen Moment verstopft gewesen – immerhin sind die Flügelkanten vor lauter Insektenbesschlag recht bräunlich eingefärbt? Auch die abendliche Grundreinigung bringt später keine neuen Erkenntnisse, dauerhaftes Fliegen ohne vernünftige Vario-Anzeige wäre aber bestimmt ein schwieriges Unterfangen geworden.

Die Wetteroptik bleibt ausgezeichnet, unser Vorhaben, bis südlich der Region Stuttgart zu fliegen, wird problemlos gelingen. Hochbasige, breite Cumulus zeigen uns den Weg an die Kante der Schwäbischen Alb vor.

Nachtlagersuche am Radio.

Hunger und Durst gewinnen gegenüber unserer Entdeckungsfreude an Terrain. Wir entwickeln eine Methode, aus der Luft ein Nachtquartier auszuwählen, indem wir einen der zahlreichen Flugplätze hier überfliegen und nach einer gemütlichen Gartenbeiz Ausschau halten. Dann versuchen wir über das Funkgerät, Auskünfte zu einer Übernachtungsmöglichkeit zu erhalten. Ersteres gelingt nicht schlecht. In Albstadt leuchten uns die Sonnenschirme fröhlich und bunt entgegen, ans Radio wagt sich aber nur ein ferienhalber hier fliegender Schweizer Pilot, der uns etwas von einem ‚fast staubfreien Hangar’ und einem ‚Schlafmätteli’ erzählt… Das kann es ja wohl nicht sein! Wir wollen den Standard von Grenchen einigermassen halten. Der erste Versuch scheitert also sauber, wir machen uns auf Richtung Rottweil und das Klippeneck, zwei weitere Lande-Möglichkeiten, die uns aus der Ferne betrachtet, attraktiv erscheinen.

In Rottweil sind die Luken leider ebenfalls schon dicht. Der hübsch und nahe einer Ortschaft gelegene Motorflugplatz ist bereits geschlossen. Kein menschlicher Knochen am Platz. Und schon gar keiner mit der Motivation, uns Wanderseglern eine Auskunft zu geben. Auch der zweite Versuch misslingt. Dafür steigt jetzt die Luft hier wie blöde und wir finden uns mit dem Arcus M plötzlich wieder auf astronomischen zwei Kilometern Höhe. Das würde ja sogar auf einen Flugplatz an der Schweizer Grenze ausreichen. Aber das wollen wir uns ja noch für später aufheben. Wir wollen jetzt hier irgendwo zu Boden.

‚Hans, jetzt gib endlich Antwort’!

Peter ruft öppä dreimal das Klippeneck auf. Da war ich vor etwa zwanzig Jahren einmal mitten im Winter bei einem netten Aviatik-Journalisten-Treffen. Damals war da alles in Ordnung. Nur gibt jetzt hier auch keiner Antwort. Irgendwann aber treibt uns eine fesche Damenstimme in zackigem Schwäbisch ein Lächeln ins Gesicht. Wenn ich mich richtig erinnere, hiess der Wortlaut in etwa: ‚Hannss! – ietz gibt eendlich mal eine Antwoort! Da sind zwei Schweizer Wanderseegler. Die suchen ein Quartiieer für die Nacht!’ Prompt folgt darauf der erwähnte Hans mit einer ausführlichen Erklärung, er könne leider nicht garantieren, dass man wirklich übernachten könne. Dann folgt eine Erklärung über ein von Engländern temporär erobertes, aber eigentlich sowieso stillgelegtes Hotel. Bei uns steigt vorerst nur die Konfusion. Aber da selbst ein idyllisch-abgelegenes Naturreservat wie das Klippeneck von einigen aus der Luft gut erkennbaren und sogar bewohnten Ortschaften umgeben scheint, werden wir doch sicher ein Taxi finden, das uns da in die Zivilisation fährt… Nach einigem Hin und Her lösen sich die entsandenen Rätsel, wir wagen die aviatische Attacke auf den hoch gelegenen ‚Flugzeugträger’ Klippeneck und setzen unverzagt zur Landung an.

Dann sackt auch noch der Flugplatz weg.

Der Anflug auf diese ‚Gelände-Badewanne’ ist etwas schwieriger, als er auf den ersten Blick aussieht. Da ist einmal die Albkante vor der Piste. Häufig bläst bei solchen Lokalitäten ein gehöriger Wind und verursacht ein starke Abwind-Gebiet. Mir scheint ratsam, hoch genug anzufliegen. Anderseits soll der Anflug ausreichend tief und langsam erfolgen, damit wir nicht gleich das ganze Flugplatzgelände beanspruchen und am andern Ende aufschlagen. Wir müssen ja die ganze Strecke mitsamt unserem 600 kg schweren Flieger auch wieder zurück wandern. Erschwerend ist, dass beim Ausschweben wegen der ungewöhnlichen Topographie ‚plötzlich’ der Flugplatz unter mir wegsackt – oder so ähnlich. Jedenfalls habe ich schon schönere Landungen mit geringerem Bodenabstand gemacht. Peter wölbt mir dann beim Ausrollen wie immer die Klappen um, wir erreichen so den betonierten Rollstreifen auf der Pistenseite problemlos, wenn auch ein wenig holpriger als auf der heimischen Piste.

(Wie geht’s jetzt zum Notbier?? – sehen Sie hier in der Fortsetzung).

Gezielt verirrt – der Jura ist vielleicht das schönere Slowenien (3)

Nach unserer Reise durch die Ost- und Zentralalpen und einen für uns ungewohnten Ausflug dem Jura entlang bis Genf sind wir am Abend unseres zweiten Wandersegelflugtages auf der schwäbischen Alb auf dem Klippeneck gelandet. Einsame Sache hier… Was bisher geschah, finden Sie in Teil 1 und Teil 2.

2015-06-05 16.50.20

Der zweite Tag unserer Wandersegelflug-Reise neigt sich in der Region Rottweil / Klippeneck dem Ende zu – obwohl wir gegen Abend noch die höchste Höhe des Tages erreichen.

Im Mercedes abgeholt.

Unser grosser nördlicher Nachbar hat irgendwie Stil. Jedenfalls die Nutzer des Naturparkes Klippeneck. Das ist eine flache Gelände-Badewanne, mit Gras bewachsen und bewohnt von einer umherwabernden Schafherde, welche dieses wegfrisst. Sonst sind wir nach unserer Landung recht alleine und machen uns schon Sorgen, wie wir mit unserem 600 kg schweren Spielzeug wieder an den Badewannenrand hinauf kommen. Schon beim Gedanken daran rauscht mir das Blut in den Ohren. So ein Arcus ist am Boden nicht das leichteste Flugzeug. Deshalb heisst es auch nicht Schiebzeug.

Bevor wir dazu kommen, ausser dem Flugzeug auch noch Panik zu schieben, rollt eine Mercedes-Limousine langsam den Hügel hinab. Wouw! Das hatten die in Grenchen gestern Abend noch nicht. Ein junger, netter Mann entsteigt dem schwarzen Fahrzeug mit dem Stern und lädt uns ein, doch bei ihm anzuhängen. Machen wir gern. Peter nimmt im Arcus M Platz, ich am Flügelende und los fährt unsere komische Karawane. Bis auf das Kamel am Flügelende geht es allen ausgezeichnet. Aber ich lasse mir nichts anmerken und trabe sportlich den Hügel hinauf. Oben angekommen, unterdrücke ich verzweifelt aufkommendes Japsen und sehe zwar nicht Sterne, aber immerhin ein Notfall-Bier vor meinem geistigen Auge. Diesem steht nur nach das Mückenputzen und Verzurren des Arcus im Wege. Aber sogar das lässt sich vermeiden, die Herrschaften vom Klippeneck offerieren uns einen grosszügigen Hangarplatz. Ich muss sagen, das hatte Grenchen auch nicht zu bieten. Aber da war’s immerhin ein BMW X5 und ein trockenes Flugzeug-Nachtlager mit freier Sicht auf die Sterne. Wir überlegen grade, was wir in Schänis in solchen Fällen unseren Gästen so bieten. Hmmh, ich glaube, da haben wir noch eine kleine Baustelle. Kein Mercedes. Kein Hangarplatz. Aber vielleicht bald ein neues Hotelzimmer? Wer weiss.

Schwamm, Eimer, Hirschleder, Winglets.

Während sich unsere Limousine und ihr Chauffeur wieder ihrem gewohnten Tagwerk widmen und einen weiteren gelandeten Segler an den grasbewachsenen Badewannenrand hinauf zerren, haben wir mit einem ausgeliehenen Reinigungs-Equipment den Arcus geputzt. Genauer: Gerold, dem Felsenbeck, sein Reinigungs-Equipment. Er hat heute Fluglehrer-Dienst, zwei Dutzend Loopings in den Knochen und möchte wie wir auch rasch zum nächstmöglichen Bierhahn. Kein Wunder, bei der Hitze hier. Sogar auf der luftigen Höhe des Klippeneck und hinter dem hübschen Tannenforst beim Hangar steht die heisse Luft und treibt uns den Schweiss auf die Stirne. Noch mehr ins Schwitzen geraten wir beim Gerolds Vorschlag, doch schon mal die Aussen-Flügel des Arcus M abzunehmen??? Wozu bloss??? Im Hangar haben ausser unserem noch mindestens drei andere Arcus Platz – und wenn unser Marc Angst einräumt, sicher fünf??? Also, der Start mit uns war schon etwas schwierig – wir schlagen deshalb mental vor, nochmals gaaanz von vorn, irgendwo vor der Landung, zu beginnen.

So geht’s!

Das zuvor eroberte Reinigungs-Material geben wir Gerold als Verhandlungsmasse sofort wieder her. Beim Aussenflügel bleiben wir aber hart. Und bestehen selbstbewusst wie die Griechen bei ihren Schuldenschnitt-Verhandlungen darauf, dass wir wissen, wie man im Klippeneck die Flieger einräumt. Der gerade Weg ist nicht immer der richtige… Für uns leidgeprüfte Schänner seitwärts-aufwärts-den-grossen-Arcus-um-den-Hangar-Pfosten-Wickler sind die Verhältnisse auf dem Klippeneck geradezu luxuriös. Einmal mit der Nase aussen an den Hangar, Schwanz hineindrehen, fertig. Nix Demontage. Der Arcus M steht minutenschnell und zufrieden im Hangar, als wäre er schon immer hier gewesen. Komplett mit allen Flügeln. Und mir trocknet jetzt nach der Kehle auch noch das Hirn weg. Ein klares, helles Notbier schäumt vor meinem geistigen Auge in einem mit Wasserperlen beschlagenen und schaumbedeckten Glas bereits leicht über den Rand hinaus.

2015-06-05 18.36.20

Entwicklungshilfe ist, wenn an allen beteiligten Stellen das Niveau steigt – wie man einen Arcus in den Hangar wickelt, ohne die Aussenflügel abzunehmen, ist ein lebendiges Beispiel dafür.

Trinken. Essen. Duschen. Schlafplatz.

Jetzt geht’s aber rasch zur Sache. Gerold, der Felsenbeck, entpuppt sich beim zweiten Annäherungsversuch als sehr netter Mensch. Organisiert uns im von den Engländern eroberten und eigentlich geschlossenen Hotel am Klippeneck ein feines Doppelzimmer mit einer Dusche, zwei Tüchern, zwei Betten, zwei Zahngläsern. Das war in Grenchen anfangs anders, das muss ich zugeben. Auch eine Dusche. Aber nur ein Bett. Ein Badetuch. Ein Zahnglas. Für zwei Typen. Wir kennen uns zwar schon lange, aber das war zu Beginn doch etwas gewöhnungsbedürftig.

Kasachstan? Tadschikistan? Kirgistan?

Zusammen mit Gerold, dem Felsenbeck und Thomas dürfen wir zum Wirtshaus Schützenhaus unter der Albkante mitfahren. Unser Hab und Gut ist dabei kein Problem, die vier Plastiktaschen runden unser Gesamtbild passend ab. So wird jedem Gegenüber gleich klar, dass er entweder einen Flüchtling aus Nordafrika oder einen nepalesischen Wanderarbeiter vor sich hat. Erstaunlich, dass wir in diesem Aufzug in der Gartenbeiz überhaupt etwas zu Futtern bekommen. Aber vielleicht hat das mit der verständnisvollen Kellnerin etwas zu tun. Wie wir nach einem gestreifelten ‚Schweizer’ (das ist hier ein fein geschnittener Wurstsalat) herausfinden, stammt sie aus Tadschikistan, Kirgistan – oder war das am Ende doch Kasachstan? Der kurzzeitig massenhaft eingespülte Alkohol muss schuld daran sein, dass ihr Herkunftsland sanft aus meiner Erinnerung entschwand. Jedenfalls waren das gefühlt die besten Biere der letzten 55 Jahre. So einen Durst habe ich schon lange nicht mehr gehabt.

2015-06-05 19.16.59

Notfall-Bier-Zapfstelle mit Bedienung aus Kirgistan, Tadschikistan oder war es am Ende doch Kasachstan? Gemütliche Runde im Schützenhaus mit Felsenbeck-Gerold und seinen Gspänli.

Renn-Fiesta.

Thomas fährt uns nach diesem unterhaltsamen Abend in seinem Renn-Fiesta-Flitzer wieder hinauf zum Klippeneck. Nur ein grosser Dachs, der gemütlich aus dem Wald über die Strasse trottet, stört noch unsere Kreise, bevor wir uns im Naturreservat Klippeneck wie gestern schon in Grenchen wie die Munggen auf’s Ohr legen und erst am andern Morgen ohne einen einzigen Schnarchler (wenigstens hat keiner was gehört) wieder erheben. Wandersegelflug macht auch müde.

Arcus füllen.

Am andern Morgen füllen wir mit Thomas’ Hilfe vor dem grossen Hangar im Schatten des kleinen Tannenwaldes (aha, darum steht der hier) den Tank des Arcus M wieder mit Zweitakt-Gemisch, die freien Ritzen im Cockpit mit unseren Habseligkeiten und warten unter einem glasklaren Himmel gespannt auf die heutigen Abenteuer.

Ernst, das Renn-Kamel.

Jetzt stellt sich die blöde Frage, wir wir auf den anderen Badewannenrand hinauf kommen. Bis in die Badewanne hinein ist alles klar. Peter sitzt wieder in den Arcus mit dem steuerbaren Heckrad. Ich mache freiwillig wieder das Rennkamel am Winglet und trotte neben dem Arcus her. Abwärts geht das noch in relativ lockerem Trab, so sportlich bin ich ja und das Bier schäumt schon lange nicht mehr im Bauch… Das Elend beginnt erst am Fuss des Hügels, auf den wir den Arcus nun hinauf schieben müssen. Thomas hat uns ein Zugfahrzeug organisiert. Selbst die Kupplung des herbefohlenen Honda Xtrail bekommt in der Steigung etwas warm. Und erst meine Kupplung! Damit die Xtrail-Kupplung nicht durchgeschliffen wird, rollt der Honda im eingelegtem ersten Gang. Und ich rolle am Flügelende hinterher. In dem Moment hätte ich mir gewünscht, dass die Honda-Ingenieure einen Geländegang für das Auto eingebaut hätten. Das ist aber nicht alles. Im frischgemähten Gras wohnt mindestens eine Million Mücken. Die stören wir mit unserem Tun, sie fliegen auf – und alle stürzen sich kamikazemässig auf den einzig sichtbaren Verursacher – Ernst, das Rennkamel, das am Flügelende dahertrottet. Fuchtelnd, flügelhaltend und leicht japsend (bloss nichts anmerken lassen) erreichen wir nach gefühlter Marathon-Distanz endlich den anderen Badewannenrand. Überwältigende Ruhe, eine tolle Aussicht und noch mehr Platz hier! Eigentlich ist nun das ganze Klippeneck für uns alleine da. Kein anderes Flugzeug stört heute unsere Startvorbereitungen.

Erdbeeren zum Start.

Die Gastfreundschaft der Klippenecker ist unübertroffen. Zuerst zaubert Thomas plötzlich aus dem Heck des Honda eine Patchwork-Decke, damit wir uns gemütlich im Schatten der Tannen auf unser Vorhaben, in die Schweiz zurück zu fliegen, vorbereiten können. Damit aber nicht genug. Sören, einer der hilfsbereiten Klippenecker, leistet uns dabei Gesellschaft und zaubert plötzlich aus den Untiefen seines Autos ein taufrisches Kartonschächteli voller grosser, wunderschöner Erdbeeren! Die vertilgen wir dann mit vereinten Kräften, tauschen uns auf der bequemen Patchwork-Decke über die Segelfliegerei hier und bei uns aus und warten auf den Beginn der Thermik mit eingebauten, später einsetzenden Schauern und Gewittern. Sagt die Wettervorhersage (siehe Teil 1).

DSC03215

Frische Erdbeeren, Patchwork-Decke im Schatten des Tannenwaldes… nicht überall kann man so gemütlich den Beginn der Thermik abwarten wie auf dem Klippeneck. Hochgradig empfehlenswerter Landeort!

Jedem Verein sein eigenes Klippeneck.

Bei der Gelegenheit erfahren wir, dass auf diesem grossen Gelände, in das der Flugplatz Schänis bestimmt 15mal hineinpassen würde, jeder Verein eigentlich seinen eigenen Flugplatz betreibe. Alles ist wohlfeil, raffiniert und bequem organisiert. Man landet auf dem Flugplatz vor dem Flugplatz, rollt auf einen der Badewannenränder, um dort wieder an der Winde anzuhängen und sich in die Luft katapultieren zu lassen. Cooles Konzept. Wie man so ein Gelände finanziell unterhält, bleibt für uns noch etwas im Dunkeln, die Äusserung, dass der Flugplatz im wesentlichen dem Baden-Württembergischen Segelflug-Verband gehöre, erklärt aber teilweise die für uns offen bleibenden Finanzierungslücken. Dass sich darauf dann noch mehrere Fluggruppen tummeln und sich noch nicht zusammengeschlossen haben, um effizienter zu werden, verstehen wir allerdings bis heute nicht vollständig.

Chnütschblau.

Als unerfahrene Flachland-Indianer spähen wir erwartungsvoll auf die ersten auftauchenden Thermik-Anzeigen. Ein Roter Milan tut so, als herrsche bereits Hammer-Thermik. Kreist, steigt auf, stürzt sich übermütig auf Mäuse und Maulwürfe, steigt wieder locker auf. Das können wir natürlich auch (aufsteigen, meine ich) und machen es uns im Arcus bequem. Etwas ungewohnt ist dann der Start in die grasige Badewanne hinein. Wir versuchen, uns die Steigflug-Kurve des Arcus ins Gelände zu projizieren. Ob das reicht, die Gegensteigung zu erklimmen? Ein Plan B wird ausgerollt. Wenn wir am Badewannen-Boden nicht in der Luft sind, rollen wir einfach auf den anderen Hügel hinauf. Die Geschichte mit dem Rennkamel stelle ich mir lieber nicht mehr vor – der Arcus wird das schon schaffen!

2015-06-06 11.37.11

Wir erheben uns königlich aus der Grasbadewann auf dem Klippeneck. Rechts im Bild die vierbeinigen Rasenmäher.

Tut er dann auch. Wir erheben uns locker in die Luft, erklimmen problemlos nicht nur die Gegensteigung, sondern auch genügend Höhenreserve, um wie ein Pfeil über die Albkante zu schiessen. Peter zielt sofort auf Sörens Dreifaltigkeitsberg. Das sei die Stelle, wo die Thermik am zügigsten einsetze – und zeitweise der einzige Ort, wo sie das überhaupt mache. Da ist dann der eigentlich Haken an unserem heutigen Vorhaben versteckt. Am erwähnten Gelände-Einschnitt samt Steinbruch rappelt es durchaus. Wir fahren den Motor ein und nehmen noch ein paar Meter dazu. Dann wird aber schnell klar, dass zwischen dem Dreifaltigkeitsberg und dem Thermikanschluss im Zürcher Oberland öppä Hundert Kilometer Distanz liegen. Das wird angesichts der komplett ruhigen Luft um uns herum nicht ohne Motorhilfe zu schaffen sein. Weder in Neuhausen ob Eck, noch im Thurgau können wir an den sonst gewohnt Thermik-produzierenden Stellen aufwärts steigen. Wir sind viel zu früh gestartet und müssen nun zweimal den Motor in Betrieb nehmen. Damit kommen wir zwar in die Schweiz und zu den ersten Kondensfetzen im Zürcher Oberland, haben aber mit insgesamt 45 Minuten Motorlaufzeit auch fast den ganzen Benzinvorrat des Rumpftankes aufgebraucht. Nur noch drei Liter schwappen da jetzt noch umher.

Bis zum letzten Tropfen.

Da wir tatsächlich früh dran sind, wollen wir natürlich nicht schon landen. Ich versuche mit allen Tricks, aus der müden Thermik am Rand der Linthebene ein paar Höhenmeter zu pressen. Aber auch hier steigt vor allem die Temperatur im Cockpit. Das Vorhaben gelingt nicht ausreichend. Wir schaffen den Anschluss in die Glarner Alpen um ca. 300 Höhenmeter nicht. Also packen wir ein letztes Mal das Motörli aus und steigen mit den letzten Benzin-Dezilitern am Obersee in den ersten richtigen Aufwind, der uns dann aber gleich mit mehr als zwei Metern Steigen pro Sekunde nach oben reisst. Peter macht sich schon Sorgen, dass die Befestigungs-Schrauben des Motors aus der Rumpf-Verankerung fliegen, so stark ist die Thermik jetzt.

2015-06-06 15.33.43

Unsere Reise endet, wo und wie sie begonnen hat: in den Zentralalpen – und noch immer mit zahlreichen, aufschiessenden Wolken, dann Ausbreitungen und späteren Wolkenbrüchen.

Ehrenrunde ins Tessin.

Unter dem schattigen, starke Aufwind produzierenden Cumulus klettern wir ungewohnt hoch hinauf und sind uns einig, dass dies der Einstieg zu einer schönen Ehrenrunde in den Alpen sein wird. Über einen unrunden Aufwind im Mühlebachtal (Bützistock) erreichen wir noch stärkere Aufwinde in der Surselva und schliessen am Oberalp den Kreis unserer Wandersegelflugreise. Teilweise sind die Aufwinde nicht da unter den bereits weit auseinanderlaufenden Wolken zu finden, wo wir sie erwarten.

Im Osten ist die Optik wie in den letzten Tagen auch jetzt wieder ziemlich düster. Experimente wollen wir deshalb keine wagen. Am Pizzo Scopì zieht Peter den Arcus ein letztes Mal auf Maximalhöhe, bevor wir uns endgültig auf dem Heimweg nach Schänis machen. Am kleinen Tödi vorbei schlüpfen wir elegant unter die Nebel- und Wolkenfetzen, die das Glarnerland jetzt langsam auffüllen und setzen nach drei Tagen erlebnisreichen Wandersegelfluges in diesem wunderbaren Fluggerät zur Landung auf der Piste 34 an.

In der Nacht und am folgenden Tag gehen in der Ostschweiz und in Graubünden grosse Gewitter nieder, welche die Autobahn bei Wil mit einem Erdrutsch (!) zuschütten und unter Wasser setzen. Kaum zu glauben, dass aus dieser vor wenigen Stunden noch stabilen Luftmasse solche Gewitter entstehen können! Etwas länger mit dem Abflug in der Schwäbischen Alb zuzuwarten hätte uns die Motorlaufzeit offenbar doch erspart – aber auch die Ehrenrunde ins Tessin, das wäre zeitlich nicht mehr aufgegangen.

Ein Herren-Leben.

Unsere Reise war ein tolles Erlebnis. Wir haben verschiedene Fluggebiete erkundet, die wir vorher nicht erreichten und nicht gekannt haben. Wir haben überall freundlichste Aufnahme gefunden und viele nette Menschen kennen gelernt. Wir haben uns amüsiert und die Reise genossen. Danach hatte ich noch tagelang das Gefühl, in einer anderen Welt und lange in den Ferien gewesen zu sein. Mit völlig anderen Aufgaben als im Alltag. Wie in einem riesengrossen Sandkasten für grosse Jungs. Da haben nur noch Aufwindstärken, Lufträume, Startmöglichkeiten, ein voller Benzintank, essen, trinken, schlafen und ein trockener, staubfreier Hangarplatz mit Mätteli für den Arcus gezählt. Was für ein Herrenleben!

DSC03216

Kurz vor dem Start auf dem Klippeneck – so gemütlich kann Segelfliegen sein.

Meinem langjährigen Fliegergspänli Peter Schmid möchte ich für seine Initiative danken, dass er das Unternehmen Wandersegelflug noch nie aufgegeben hat und immer mal wieder pusht, gemeinsam ein paar Tage in der Luft zu verbringen. Slowenien wartet noch immer auf uns. Die Ziele gehen uns nicht aus. Slowenien gehen wir nächstes Mal an. Und wenn wir dabei ans Westende des Jura fliegen (müssen), ist das auch egal, der Weg ist das Ziel. Hauptsache: Wandersegelflug macht soviel Spass wie diese unvergessliche Reise hier.

Reiseroute_Wandersegelflug_2015

Mehr, höher, weiter, freier fliegen… ?

Segelfliegen ist in meinen Augen das beste Hobby überhaupt. Nirgendwo ist der Erlebniswert und die Freude am geräuschlosen, raumgreifenden Gleiten so hoch wie in diesem filigranen, vor allem für geistige und physische Feinmotoriker geeigneten Sport. Nirgends ist die fliegerische Herausforderung grösser. Wenn man denn noch dazu kommt…

Harmloser Anfang
Unser betagtes Rennklasse-Flugzeug benötigte eine 3’000-Stunden-Kontrolle. Soviele haben sich nämlich im Laufe seines einfachen und interessanten Flugzeuglebens in den vergangenen 30 Jahren auf dem Konto angesammelt.

Transponder mandatory zones
Im Hintergrund bemerkt gleichzeitig der aufmerksame Pilot, dass zur Fernhaltung lästiger Luftraumbenützer mehr und mehr kontrollierte Lufträume – eingerichtet werden, in die Sichtflug-Piloten nur noch mit einem Transponder und meistens auch nur mit einer über Funk einzuholenden Bewilligung der zuständigen Flugverkehrs-Leitstelle einfliegen dürfen.

IMG_2604

Definitiv Vergangenheit: unser bisheriger Uhrenladen.

Höhenflüge über 6’000 Meter hinauf sind schon seit Jahren nicht mehr bewilligt worden – es sei denn, man besässe ebendiesen Transponder im Cockpit. Wer einmal auf einem Föhnflug erlebt hat, wie stressig es werden kann, mit einem Segler eine 15-Meilen-Flugstrasse in ebenso turbulenten wie starken Wellen-Auf- und Abwinden zwischen 3’500 und 4’000 M.ü.M. zu durchqueren, wird einiges unternehmen, um grosszügigere Freigaben zu bekommen. Einen Transponder anzuschaffen scheint also ein ebenso kleines wie kluges Projekt zu sein.

Neue Flugfunkgeräte,
zuverlässiges, fix eingebautes Moving-Map-System
Eine weitere Rahmenbedingung wurde in den vergangenen Jahren mit den dichteren Flugfunk-Frequenz-Abständen verändert. Noch vor drei Jahren wechselten wir ein älteres, nicht mehr einwandfrei funktionierendes Flugfunkgerät aus – nur, um es jetzt bereits wieder gegen eines mit kleineren Frequenz-Abständen eintauschen zu dürfen. Ein weiterer Grund also, das Cockpit aufzuräumen und neu auszustatten.

Neue Notsender.
Die bisherigen Notsender, die ausschliesslich auf der nicht mehr zuverlässig überwachten Not-Frequenz 121.50 Mhz arbeiteten, sollten durch modernere Geräte mit einem anderen Frequenzbereich ersetzt werden – wenn man als Segelflieger im Falle eines Falles wieder gefunden werden will. Und wer will das nicht?

Mehr navigatorische Sicherheit.
Und das Beste kommt zum Schluss: Ergonomie und Sicherheit dank zuverlässigem, auch bei Sonnenlicht jederzeit ablesbarem Navigations-System und sauber aufgeräumter Satelliten-Geräte (Tablets, Smartphones und PDA’s) wäre mehr als ’nice-to-have‘.

IMG_1086

Vorbei: die Zeiten frei hängender Tablets, PDA’s & Consorten.
War irgendwie beengend.

Obwohl sich in unserem Cockpit ein modernes Samsung-Tablet mit der aktuellsten XC-Soar-Software breit machte, wollte ich das sperrige Gerät zwischen meinen Augen und dem Uhrenladen über meinen Knien trotzdem weg haben und durch ein fest im Instrumentenbrett verbautes, schlankes, modernes und ohne Brille ablesbares Navi-Gerät ersetzen. Nur schon aus ästhetischen Gründen.

Umbau wird zum Projekt
Mit Andy, meinem Flugzeug-Partner, kann ich mich einfach und mithilfe eines übersichtlichen Budgets auf die komplette Neugestaltung unseres Instrumentenbrettes einigen. Geteiltes Leid ist halbes Leid – das gilt insbesondere für die unvermeidbaren Kosten der neuen Instrumente.

Cooler Designer-Job
In den nächsten Tagen – die Segelflugsaison neigt sich Mitte August bei uns ihrem Ende zu – darf ich einen Job erledigen, den ich sehr gerne mache: das Design des neuen Instrumentenbrettes. Die potenziellen Instrumenten-Lieferanten stellen teilweise im Netz ihre exakten Konstruktionsdaten bereit. Mit Photoshop und Illustrator und dem aus den Flugzeugunterlagen eingescannten Grundriss des Instrumentenbrettes lässt sich so wunderbar das neue Design in allen Varianten simulieren.

Instrumentenpilz_007_Definitiv

Viel Freude beim Design des Instrumenten-Brettes.

Naja, damit ist es ein wenig wie mit der Wahl der LebenspartnerIn. Es sollte es im Idealfall schon hübsch aussehen – immerhin darf man es jahrelang aus der Nähe betrachten.

Fast nur richtige Entscheide.
Wie sich später herausstellt, habe ich dann ein paar richtige Grundsatzentscheide getroffen. Nicht alle, aber beinahe. Darunter war jener für einen Profi-Instrumentenbrett-Bauer (Peter Schindler von der Camo+) statt eines ‚Wochenend-Kriegers’, wie das die Leute von Schleicher Flugzeugbau unnachahmlich beschrieben. Darunter war auch der Entscheid für einen im Werk Laser-vorgefertigten Instrumentenbrett-Rohling (anstelle zahlreicher Versuche, selber aus einer dünnen Metall- oder Kohlefaser-Platte an der richtigen Stelle millimetergenaue Löcher auszubohren).

Wer liefert Was, Wann, Warum (nicht) und Wie teuer?
Bei der Wahl der Instrumente geht anfangs alles bestens. Trotz der marken- und namensrechtlichen Wirrnisse um die slowenischen ‚LX Nav’ und ‚LX Navigation’ finde ich den Weg zum Hersteller des Göttervater-Navigationsgerätes (Zeus), auch wenn ich bis heute die beiden Namen nicht immer zuverlässig der passenden Geräteserie zuordnen kann. Irgendwie bringen es die beiden wichtigsten Bordcomputer-Hersteller für Segelflugzeuge seit Jahren zustande, die Weltgemeinschaft der Segelflug-Piloten konsequent zu verwirren.

Zeus 7.0 besticht durch eine grosszügige, bestechend helle und aufgeräumte Gestaltung der Anzeigefläche und ein ergonomisches Daten- und Bedienkonzept (das sogar ich trotz nur zwei Drehknöpfen, vier Druck-Knöpfen, aber mindestens 150 Funktionen schnell zuverlässig bedienen kann).

Der Entscheid für das Funkgerät fiel auf einen deutschen Hersteller, mit dem wir bei früher eingesetzten Geräten ausschliesslich positive Erfahrungen machten. Mit dem Hintergedanken, auch den Transponder im gleichen Design und Bedien-Konzept einzubauen, wandert auch die Bestellung für dieses Gerät nach Süddeutschland. Letzteres war ein Fehler, wie sich leider herausstellen sollte. Das mir bereits vom Arcus M von SchänisSoaring vertraute Garrecht-Gerät wird damit auf das beschaffungs-technische Abstellgleis geschoben.

Teil-Lieferungen.
Nach und nach treffen im Spätsommer verschiedene Teil-Lieferungen der bestellten Instrumente ein – wir lassen uns diesmal weder von Zoll- noch von Fracht-Handling- und schon gar nicht von Mehrwertsteuer-Amtsstuben aufhalten, die für erheblichen bürokratischen Wirbel besorgt sind. Sinngemäss hat das Genosse Erich Honecker kurz vor seinem Untergang treffend so beschrieben: „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs’ noch Esel auf“.

Fleissige Hände, feine Finger.
Inzwischen – das Herbstlauf färbt sich bereits in bunte Farben – werkelt unsere Camo+-Crew bereits fleissig an der parallel zum Instrumenten-Einbau geplanten 3’000-Stunden-Kontrolle. Paul Kläger (ihn kennen Sie bereits als rüstigen 70jährigen ‚Salto-vom-Fahrrad-Dreher‘) macht sich behende an den Wedekind-Sicherungen für die L’Hôtellier-Verschlüsse zu schaffen und passt sie haargenau ein. Danach lassen sich alle Ruderanschlüsse buchstäblich im Handumdrehen montieren, die hakelige Sicherheitsnadel-Montage ist damit Vergangenheit.

Tage. Wochen. Monate.
Für Falten auf der Stirn sorgt zusammen mit den ersten Schneefällen der bisher nicht gelieferte Transponder. Im Zwei-Wochen-Rhythmus belästige ich den bedauernswerten Walter Dittel, der mir ebenso regelmässig beteuert, die EASA-Zulassung des Transponders sei nur ein Frage von Stunden, höchstens Tagen, vielleicht Wochen oder schlimmstenfalls Monaten (vielleicht sogar Jahren?) und hänge nur noch von Details wie einem nachgewiesenen Blitzschutz ab. Zum Beleg seines guten Willens sendet er mir auf Verlangen ein Antennenkabel und eine Transponder-Antenne, damit dem Einbau der Instrumente kein fehlendes Kabel im Wege stünde.

XPDR_Antenne2

Lange Lieferfristen und aufwendiger Einbau: Transponder (-Antenne).

Gelegentlich stosse ich auf andere Leidensgenossen. Einer davon wartet schon seit 18 Monaten auf denselben zugelassenen Blitzschutz im Gerät und fliegt bereits eine ganze Saison lang mit einem Loch im Instrumentenpilz. Zugegeben, das Flugzeug fliegt natürlich auch ohne Transponder – aber das war ja nicht die Idee des Erfinders.

Amtliche Sabotage der Flugsicherheit.
Ich frage mich, ob es nötig ist, dass die Zulassung eines Gerätes mit einem seit Jahrzehnten bekannten Verfahren bei der EASA in Köln zwei Jahre liegen bleiben muss? Es gibt eigentlich keine Ausrede dafür. Ein speditiveres Zertifizierungs-Verfahren würde dem noblen Ziel der EASA, die Flugsicherheit am europäischen Himmel zu erhöhen, gut anstehen. Leider ist offensichtlich das Gegenteil der Fall.

Fertig lustig.
Mit Ende der Skisaison, die ersten Cumulus zeigen sich schon am Frühlingshimmel und das Flugzeug ist bis auf die Jahreskontrolle fertig, die gelieferten Instrumente verbaut – reisst mir der Geduldsfaden. Ich bestelle den Dittel-Transponder wieder ab und bei Christian Hynek einen GarrechtTransponder. Blöderweise wiederholt sich hier die Geschichte mit den Lieferfristen in verkürzter Weise. Logischerweise kann Garrecht auch nicht liefern, weil alle gleichzeitig und am selben Ort ein solches Gerät bestellen. Aber anfangs Mai, drei Monate später, ist auch dieses Problem gelöst, aus dem neuen und inzwischen vollständigen Instrumentenbrett lacht mir nach verschiedenen bereits erfolgten Flügen mit einer schwarzen Abdeckung des Instrumenten-Loches ein fröhlich beleuchteter Transponder entgegen.

Instrumentenpilz

So hübsch präsentiert sich das neue Instrument-Brett. Ich hoffe, bald noch hübschere Bilder vom wirklichen Fliegerleben zeigen zu können.

Interessanter Erstflug.
Irgendwann im März, kurz vor den geplanten Fliegerferien in Frankreich, vereinbaren wir die Jahreskontrolle. Glücklicherweise dank dem Organisationstalent von Brigitte Gauderon von Camo+ verbunden mit einer Wägung. Die Kontrolle selber gestaltet sich wegen Staus bei der Prüfer-Anfahrt in der einbrechenden Dämmerung kürzer als gewohnt – nicht ohne Folgen. War ich es früher bei der Eigenkontrolle und später bei der Kontrolle durch unseren EU-Kontrolleur alter Schule gewohnt, die Instrumente auf Dichtigkeit und Genauigkeit zu prüfen, entfällt das diesmal angesichts der einbrechenden Dunkelheit. Später lerne ich dann, dass diese Prüfungen jetzt Gegenstand  separater Kontrollen seien.

Denn beim Check nach dem Abheben des ersten Testfluges nehme ich nüchtern zur Kenntnis, dass die Instrumente ä chläi weniger als üblich anzeigen. Der Fahrtmesser bewegt sich nicht von der Stelle – das hat er offenbar von der EASA übernommen. Das Variometer meldet Werte, die ich auch trotz über 30 Jahren Fliegerei auf keine Weise interpretieren kann. Nach ein paar Sekunden scharfen Überlegens ist klar: Der Staudruck fehlt.

Und ohne diesen ist das Variometer unkompensiert und zeigt einwandfrei das Sinken und Steigen des Flugzeuges statt jenes der umgebenden Luftmasse. Die einzigen Instrumente, die brauchbare Werte anzeigen, sind Höhenmesser, Stauscheiben-Variometer und die ebenfalls erstmals in der Frühlingsthermik segelnden Greifvögel – die eigentlich am zuverlässigsten. Das ist nicht viel, aber für einen mehrstündigen Trainings-Flug in labiler Frühlings-Luftmasse reicht es. Immerhin: das Flugzeug funktioniert, von diesen vorübergehenden Krankheiten einmal abgesehen, wie vor Umbau und Kontrollen gewohnt.

Umhängen und richtig einstellen.
Mein Instrumenten-Profi Peter Schindler löst das Problem in kürzester Zeit durch richtiges Anschliessen des Staudruckes. Etwas mehr Zeit benötige ich weiterhin, um das hibbelige Variometer des Zeus so einzustellen, dass es die Aufwinde nicht drei Sekunden zu früh oder zehn Sekunden zu spät anzeigt.

Was waren das noch für Zeiten, als das ‚Dampf-Variometer-System’ des Peschges VP3 sekunden- und centimeter genau auch die schwächsten Aufwinde zuverlässig und einwandfrei kompensiert anzeigte. Wenn sich jemand da draussen mit dem sauberen Einstellen des Zeus-Vario auskennt: ich bin froh um jede Unterstützung und bezahle jeden dafür nötigen Arbeitsaufwand anständig…

Kontrollen-Walzer.
Der elegante Reigen der verschiedenen Kontrollen dreht sich jetzt nur mit der Prüfung der Funktionalität und Sendeleistung des Transponders durch einen extra einzufliegenden, spezialisierten Avioniker ähnlich wie ein Wienerwalzer weiter. Jene des neu eingebauten Funkgerätes konnte ich glücklicherweise mit anderen Kameraden in derselben Situation zusammenlegen. So fallen neben den Kosten für erneuten Arbeitsausfall wenigstens geringere Prüfungskosten an.

Nach neusten Reglementen der Aviatik-Bürokraten sollen Fahrt- und Höhenmesser regelmässig auf Dichtigkeit und Genauigkeit der Anzeige geprüft werden. Aha. Natürlich in einem separaten Verfahren. Diesem Ungemach entgehe ich nur knapp und nur diesmal, weil wir bei unseren früheren Kontrollen bereits Ungenauigkeiten feststellten und die Instrumente beim Hersteller überholen liessen. Knapp daneben ist auch vorbei.

Was wollte ich eigentlich? Fliegen?
Achja. War da nicht noch was? Vor rund einem Jahr war Ursprung und Triebfeder des Unterfangens vor allem ein Gedanke: mehr, höher, freier und weiter fliegen. Das ist bisher noch nicht wirklich gelungen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

IMG_1104_B

Da wollen wir wieder hin: auf und davon, weit, hoch und lange.

Denn aufgrund unflexiblerer Arbeitszeiten und unpässlichen Wetters bin ich diese Saison ungewohnterweise kaum geflogen. Genauer: nur gerade einen Fünftel des 30jährigen Mittelwertes. Ich bin aber noch zuversichtlich, dass ich irgendwann in unerreichbar scheinenden Zeiten wieder in meinem Segler Platz nehmen und fliegen kann. Die Aussicht daraus ist mindestens bei den Sitzproben und Kontrollen am Boden berauschend uneingeschränkt. Kein Uhrenladen und kein Tablet verstellen jetzt meine freie Sicht auf meinen Anhänger. Und künftig hoffentlich auch nicht auf TMZ’s, abgesenkte Lufträume, SERA’s und dergleichen bürokratischen Wahnsinns mehr. Von aussen betrachtet hat die Sicherheit beim Fliegen in meinem Fall ja auch zugenommen. Getreu dem Motto: ‚Wer viel fliegt, macht viele Fehler. Wer wenig fliegt, macht wenig Fehler, Wer nicht fliegt, macht keine Fehler – und wer keine Fehler macht, wird uralt‚.

Erfolgreiches PVP.
Das perfekte PVP neigt sich damit diesmal dem Ende zu. Sie wollen wissen, was das ist? PVP ist die offizielle amtliche Bezeichnung für Piloten-Vertreibungs-Programm. Es wird von den Aviatik-Bürokraten jährlich perfektioniert, bis der letzte Pilot seinen Ausweis abgibt. Auf seiner Agenda stehen Punkte wie die Zuverlässigkeits-Prüfung (eine besonders hinterhältige Eigentümlichkeit unseres grossen nördlichen Nachbarlandes), das Medical, die englischsprachige Voice, die ungehindert und unaufhaltsam wuchernden kontrollierten Lufträume, die unsägliche Harmonisierung des europäischen Luftraumes, ein massiver Ausbau des Ausbildungsprogrammes für neue Piloten sowie die hier für einmal ausführlich beschriebenen Kontrollen für alles und jedes.

Ich habe das PVP bisher überlebt, in diesem hartnäckigen Fall ist es nicht gelungen, mir das Fliegen auszutreiben. Aber das PVP war in den vergangenen zehn Jahren dennoch erfolgreich und konnte die Zahl der Segelflugzeug-Lizenzen in der Schweiz halbieren. Wenn die Entwicklung so weitergeht, erhält jeder Pilot in den kommenden Jahren seinen eigenen Flug-Aufsichtsbehörden-Mitarbeiter als persönliches Care-Team. Wenn ich einmal ein paar freie Minuten habe, rechne ich das genaue Datum aus, wann dieser Fall eintrifft.

So, jetzt ist aber Schluss mit Jammern – denn ab heute schreibe ich nur noch über erfreuliche fliegerische Erlebnisse. Ich bleibe dran – jetzt sollte nur noch das Wetter etwas freundlicher mit uns umgehen.

Paul macht das Rad.

Heftiger Überschlag mit 70.

Vergangenen November hat mich unser legendärer Anhängerwart bei der Segelfluggruppe Lägern dabei unterstützt, in Südfrankreich einen weniger betagten, fahrbaren Wohncontainer aufzustellen. Beim 35jährigen Modell fiel der Boden durch und auch sonst hatte ich bei jedem Handgriff ungewollt irgendein Bestandteil in der Hand.

Bei der Vorgeschichte konzentriere ich mich darauf, dass mich unsere jüngste Tochter Deborah ein Weekend lang (ungewollt auch noch während des gesamtdeutschen Eisenbahnerstreiks mit damit verbundenem Chaos auf der Strasse) auf Europas Autobahnen begleitet und mit munteren Erzählungen auf dem anhängerfreien Weg nach Holland und auf dem Rückweg mitsamt dem erworbenen Ungetüm am Haken wach gehalten hat. Das Navigationsgerät hat auf dieser unvergesslichen Fahrt im Schnitt alle zehn Minuten eine neue Strecke um die nächsten Staus berechnet und uns wohlbehalten und interessanterweise ohne grössere Verspätung als ohne Staus in der Nähe Kölns abgeliefert. Wir sind auf diese Weise am anderen Tag immerhin mit einem selten günstigen Tabbert ohne ein einziges Chräbeli glücklich in Schänis eingetroffen.

Zwei Wochen später war dann DER Paul gefragt. Für die Entsorgung des alten und den Aufbau des ’neuen‘ Wohnwagens, die Montage eines Schutzdaches daselbst und die diebstahlsichernde Demontage von Deichsel & Co. sind erprobte, krisenfeste Fachkräfte wie Paul gefragt. Und ausserdem wollte er auch schon immer mal in den Süden Frankreichs, egal, auch wenn’s November sei. Da er inzwischen ein beweglicher Rentner ist, hat er dafür auch noch viel Zeit. Die ideale Ausgangslage für ein Camper-Abenteuer. Also nix wie los, rein ins Auto, raus in die Provence!

Ein Hoch auf die Chefinnen!
Die Entsorgung unseres bisherigen Wohnheimes hatte ich zwar schon Wochen vorher per eMail und Telefon organisiert. Bei meiner südfranzösischen Allzweckwaffe für schwierige Entsorgungsfälle namens ‚Point Noir‘. Bei unserem engen Zeitplan sollte der Abschlepp-LKW bis um 10.00 Uhr seine Arbeit erledigt haben, wollten wir abends in einem betriebsfertigen ’neuen‘ Wohnwagen übernachten. Im Entsorgungsbetrieb schickte uns ein schwer mit Muskeln bepackter Anpacker zum nächsten – nur, um festzustellen, dass meine eMail wahrscheinlich im chaotischen, unübersehbaren eMail-Papierhaufen (!) auf allen vorhandenen Schreibtischen unter die Delete-Taste geraten sein mussten – ‚aucune idée‚, war auch die meist gehörte Antwort auf die Frage, ob denn mein etwas seltenes Anliegen um die Entsorgung eines Wohnwagens hier schon bekannt geworden sei. Das macht ausser den ordentlichen Schweizern hier wohl niemand. Betagte Campingwagen werden normalement in ein Gebüsch parkiert, bis sie sich dort vielleicht selber zerlegen. ‚Aucune idée‚ wurde aber spannenderweise immer kombiniert mit dem Hinweis, dass eine Entsorgung ‚aber impérativement EUR 200.-‚ kosten würde, erwähnt. Dass die vereinbarte Summe aus keinem Gedächtnis entschwunden war, interpretierte ich als gutes Zeichen für unser Vorhaben.

Den entscheidenden Verhandlungs-Durchbruch schafften wir schliesslich bei der zierlichen Madame la cheffe. Mit allem übriggebliebenen Charme und unüberhörbarem Glarner Französisch-Akzent versicherte ich ihr, dass sie die absolut Grösste sei, wenn sie es hinbekäme, einen ihrer kräftigen Gesellen mit einem Abschleppwagen auf den Aéroport zu senden. Sie zeigte sich nach meiner Zusicherung, EUR 200.- ‚par hazard‘ bei mir zu haben, sofort begeistert und erteilte ein paar kurze, heftige Befehle quer durch die Werkstatt – Resultat: wir sind selber kaum auf dem Flugplatz Vinon beim alten Camper angekommen, stand der LKW schon vor der stählernen Eingangspforte und begehrte, seine Arbeit erledigen zu dürfen. Wir konnten uns kaum umdrehen, war ‚Le Château Willi‘ bereits am Haken, aufgeladen und endgültig weg…

2014-11-21 12.10.19

Da geht er dahin: das letzte Stündlein von Le Château Willi hat geschlagen… Man beachte die Holzpaletten im rechten Bild-Vordergrund. Sie sollten noch eine wichtige Rolle spielen…

Zähes Einparken.
Kurz darauf war ich das erste Mal um die kompetente fachliche Beratung von Paul froh. Beim Seitwärts-Rückwärts-Einparken des knapp acht Meter langen Möbels zwischen einem Feuerdorn-Gebüsch und unserem hölzernen Schattenspender, der da stehen bleiben sollte, wo er im unwirtlichen Wachstumsklima schon ziemlich gross geworden war. Bei der Strategie waren wir uns anfangs nicht wirklich einig. Anständigerweise habe ich erst Pauls Vorschlag umzusetzen versucht. Der Anhängerzug fand aber am Ende nur auf eine Art und Weise Platz. Nämlich so, wie ich mir jahrelang an flugfreien Nachmittagen mit Unterstützung von genügend kühlem Rosé den Ersatz des baufälligen Wohnwagens ausgerechnet hatte. Vorwärts hinein in den Platz mit der ganzen Bagage – und dann von Hand 60° drehen. Klingt einfach, nicht? Vorher noch alle Gartenplatten abräumen, damit man schadlos mit dem schweren Opeli auf den Platz rollen kann, ohne alles zu verbrösmele. Danach den Hänger abhängen und das Zugfahrzeug knapp zwischen Camper und Gartenhaus wieder aus dem Lavendelgarten hinauswickeln. Es war nicht so kompliziert, wie es hier klingt. Und es klappte gleich auf Anhieb. Anhieb heisst 30 Minuten Fluchen, Schwitzen, Stossen und Zerren, um mit dem Hauptrad am Ende entscheidende zehn Zentimeter näher am Feuerdorn – exakt am Zielort zu stehen. Es hätte weder hinten noch vorne ein Streichholz zwischen dem Wohnwagen, Baum und Feuerdorn vertragen…

2014-11-22 17.53.28

Da steht er nun, fein zwischen Baum und Feuerdorn-Gebüsch eingeparkt, nach einer eländ langen Fahrt quer durch ganz Europa – unser ’neuer‘ Tabbert. Als wäre er immer schon hier gewesen.

Das Beste kommt zum Schluss.
Vinon hat im November einen eigenen Charme. Verlassen. Dunkel. Kalt. Menschenleer. Besonders viel Charme entwickelt der Platz, wenn die sanitären Anlagen umgebaut und damit komplett ausser Betrieb sind – so wie im November 2014. D.h., da war kein Wasser auf dem ganzen Gelände. Nicht zum Zähneputzen, oder Duschen und auch sonst mussten wir für jeden Tropfen einen halben Kilometer zum zweiten Camping-Feld und das dortige Duschhäuschen zurücklegen. Kein Problem soweit. Tagsüber. Wenn’s hell ist. Und mit unseren fahrbaren Untersätzen, zwei ehemaligen Schweizer Zurbuchen-Halbrennern (damals schnittige Fahrräder mit fünf Übersetzungen) sowieso nicht. Nachts, ohne Beleuchtung, wird das etwas schwieriger – doch alles der Reihe nach!

Das Unglück begann damit, dass Paul ohne seine Brille schon nicht sehr weit und dann eben auch nicht besonders gut sieht. Im Duschnebel des ungewohnten Sanitär-Hauses muss er seine Seh-Hilfe ‚irgendwo‚ abgelegt haben. Das hat er interessanterweise erst (…) nach einer abenteuerlichen Fahrt auf meinem rassigen Fahrrad über das zappendustere Geländes des holperigen Campingplatzes im schummerigen Licht des Dynamo-angetriebenen Fahrrad-Irrlichtes im ebenfalls erstmals benutzten Wohnwagen festgestellt. Etwas ungestüm wollte er dann grad sofort zurück zum Duschhaus, um seine Brille zu suchen. Blöd ist einfach, dass man ohne Brille kaum was sieht, eben auch eine Brille nicht. Und in der Nacht in ungewohntem Gelände mit dem Velo sozusagen im Blindflug um Schlaglöcher und herabhängende Äste zu kurven, ist vielleicht auch nicht die beste aller Ideen.

Na, wo bleibt er denn?
Nach einer Viertelstunde begann ich, mir Sorgen zu machen und streckte schon mal den Kopf nach draussen, ob etwas von Paul zu hören oder zu sehen sei. Na, er wird seine Brille schon nicht sofort gefunden haben, dachte ich mir bis dahin und widmete mich wieder dem Abwasch. ‚Also, wenn er in fünf Minuten nicht da ist, muss ich ihn suchen, dann ist etwas passiert!‘ Aber soweit kam es nicht. Plötzlich irrlichterte im linken Augenwinkel kurz ein schwaches Licht vor dem Fenster vorbei. Begleitet vom vertrauten Geräusch von im Kies knirschenden Fahrrad-Reifen. Aha, das muss der Paul sein! Sekunden später wechselte die vertraute Akustik schlagartig zu bisher nicht gekannten Geräuschen. Ein ‚Chrrttssschhhh‚ wurde von einem ‚Wuummppfff‚ abgelöst. Kurz danach war wieder ein Sekundenbruchteil lang Ruhe, dann folgte ein ‚Wumm, Klirr‚. Kurz. Heftig. Und dann ein langes ‚Aaaahhhh. OOoooohhh. Uuuhhhh.‘ Wieder ‚Aaaahhhh….‘ Und dann eine lange Pause.

Überschlag.
Sofort verliess ich den Wohnwagen, um nach Paul zu sehen. Da hüpfte der rüstige Rentner bereits munter auf einem Bein durch den Garten. Offensichtlich musste er sich bei seiner Suche nach der Brille verletzt haben. Und gefunden hatte er sie bis dahin auch nicht, jedenfalls war da nichts auf der Nase. Dafür schien der Fuss und die Hand ziemliche Schmerzen zu bereiten. Nach ein paar Minuten, in denen die gröbsten Schmerzen verrauchten und einer Reihe nicht jugendfreier Äusserungen über meinen Camping-Nachbarn erzählte er mir dann, was passiert war. Paul hatte alle Schlaglöcher erfolgreich umfahren. Was er in der Dunkelheit übersehen hatte, war sozusagen die Abfahrt von der Hauptsrecke in meinen Camping-Garten. Worauf er mit seinem Stuntman-Tempo zuweit über die Kurve hinaus geraten und im Garten meines Nachbarn in der Dunkelheit auf ein Hinderniss geprallt sein müsse.

Oha – jetzt war mir sofort alles klar. Es gibt verschiedene Arten, wie man seinen Vorplatz befestigen kann. Mit Gartenplatten. Sauber verlegt. Normal halt. Und da gibt es mindestens einen, der versucht dasselbe mit zufällig verteilten, alten Europaletten. Auf denen man bei Hochwasser hüpfenderweise seinen Caravane habitable erreichen kann. So einer ist mein Nachbar! Da bin ich selber sogar bei hellem Tageslicht schon drüber gestolpert, wenn auch ohne grössere Blessuren.

Kein Wunder, dass es da meinen Paul nächtens und ohne Sehhilfe so bös erwischt! Er hat sage und schreibe in seinem beachtlichen Alter von 70 Lenzen einen mehr oder minder eleganten Vorwärts-Salto vom Fahrrad hingelegt, als er mit dem Vordrreifen eine der Paletten erwischt hat. Und bis auf die Blessuren an der Hand und am Unterschenkel blieb er Gottseidank unverletzt! Das hätte aber richtig schief gehen können. Wenn der Paul nicht trotz seiner zahlreichen Jahrringe bis heute so uumäär beweglich geblieben wäre.

2014-11-22 20.13.35

Unter Rentnern: gemütliches Nachtessen mit Paul Kläger (re.) und Karl Thönig (li.), der ständig in Vinon (in einer anständigen Behausung) lebt und mir bei der diebstahlsichernden Demontage der Deichsel geholfen hat.

Noch auf der Heimfahrt, zwei Tage später hat Paul in ruhigen Momenten immer wieder bekümmert seinen Handrücken und das Wadenbein betastet – es muss noch fast zwei Wochen lang geschmerzt haben!

Das Schlimmste an der Geschichte war aber der Moment, als er seine Brille wieder gefunden hat. Sie lag nämlich friedlich in seiner Dusch-Zubehör-Tasche, wo sie eigentlich auch hingehörte. Paul hatte sie dort bloss übersehen, sie hat die ganze Zeit im Wohnwagen gelegen. Die lange Reise und der Unfall waren damit sozusagen vergebens gewesen. Auaaa!

Was mir bleibt, ist, mich bei meinem treuen Helfer für den Chrampf in Südfrankreich öffentlich zu bedanken. Da reichen das gespendete Food & Beverage sicher nicht aus. Was wäre die Welt ohne Menschen wie Paul! Herzlichsten Dank nochmals, Paul – und mach doch künftig bitte nur noch Überschläge mit dem Segelflieger und ausreichend Luft darunter.

Im Föhn vom Arlberg an den Mont Blanc.

Vortrag am Streckensegelflieger-Nachmittag in Unterwössen.

Am Samstag, 14. Februar 2015 durfte ich auf Einladung von Roland Henz und Jan Lyczywek von der DASSU im futuristischen Schulgebäude in Unterwössen einen Vortrag über die Föhnfliegerei zwischen dem Arlbergpass und dem Wallis halten.

Für die Gastfreundschaft und den herzlichen Empfang möchte ich mich bedanken – hier sind die dazu gehörigen Slides und OLC-Daten.

1’000 km-Flug im trockenen Föhn auf der Luvseite des Hauptalpenkamms:
Wellen-Systemtest zwischen Arlberg und Berner Oberland.

Geburtstags-Ausflug im Föhn.

Am 9. Oktober 2014 darf ich – weil’s mein Geburtstag ist – einmal machen, was ich am liebsten mag: Segelfliegen (meine Chefin hat mir frei gegeben!). Weil schon die ganze Woche über mehr oder weniger der Südwest durch die Täler pfeift, passt alles zusammen: ein freier Tag, ein tolles Segelflugzeug und ausreichend Wind, um ein Weilchen in der Luft zu bleiben.

Für das, was ich heute vorhabe, reicht es auch, am späteren Vormittag in die Luft zu kommen, da sind keine Nachtübungen im Scheinwerferlicht meines Opeli und Wasserspiele in der Dunkelheit nötig. In aller Ruhe fahre ich zum Briefing nach Schänis, Flieger montieren ist zusammen mit Peter Zweifel als Gast aus Winterthur bald erledigt. Wasser in die Flächen füllen, dauert schon länger, irgend ein Spassvogel hat den sonst vorhandenen, langen Wasserschlauch bereits weggeräumt, vermutlich aus Angst, er friere ein oder jemand nehme ihn womöglich noch mit.

Heute sportlich.
Auf der Südseite unseres Hausberges wird ‚cinque’ schon in wenigen Kurven über den Gipfel hinaus getragen. Für einmal wähle ich heute die sportliche Start-Variante. Die wende ich an, wenn der Föhn schon tief in die Täler greift und man bei Ziegelbrücke eigentlich vom Boden weg dem Hang entlang klettern kann (extrem-sportliche Variante). Die unsportliche Variante wäre ein hoher Schlepp auf 2’400 Meter hinauf, mit anschliessendem Direktflug an die obersten Kreten der Churfirsten (die Ostseite des Sichelchamm ist eine der ersten Stellen, die im Südwind trägt). Das ist dann die richtige Methode, wenn der Föhn beginnt, von oben Schicht um Schicht ‚abzuhobeln’ und erst an einzelnen Stellen (bei uns im Zigerschlitz ist das Mitlödi, Glarus und Ziegelbrücke) bis in die Täler durchgreift. Noch unsportlicher wird der Schlepp, wenn der Föhn erst aufbaut und nur an den Föhn-Hotspots im Urnerland (Eggberge, Läged Windgällen, Schächental), in den Glarner Alpen (Sernftaler-Nord-Kreten, Engi, Elm) und natürlich im Rheintal (Schesaplana, Vilan) spürbar ist.

Erkundungsflug.
Heute habe ich mir vorgenommen, die verschiedenen Hang- und Wellensystem etwas genauer zu erkunden. In die Region Arlberg und weiter das Inntal hinunter sieht die Windprognose nicht sonderlich gut aus. Zuviel Südwest-Anteil. Und östlich Achensee fast kein Wind mehr und wenn, dann parallel zu den Hängen. Das mag ich nicht besonders. Deshalb fege ich im Geradeausflug den Luvkanten entlang bis in die Silvrettagruppe. Eigentlich wäre es cool, wenn man von hier aus alles nur im Hangflug ins Wallis gelangen könnte. Die Feuchtigkeit im Vorderrheintal ist allerdings etwas hoch für einen Durchflug in Andermatt. Bis nach Flims gelingt das Vorhaben allerdings wunderbar. Ich kann am Flüela, am Weissfluhjoch und in den Fideriser Heubergen problemlos im Hangwind bis nach Chur schleichen. Nicht sehr schnell, aber ohne Kreiserei, ohne Turbulenzen. Am Churer Joch steht sogar noch eine schwache Welle, die ich aber weglasse, weil ich ja im Vorderrheintal sowieso unter die Wolken will. Da hilft es nicht, über der Bündner Hauptstadt auf 4’000 M.ü.M. zu steigen, nur um danach mit Vollgas unter die Wolken tauchen zu müssen. Die Übersicht geht dabei verloren.

Unverhofft in eine unbekannte Welle.
Herrlich ist es dann, am Flimserstein und am Ringelspitz die Hänge hochzuturnen und den Flieger wie einen Drachen steigen zu lassen. Die Region erinnert mich immer etwas an den Pic de Bure. Auch hier ist die Vegetation ähnlich karg, die Optik wird von kahlen, glatten Kalkwänden dominiert, die im flachen Herbstlicht fast weiss scheinen. Dann ‚falle’ ich über dem Segnes-Kessel unverhofft in eine starke Welle. Ich erhalte von ZRH Info gerade rechtzeitig für 30 Minuten eine Freigabe bis 4’600 Meter hinauf, bevor ich in den Luftraum C hinaufgetragen werde. Die Luftwaffe beginnt um 13.30 ihren landesverteidigenden Dienst, aber solange darf ich noch steigen. Das Problem dabei ist, dass ich so nicht ins Vorderrheintal komme, weil ich von oben durch die Wolkendecke der Staubewölkung tauchen müsste. Und aus diesem flachen Winkel knapp über den Wolken sind keine Löcher erkennbar und höher darf ich nicht steigen, um mehr Überblick zu bekommen. Eben wegen der sonst sehr geschätzten Luftwaffe.

Also entscheide ich mich ‚halt’ für die Primärwelle in Elm und fliege den steigenden Ast ab bis an den Spannort bei Engelberg. Das ist ähnlich wie Motorfliegen, nur durchgeschüttelter. Ich verliere allerdings kaum Höhe bei der Übung und finde mich nach kurzer Zeit vor den geschlossenen Toren des Meiringer Luftraumes wieder. Zwei FA-18 pfeifen direkt nach dem Start über mich hinweg an den Titlis, bevor ich mich für eine Durchfluggenehmigung zwischen die Funksprüche der startenden Jets hindurchzwängen kann. Aber es reicht, bei Gadmen habe ich die Genehmigung für den Flug an die Engelhörner.

Freigaben und die davon abweichende Realität in der Luft.
Das Problem ist nun, dass der Controller mir eine Freigabe bis an die Kleine Scheidegg erteilt. Da kann man zwar hin, aber nur, wenn man das will. Ich habe immer grösste Mühe, mir in der blauen Luftmasse hinter den Berner Eisriesen ein Wellensystem vorstellen zu können (und das dann auch noch zu treffen). Zudem ist das eines ohne ernsthaft brauchbare Auffanglinie, sieht man vom Jura einmal ab. Und dass Eiger & Co. eine gewaltige Leewelle produzieren (da geht’s ja nicht nur hinauf, sondern mindestens so schnell auch bergab), braucht man nicht zu erwähnen. Ich überlege, ob ich im Südwest den Hängen entlang an den Grimsel fliegen soll, um dann ins Goms und an die auch hier tief in Staubewölkung steckende Nordkrete des Wallis zu wechseln. Irgendwie verlässt mich dann aber vor lauter Aufwindsuchen, Freigaben verlangen usw. der Mut und ich fahre etwas kleinmütig wieder zurück an die angeströmte Kette zum Titlis und hinaus aus dem kontrollierten Meiringer Luftraum. Für den Rückweg wechsle ich über der Sustlihütte und dem Wichelplangg, einem meiner früheren Kletterberge, ins Meien- und später ins Maderanertal. Dahinter steckt die Idee, einen Durchgang nach Andermatt oder das Vorderrheintal zu finden.

Im Maderanertal in den Wasserfall.
Die Schächentaler Windgällen sind nicht nur für Bergsteiger eindrückliche Kalkspitzen. Auch für Föhnflieger ist es gewaltig, an der Südseite die steilen Wände hochzuturnen. Ein Blick in die aus Süden anstürmenden Wolkenmassen lässt einzelne Lücken zwischen Oberalpstock und dem Chrüzlipass erkennen. Dahinter ist die Luft trocken. Also nichts wie hin. Bis kurz vor den Oberalpstock kann ich sogar noch von steigender Luft profitieren, es scheint, als ob das Wagnis gelingen würde. Dann falle ich aber kurz vor den steilen Wänden mit dem Staldenfirn ‚in den Bach’. Der spült mich rasch 500 Meter hinunter. Der Bristenstock und der Chrüzlipass steigen blitzig neben mir hoch – keine Chance – ich muss zurück an die Windgällen. Immerhin eine wichtige Erkenntnis habe ich bei diesem Versuch aber gewonnen: ich wäre auf der Luvseite das Vorderrheintal bis an den Oberalp und an die Furka durchgekommen. Einfach tief und mit den Gipfeln in Wolken – aber es geht. Jänu – dann fliegen wir halt wieder über den Klausen und Elm zurück ins Prättigau. Dieser Teil des Fluges ist weniger spannend, die Turbulenzen im Schächental, über dem Urnerboden und vor allem südlich des Kärpfs sind bekannt.

Mords-Rotor über Obererbs.
Genau da, wo unser Fluglehrer Ruedi Wissmann viele Jahre während der Sommermonate als Hüttenwart gewirkt hat, knetet es mich noch einmal richtig durch. Ich versuche in wilden Manövern, einen Rotorfetzen über mir auszukreisen. Nach ein paar Versuchen und immerhin ein paar hundert Höhenmetern Gewinn gebe ich das Unterfangen aber auf. Hier sitzt teilweise der Herr Zufall am Steuerknüppel, nicht immer der Herr Pilot. Mehrmals zeigt die Flugzeugnase entweder direkt in den Himmel oder dann direkt auf das Gelände tief unter mir – beides fühlt sich ungewohnt an. Die Ruderwirkung ist teilweise lamentabel. Obwohl ich den Knüppel voll nach rechts ausschlage, dreht der Rotor ‚cinque’ voll auf die linke Seite. Fahrt- zu und Abnahmen von 50 km/h sind auch nicht gerade das, was ich gerne mag. Ein abendlicher Blick auf die Karte erklärt das Phänomen. Bei Südwest liegt diese Stelle in Windrichtung betrachtet exakt ‚hinter’ dem hohen Gipfel des Hausstocks, kein Wunder dreht die Luftmasse da wie ein grosser Tumbler.

Erstaunlicher Unterschied.
Ich mag es eigentlich lieber gemütlicher und verlasse den ‚ugattligä’ Elmer Kessel, wie ich gekommen bin. Über die Tschingelhörner und wieder ins Rheintal. Erstaunlich ist der Unterschied im Flugstil. Ruhig trägt der Hangwind an Ringelspitz, Calanda, Churer Joch, Fideriser (Skitouren)-Heuberge und hinauf nach Davos an den mit Technik vollgepackten Weissfluh-Gipfel.

Einfach berauschend.
Ab jetzt geniesse ich meinen Geburtstagsflug wie ein Senior im Lehnstuhl und steige in St. Antönien in die (schwache) Prättigauer Welle, die mich bei Landquart und mit einer Freigabe bis FL 200 (!) – ja, die Luftwaffe hat nach 16.00 Uhr Feierabend – bis auf 4’500 Meter hinauf trägt. Danach teste ich noch das Sekundär-Wellen-System über dem St. Galler Oberland und dem Glarnerland, das mich erneut fast wie im Motorflug bis ins Riemenstalden-Tal trägt, ohne dass ich enorm viel Höhe für die Strecke gebraucht hätte.

IMG_1184

Trotz der Spiegelungen im Cockpit immer wieder ein unglaubliches Bild: Flug entlang der aus Süden anstürmenden Wolkenmassen.

Die Natur bietet noch einmal alles auf. Die aus Süden anstürmenden Wolkenmassen tauchen ins fahle, flache Herbstlicht, der Blick reicht weit über die ganze Deutschweiz, in den Schwarzwald, deutlich über den Bodensee hinaus nach Norden. Diese wunderschönen Geburtstags-Flug-Bilder werde ich den bevorstehenden Winter über im Kopf behalten – sie sind eine Motivation, dieses unglaublich schöne Hobby so lange es geht, zu pflegen. Wenn es sein muss, künftig sogar mit einem extra in den Instrumentenpilz eingebauten Transponder – daran darf es künftig nicht mehr scheitern, wenn man hoch hinaus und dorthin fliegen, wo der Pilot – und nicht der Controller will.

Für die Experten (also alle): Link auf die Flugdetails.

Am letzten Tag doch noch in die Schweiz.

Am Tag vor der geplanten Abreise wollen wir mit unseren Freunden in Vinon eine ‚Farewell-Party‘ organisieren. Einkaufen, Apéro bereitstellen, Rosé in ausreichender Menge so kühl wie möglich hinbekommen, drei grosse Poulets (ergibt mit dem Rosé zusammen letzlich einen Coq au Vin) für den Grill vorbereiten, Tische und Stühle organisieren usw. bleibt diesmal an meiner Brigitte hängen – denn es wird ein ordentlich guter Flugtag, den ich noch für einen schönen Ausflug nutzen möchte. Damit schwebt während des ganzen Tages immer ein wenig die Pflicht im Cockpit, abends rechtzeitig zurück zu sein – Aussenlandungen sind heute nicht gefragt.

Wasser in die Flächen und früher Start.
Stress mache ich mir trotzdem keinen. Ich fülle zwecks Optimierung der Reisegeschwindigkeit den Flieger mit ordentlich Wasser und starte früh. Und nehme mir vor, zeitig zu wenden. Spätestens um 16.00 Uhr werde ich die Nase südwärts richten, dann müsste es mit Segler-reisefertig-verpacken grad schüüsst zum Apéro reichen. Es wird dann doch noch etwas eng. Aber davon später.

Die Reise nach Norden beginnt trotz vorsichtigem Queren des Plâteau Valensole gleich mit einer happigen Turnübung nahe am Flugplatz Puimoisson. Erneut komme ich auf dem letzten Zacken auf Landehöhe endlich wieder vom Boden weg. Lasse aber das Wasser in den Flächen – das kann ich heute bestimmt noch brauchen.

Zäher Einstieg ins Hochgebirge.
Dann läuft die Fliegerei endlich, wie sie soll. Aber nur bis zum Mont Guillaume. Da ist heute eine umfangreiche Fliegerversammlung anzutreffen. Ich komme mit Zählen nicht nach, es kämpfen über 20 Segelflieger auf ähnlichen Höhen am Hang ums Obenbleiben. Ein gewagter Ausreisser in die Chrächen der Tête de Lucy hilft auch nicht weiter, bringt mich aber immerhin auf die Höhe und die Idee, auf der Ostseite des Durance-Tals nordwärts zu ‚kriechen’. Immer eländ nahe am Gelände. Und die Aufwinde sind, wenn überhaupt vorhanden, auch nicht da, wo sie sein sollten (passiert mir aber auch sonst ab und zu). An der Schattenseite (!) des Tales der Clotinaille schaufelt mich endlich ein etwas holperiger Aufwind auf komfortablere Höhe.

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick von Courmayeur auf die Ostseite des Mont Blancs mit der mächtigen Brenva-Flanke; gut sichtbar ist auch der Peuterrey-Grat, eine der schwierigsten Begehungen auf das ‚Dach Europas‘.

In grosser Linkskurve über den Grand- und Petit-St.-Bernard.
Der Rest ist rasch erzählt. Jetzt läuft’s richtig. Auf dem Trampelpfad der Crête des Agneaux, Crête de Peyrolles, Col d’Etaches, Charbonnel, Col du Carro, erreiche ich mit einer angenehmen Reisegeschwindigkeit den Gran Paradiso. Angesichts der schon etwas weiter als geplant fortgeschrittenen Uhrzeit will ich noch zum Grossen St. Bernhard, ins Val Ferret, an die Grandes Jorasses und dann blitzig zurück nach Hause an den Grill.

Auch das funktioniert, wie es muss. Die Höhen sind komfortabel, die Steigwerte gut. Zeitweise habe ich sogar über Funk Kontakt mit den Kollegen aus Schänis. Frigg Hauser, Moritz Isler, Roland Hürlimann und Peter Schmid sind heute in den Walliser Alpen unterwegs, Frigg hat sogar den Mont Blanc umrundet.

Es läuft gut, ich lasse auf dem Heimweg über Val d’Isère, den Col d’Iseran und Bonneval sogar den rumplig-starken Aufwind am Charbonnel aus (was ich sonst nie mache). Mit einem letzten Kreis über der Crête de Peyrolles fliege ich auf der Standard-Route zurück bis an den Cheval Blanc. Je weiter südlich man kommt, umso stabiler wird die Luft. Kaum mehr Bewegung und schon gar kein Steigen ist mehr zu finden, voraus ist alles stumpf und blau.

Haarscharfer Endanflug.
Nun werde ich eigentlich mit meinen Segler, den ich durch und durch kenne, schon lange nicht mehr nervös, wenn ich 60 Kilometer in toter Luft gleiten muss und dafür noch 1’500 Meter Höhe verfügbar habe. Das kann er eigentlich ganz genau. Nicht mehr, nicht weniger.

Heute beginnt es aber in der Region der Bäderstadt Digne doch etwas zu kribbeln. Ich kann rechnen, wie ich will, mir bleibt ausser meiner Standard-Höhenreserve kein Meter zuviel nach Vinon. Mit MacCready-Wert verstellen und Gegenwind (auf dem Endanflug-Rechner) reduzieren kann ich nochmals 100 Meter künstliche Reserven herauskitzeln. Also alles reine Nervensache.

Das Problem ist, dass die Luft tatsächlich stumpf ist und nirgendwo mehr trägt. So komme ich in den Genuss, die Speed-Polare der ASW-20-B auf den Meter genau abfliegen zu dürfen. Ich folge der Südostkante des Val d’Asse, versuche noch das Weizensilo von Brunet, nur um da festzustellen, das ich mit diesem kleinen und normalerweise lohnenden Umweg meine künstlich herausgerechnete Höhenreserve auch noch verbraten habe. Allerdings auch nicht mehr. Jänu – dann halt auf dieser Höhe nichts wie weg über das Plâteau!

Sogar den Lavendel kann ich schon riechen.
Ungewohnt tief folge ich dem Terrain nach Süden. Ich kann den in voller Blüte stehenden Lavendel in den kilometerlangen Feldern schon im Cockpit riechen. Mit meiner auf das beste Gleiten reduzierten Geschwindigkeit erscheint mir der Flug über die Ebene endlos. Zum Glück sinkt das Plâteau ebenfalls etwas ab – ab der Pont Manosque bin ich endgültig überzeugt, keine Aussenlandung mehr zu produzieren. Für einen Überflug reicht die Höhe aber tatsächlich nicht mehr, ich kann aber auf die normale Landevolte einfädeln. Nach 60 Kilometern bleibt kein Meter übrig. Das Wasser ist ebenfalls draussen, etwa wie die Luft bei mir. Der Grillabend mit Hans, Heidi und René ist jetzt aber dennoch in trockenen Tüchern!

Mit diesem herrlichen Flug gehen die Fliegerferien in Südfrankreich für diesen Sommer zu Ende. Der Flug heute war ein toller Abschluss und es waren bis auf den allerletzten Endanflug immer entspannte Flüge. Halt so, wie Segelfliegen sein sollte.

Link auf das ausfürliche Foto-Album.
Und hier ist der Link auf das IGC-File.

Viel Luft unter dem Rumpf.

Etwas eingeschränkte Bewegungsfreiheit – trotzdem tolle, gemütliche Flüge

Fliegerisch ist dieser Juli 2014 geprägt von Wetterlagen, bei denen man zwar täglich schöne Flüge durch die südfranzösischen Voralpen und im Flachland unternehmen kann, ‚Weitschüsse’ in die hohen Französischen oder Schweizer Alpen bleiben aber Mangelware.

Dem fliegerischen Vergnügen tut dies aber keinen Abbruch, alle Starts führen jeweils quer durch das überhaupt nutzbare Segelflugfenster Südostfrankreichs. An die teilweisen geringen Arbeitshöhen muss ich mich allerdings gewöhnen, zweimal stecke ich nach einem ungewohnt kniffligen Abflug über des Plâteau Valensole in Puimoisson beinahe fest und komme dort erst auf Landevolten-Höhe wieder weg. Die Funkfrequenz eingestellt, die linke Hand am Fahrwerk, komme ich aus den Geländefurchen in Flugplatznähe aber beide Male mit Geduld doch wieder weg. Einmal rettet mich ein Raubvogel, der mir zeigt, wie es geht, ein andermal ist es eine Geländemulde am Ende eines der ‚Täler’ auf dem Plâteau, an deren Ende die Thermik anfangs zaghaft und unrund, später stark und gleichmässig auslöst.

Einmal auf komfortablerer Arbeitshöhe freunde ich mich aber zunehmend mit dem Fliegen im Flachland an. 2’000 Meter Luft unter dem Rumpf sind schon eine gemütliche Sache.

 

Es muss nicht immer bodennahes Abtasten der Alpenkreten sein, Flüge über die Wälder des Lubéron, in denen höchstens Obelix‘ Wildschweine die Ruhe stören, in den Nationalpark Vercors zum eigenwillig geformten Mont Aiguille, an die wilden Granitzacken der Auguille de Chambeyron oder über die einsame Region an der französisch-italienischen Grenze (Parc National du Queyras) entlang bis hinauf zur architektonisch auffälligen italienischen Skistation von Sestriere sind aber trotzdem drin. Für einmal bleibt viel Zeit, ausführlich die vielfältige Landschaft zu geniessen.

Das müsste ja eine fantastische Region für Skitouren sein… Höchste Zeit, nach den Sommerferien wieder etwas zu trainieren, damit ich meinen Bierbauch wieder auf ein Mass zurücktrimme, mit dem ich solche Berge noch oder wieder hinaufkomme 🙂

Link auf die ausführliche Bilder-Galerie.

IMG_1104_B

Unberührte, wilde Berglandschaft im östlichsten Teil des Vallée d’Ubaye.

Und hier sind die Links zu den IGC-Daten:

IMG_1097_B

Zwischen Aiguille de Chambeyron und dem Pic de Rochebrune. Irgendwo steckt wie üblich auch noch der imWinter sogar aus den Schweizer Alpen sichtbare Monte Viso in den Wolken.


Ubaye-Tal, Sestriere, Ecrins:

http://www.onlinecontest.org/olc-2.0/gliding/flightinfo.html?dsId=3873503

IMG_1106_B

Über dem südlichen Vallée d’Allos in der Region von St.-André-les-Alpes / Castellane.


Jojo zwischen Rosans und Le Luc, Flug um den Kessel von Gap:

http://www.onlinecontest.org/olc-2.0/gliding/flightinfo.html?dsId=3883157

IMG_1128_B

Parc National du Vercors und die Glandasse. Wer hat sonst schon so schöne Namen für einen runden Felsabbruch und eine Hochebene mit einer Million Grotzli (Tännchen)?


Voralpen-Flug in den Parc National de Vercors

http://www.onlinecontest.org/olc-2.0/gliding/flightinfo.html?dsId=3889109